Der neue Stuttgarter „Tatort: Lass sie gehen“ lässt kein Klischee aus. Unsere Krimi-Kritik.
„Mama, i gang fort!“ Nicht Amerika ist hier gemeint oder Australien, sondern, allen Ernstes – Stuttgart. Dieser kurze Wortwechsel zwischen Mutter und Tochter setzt den Ton in diesem ARD-„Tatort“. Land und Stadt, Pflichtbewusstsein und Selbstverwirklichung, geordnete und (vermeintlich) ungeordnete Welt – auf diese scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze hat Norbert Baumgarten sein Drehbuch gebaut. Er wollte hoffentlich nicht die Realität im 21. Jahrhundert abbilden.
„Lass sie gehen“ ist vielmehr eine Zeitreise in eine ferne Vergangenheit, die es so vielleicht nie gab. Der gewaltsame Tod einer jungen Frau in einem kleinen Ort auf der Alb lässt schnell Spekulationen blühen, wer sie auf dem Gewissen hat. Autor Baumgarten hat dazu eine Dorf-„Gemeinschaft“ rund um eine Wirtsfamilie erdacht, bei der kein Klischee ausgelassen wird. Natürlich gibt es da die Machos mit Liebe zu Waffen und den einen Außenseiter (Timocin Ziegler), der bald als Täter ausgemacht ist. Und es kommt, was wohl kommen muss – das „M“ an seiner Tür, der Steinwurf gegen das Fenster, der Lynchmob. Dazwischen die Eltern des Opfers (Moritz Führmann und Julika Jenkins) zwischen Trauer und Rachedurst.
Hölzerne Charaktere sprechen hölzerne Sätze. „Die sind nicht von hier, die haben sich hier breit gemacht, sich genommen, was uns gehört“, heißt es da über die Familie des nach dem Krieg aus Polen eingewanderten Verdächtigen. So spricht man wohl in einem Gasthof, der aussieht, als sei er nur für die Dreharbeiten aus seinem Dornröschenschlaf geweckt worden.
In diesem Stuttgarter „Tatort“ wird kein Klischee ausgelassen
Das altbackene Szenario lässt auch die Kommissare schlecht aussehen. Erstaunlich machtlos stehen Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) den württembergischen Wutbürgern gegenüber, sie tun nicht das Notwendige, den als Mörder Gebrandmarkten vor den offensichtlich zu allem bereiten Dörflern zu schützen. Mehr als skurril die Idee, einen der beiden Kommissare spontan zu Ermittlungszwecken im Gasthof absteigen zu lassen, so, als läge das fiktive Waldingen hunderte Kilometer entfernt vom Dienstsitz in der Landeshauptstadt.
Immerhin findet Regisseur Andreas Kleinert schöne, starke Bilder für diese Krimifarce, deren Auflösung allerdings enttäuschend ist. So, als sei den Machern plötzlich die Lust vergangen, ihr archaisches Spiel zu Ende zu bringen. Anschauen lässt sich das zwar zweifellos trotzdem, vor dem nächsten Provinzkrimi sei Autoren und Redaktion jedoch ein bisschen mehr Recherche vor Ort empfohlen.