Münchens ungeklärte Fälle: Diese Rätsel will die Mordkommission 2024 lösen

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. München

Kommentare

Ungeklärte Fälle sind die Schicksale von (v.l.) Domenico Lorusso, Sonja Engelbrecht und Vanessa Huber. © Privat/Polizei

Stephan Beer hat die vielleicht spannendste und zugleich belastendste Stelle des Polizeipräsidium: Er leitet die die Mordkommission. Deren Aufgaben für 2024 sind enorm. Und es kommen immer neue Fälle hinzu.

Herr Beer, wie das vergangene Jahr für die Mordkommission?
Stephan Beer: Wir hatten zwar weniger Fälle als im vergangenen Jahr. Dafür war 2023 geprägt von sehr ermitttlungs-intensiven Fällen. Zum Beispiel der rätselhafte Tod von Halil Oguz in der Francestraße, die Säuglingsleiche im Westend oder die Frau, auf am Waldrand in Sauerlach brutal umgebracht wurde. Zuletzt hatte uns sehr intensiv unter anderem der getötete Obdachlose vom Englischen Garten beschäftigt. Wir sind froh, dass wir drei Wochen nach der Tat einen Tatverdächtigen festnehmen konnten.

Er leitet seit 2021 die Mordkommission: Stephan Beer.
Er leitet seit 2021 die Mordkommission: Stephan Beer. © Jens Hartmann fuer tz

Wie viel Zeit bleibt den Mordermittlern bei einem neuen Fall für schnelle Aufklärung? Gibt es da eine Art Faustformel?
Beer: Entscheidend sind die ersten Tage. Wenn wir dann noch vor einem ungeklärten Delikt stehen, stocken wir das Personal auf – kommissionsübergreifend und teils mit externer Unterstützung. So war es bei der Ermittlungsgruppe „Renata“: Bei dem Fall ging es um Jugendkriminalität in Neuhausen. Es gab eine versuchte Tötung mit unfassbarer Gewalteinwirkung. An dem Fall haben an einem Einsatztag über 180 Kollegen gearbeitet.

Das sind ungewöhnlich viele, oder?
Beer: Mir war wichtig, vor allem in diesem extremen Fall ein Zeichen zu setzen. Deshalb sind wir da massiv reingegangen. Unsere Leitlinie ist ganz klar: Null Toleranz gegen Gewalt. Das Klientel darf wissen: Unsere Aufklärungsquote ist enorm hoch. Irgendwann stehen wir vor der Tür.

Genauso war es im Fall Renatastraße: Ein 21-Jähriger sitzt nun wegen versuchten Mordes in U-Haft.
Beer: Solche Aufklärungen sind ein absoluter Erfolg für uns und das gesamte Polizei-Präsidium.

Bei anderen Fällen kommen die Ermittler nicht voran. Der ungeklärte Isarmord hat sich heuer zum zehnten Mal gejährt. War die ungewöhnliche Plakataktion am Tatort ein Erfolg?
Beer: Mit Blick auf den zehnten Jahrestag war unser Ziel, jede Chance zu nutzen. Wir wollten die Öffentlichkeit sensibilisieren und haben uns Hinweise zum Tod von Domenico Lorusso erhofft.

Gab es Rückmeldungen?
Beer: Insgesamt hatten wir 31 Hinweise aufgrund der Plakataktion. Aber leider Gottes haben sie bisher nicht zur Aufklärung der Tat geführt.

Das heißt: Die Polizei hofft weiter auf einen DNA-Treffer? Die Technik wird ja stetig verbessert, der Info-Austausch zwischen den EU-Ländern auch.
Beer: Definitiv. Überall, wo wir ein Vollmuster von der DNA haben, setzten wir tagtäglich auf einen so genannten Spur-Person-Treffer – den wir vielleicht auch aus dem Ausland bekommen. Etwa, wenn der Täter ein weiteres Verbrechen begeht und erkennungsdienstlich behandelt wird. Das Muster des Isarmörders ist in der DNA-Analysedatei eingestellt. Trotzdem setzen wir weiter auch auf Hinweise.

Eine ähnliche Situation gibt es im Mordfall Sonja Engelbrecht. An den sterblichen Überresten, die im März 2022 entdeckt wurde, konnte DNA gesichert werden. Es gibt aber noch keinen Treffer, oder?
Beer: Wir haben ein möglicherweise tatrelevantes DNA-Muster. 2022 wurden 50 Männer zum Speicheltest gebeten. Erst vor Ende November waren wir wieder in Kipfenberg für weitere 80 DNA-Tests. Wir haben mittlerweile schon über 200 Personen überprüft. Leider bislang ergebnislos.

Wie geht es weiter?
Beer: Die forensische Untersuchung läuft noch. Bei den Folien und Plastiktüten, in denen die Überreste eingewickelt waren, gibt es immens viel zum Auswerten. Wir sind im engen Austausch – haben immer noch kein abschließendes Ergebnis. Zudem sind über 480 Hinweise bei uns eingegangen. Unser Ziel ist es, zeitnah alle offen Spuren abzuarbeiten, sofern es die aktuelle Fallsituation zulässt.

