Bizarre Akten zum Haub-Fall - 30 Minuten nach Tengelmann-Todesmeldung fragt seine Frau nach dem Konto-Zugriff
Private Ermittler legen Geheimakten vor, die nicht nur Hintergründe zum rätselhaften Verschwinden des ehemaligen Tengelmann-Chefs Karl-Erivan Haub beleuchten, und dabei einem Hollywood-Thriller gleichen. Diese Unterlagen gewähren auch Einblicke in die extremen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Familie des verschwundenen Milliardärs.
Die Ermittlungen zum mysteriösen Verschwinden des Milliardärs und Tengelmann-Erben Karl-Erivan im April 2018 in den Schweizer Bergen nehmen immer bizarrere Ausmaße an. Es geht um sehr hohe, verschwundene Millionenbeträge des Familienvermögens in Russland. Um eine fast 20 Jahre jüngere Geliebte des damals 58 Jahre alten Milliardärs, die eine Agentin des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB sein soll. Und um Beziehungen zu dubiosen Geschäftspartnern, die mit der russischen Mafia und Geldwäschern verstrickt sein sollen.
Die Geheimakten zum Fall Tengelmann, in die ein Investigativ-Team um die RTL-Journalistin Liv von Boetticher FOCUS Einblick gewähte, geben jedoch auch erschreckenden Einblicke in die Haub-Familie und offenbaren eine tiefe Zerrissenheit. Sie könnte sogar die These stützen, dass Karl-Erivan Haub sein spurloses Verschwinden am 7. April 2018 in der gefährlichen Gletscherwelt weit oberhalb von Zermatt nur vorgetäuscht hat.

Von Luxushotel aus koordiniert Familie Suche nach „KEH“
Besonders überraschend ist, wie früh die Zerwürfnisse schon in den ersten sieben Tagen der Suche nach dem Vermissten in Zermatt sichtbar werden.
Die Nachforschungen wurden damals von internen Tengelmann-Ermittlern und Mitgliedern der Haub-Familie in einem „Krisenraum“ des Hotels „The Omnia“ koordiniert, den das Hotel-Management den Haubs im Luxus-Skiort am Matterhorn einrichtete. Es galt als Lieblingshotel des Milliardärs, der im „Omnia“ (EZ nicht unter 600 Euro pro Tag) am Freitag, 6. April, um 18 Uhr eingecheckt hatte.
Neben den beiden Ermittlern Alexander Sprich und Leander Buß, bestens mit Karl-Erivan Haub vertraut, trafen einen Tag nach dessen Verschwinden auch seine Zwillingskinder Erivan und Veronika am 8. April ein. Etwas später folgten Ehefrau Katrin und Mutter Helga.
Im Dezember 2020 fassten Sprich und Buß in einem Treffen mit dem erfahrenen Familienanwalt Mark Binz die wichtigsten Ergebnisse der Ermittlungsarbeit zusammen. Binz vertritt die Interessen des nachgerückten Tengelmann-CEO Christian Haub.
"Die Akte Tengelmann und das mysteriöse Verschwinden des Milliardärs Karl-Erivan Haub" - welche Rolle der russische Geheimdienst spielt und warum deutsche Behörden nicht ermitteln. (FinanzBuch Verlag)
Dem Zwist innerhalb der Familie mit den insgesamt drei Brüdern ist in dem zehnseitigen Protokoll, das der Anwalt von dem Gespräch anfertigen ließ, eine volle Seite gewidmet. Auf Seite 7 wird der kritischste Moment beschrieben, als Sprich die Familie von „KEH“, wie der vermisste Milliardär abgekürzt wird, darüber informiert, dass für Karl-Erivan „keine Überlebenschance mehr bestünde“.