Trifft das auch für den Fall Vanessa Huber zu?
Beer: Ja, auch in diesem Fall haben wir noch Spuren offen. 52 Hinweise sind da bei uns inzwischen eingegangen.

Bei der Suche haben auch Drohnen den Perlacher Forst abgeflogen. Was bleibt von der arbeitsintensiven Aktion?
Beer: Ziel von mir ist, alle technischen Einsatzmittel einzusetzen. Um die Tat aufzuklären, müssen wir alles probieren. Es gab 45.000 Drohnenfotos, die wir mit Unterstützung anderer Kommissariate, Dezernate und Dienststelle ausgewertet haben. Übrig blieben 114 Stellen im Wald, die wir vor Ort überprüft haben. Leider Gottes führte das alles nicht dazu, dass wir Vanessa Huber gefunden haben.

Ihr Schicksal ist damit weiter völlig offen.
Beer: Wir wissen gesichert, dass sie am 5. November 2022 mit ihrem Mann bis 16.40 Uhr beim Einkaufen in Unterhaching war. Und wir wissen gesichert, dass danach das gemeinsame Auto bewegt wurde. Nach einem Streit soll sie dann die Wohnung verlassen haben. Die Gesamtumstände sind merkwürdig. Der Fall ist atypischer Fall für uns. Es gibt ein offenes Verfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts. Wir ermitteln aber auch weiterhin in alle anderen Richtungen.

Haben Sie die Hoffnung, bei einem der großen Fälle im Jahr 2024 voranzukommen?
Vanessa Huber, Sonja Engelbrecht, Domenico Lorusso: Solche Fälle endlich zu klären, ist natürlich das große Ziel der Mordkommission. Das sind wir der Bevölkerung und den Angehörigen schuldig. Mit ist nach etwas mehr als zwei Jahren im Amt sehr bewusst, welch’ immense Verantwortung damit verbunden ist. Aber ich bin nicht allein: Ich habe ein herausragendes Team, das mich jeden Tag unterstützt. Im Endeffekt mache ja nicht ich die Arbeit, sondern meine Kolleginnen und Kollegen. Auch abends, nachts und am Wochenende. Wir wissen: Jeder Fall, der bei uns landet, ist einer zu viel. Es geht um Menschenleben.

Stephan Beer im Gespräch mit Redakteurin Nadja Hoffmann.
Stephan Beer im Gespräch mit Redakteurin Nadja Hoffmann. © Schlaf

Die Fälle in der der Zusammenfassung:
Sonja Engelbrecht: Die damals 19-jährige Sonja Engelbrecht verschwand in der Nacht zum 11. April 1995 vom Stiglmaierplatz in München. Was mit der jungen Frau nach einem Kneipenabend mit Freunden passiert ist, war über 27 Jahre unklar. Nach einem einzelnen Knochenfunden werden die sterblichen Überreste von Sonja Engelbrecht im März 2022 gefunden. Ihr Mörder hatte sie in einer abgelegenen Felsspalte im Wald bei Kipfenberg, nördlich von Ingolstadt gefunden. Seitdem werden die Überreste, die in Folien und Plastiktüten eingewickelt waren, forensisch untersucht. Da DNA an ihnen gefunden wurde, hat die Polizei umfangreiche Speichelproben in Kipfenberg veranlasst. An den Folien befanden sich Reste von weißer Farbe.
Domenico Lorusso: Ein vollkommen willkürlicher Mord: Der Tod von Domenico Lorusso hat vor zehn Jahren ganz München erschüttert. Der junge Italiener ist am 28. Mai 2013 um 22 Uhr seiner Freundin per Rad auf den Heimweg in die gemeinsame Wohnung in Haidhausen. An der Erhardtstraße, auf Höhe des Patentamtes, tritt ein Mann aus dem Dunkeln und bespuckt die Frau. Als Domenico Lorusso umdreht und ihn zur Rede stellt, stich der Unbekannte dem 31-Jähriger ins Herz. Seit der schockierenden Tat hat die Polizei die Daten von 64.000 Telefonen ausgewertet, 5700 Handybesitzer überprüft und 5800 Speichelproben genommen. Denn: Der Täter hat DNA hinterlassen. Zum 10. Jahrestag wird mit einem Plakat an Domenico Lorusso erinnert.
Vanessa Huber: Dieser Fall gibt seit über einem Jahr viele Fragen auf. Am 5. November 2022 geht Vanessa Huber (39) mit ihrem Mann einkaufen. Beide wohnen an der Münchner Straße in Unterhaching. Dort befindet sich auch der Supermarkt, aus dem es Bilder aus der Überwachungskamera von Vanessa Huber gibt. Nach diesem Einkauf verschwindet sie spurlos. Ihr Mann sagt, sie sei nach einem Streit weggerannt. Dabei lässt sie ihr Handy zurück, die EC-Karte ist seitdem unbenutzt. Die Polizei durchsucht den Perlacher Forst, die Flächen entlang der Autobahnen und Gewässer – ohne Fund. Für sie gibt es einen Tatverdächtigen im familiären Umfeld. Mehr nicht. Wer Hinweise zum Verbleib der Frau hat: 089/29100.

Auch interessant

Kommentare