Nur 30 Minuten wird um verschollenen Familienvater getrauert
Die Trauer auf diese Nachricht, heißt direkt im Anschluss, sei nur von „kurzer Dauer“ gewesen. „Bereits eine halbe Stunde später sei es nur noch um Geldthemen gegangen“, wird Sprich im Konjunktiv zitiert, „insbesondere wie KH ( Katrin Haub, Anm.d.Red. ) Zugriff auf die Konten bekomme und ob das Gehalt von KEH weiterbezahlt werde“. Katrin Haub, so steht es in dem Protokoll, sei es „stets sehr wichtig, dass sie Milliardäre und nicht bloß Millionäre“ seien. Dennoch habe sie keinen Zugriff auf Geld gehabt, „als KEH noch lebte“. Es sei mehrmals vorgekommen, „dass der Personenschützer für sie Geld bei der Bank abholen sollte, das Konto aber nicht gedeckt gewesen sei und KEH erst wieder einen entsprechenden Betrag auf das Konto überweisen musste“.
Die Unterrichtung der Familie noch in Zermatt über den mutmaßlichen Tod von Karl-Erivan Haub dürfte spätestens am Mittwochabend, 11. April 2018, stattgefunden haben. Denn laut Zeit-Protokoll des internen Sicherheitsdienstes haben Kinder, Ehefrau und Mutter von KEH Zermatt am frühen Donnerstagmorgen wieder verlassen. Der Streit um das Geld brach damit sogar mindestens drei Tage vor jenem Augenblick los, als die Bergretter die Personensuche nach Karl-Erivan Haub komplett einstellten.

Auch das Zerwürfnis mit Christian Haub schwelt ohne dessen Anwesenheit in Zermatt
Und auch um die Anwesenheit weiter Familienmitglieder habe es Streit gegeben. Als in der Familie von Karl-Erivan „bekannt wurde“, dass Bruder Christian mit seiner Frau ebenfalls in das berühmte Matterhorn-Bergdorf auf 1600 Metern Höhe reisen wollte, sei „die Suche nach KEH für einen ganzen Tag bloße Nebensache“ geworden, heißt es in dem Protokoll von Anwalt Binz weiter. Der Grund: Katrin Haub habe versucht zu verhindern, dass ihre Schwägerin mitkomme. Und dass sie für den Fall, dass sie anreiste, „nicht im Hotel übernachte und Christian Haub nicht Mitglied des Krisenstabes werde“.
Dies hat Christian Haub in einem Gespräch mit dem „Manager Magazin“ Ende 2020 so bestätigt. „Das tragische Schicksal meines Bruder war eine Chance für unsere Familie, wieder näher zusammenzurücken“, wird der nachgerückte CEO zitiert. „Aber das hatte sich schon nach 48 Stunden erledigt, als uns meine Schwägerin mitteilte, dass ich ihr zwar bei der Suchaktion beistehen dürfe, meine Frau aber unerwünscht sei.“

Christian Haub: „Unsere Familie hat nie gut harmoniert“
Schon damals berichtete das Magazin, dass mit dem Verschwinden ein „brutaler Konflikt“ in der Familie aufgebrochen sei, bei dem es um „Macht, Milliarden, Eitelkeiten und seelische Verletzungen“ ginge. Der Streit um das Erbe von Karl-Erivan Haub ging so weit, dass die verschiedenen Familienteile „fast nur noch über Anwälte“ kommunizierten.
„Unsere Familie hat nie gut harmoniert. Mein Vater konnte nicht von der Macht lassen“, erzählte Christian Haub. „Diesen Machtanspruch haben unsere Eltern meinem Bruder Karl-Erivan eingeimpft, er hat ihn verinnerlicht und perfektioniert“. Als Christian Haub, Jahrgang 1964 und damit der Jüngste der drei Haub-Brüder, 1992 nach einem Wirtschaftsstudium als Investment-Banker zurück nach Deutschland will, um im familieneigenen Unternehmen mitzuarbeiten, „haben das meine Eltern abgelehnt“, so Haub.
Und auch vor Georg Haub (Jahrgang 1962), dem dritten Bruder, ist in den Streit involviert. Karl-Erivan hatte ihn jahrelang beschatten und überwachen lassen, nachdem 2010 herausgekommen war, dass er einem Ex-Investment-Banker, dem Kontakte zur organisierten Kriminalität nachgesagt worden waren, eine Generalvollmacht über seinen Unternehmensanteil von einem Drittel übertragen hatte. Als die Nachforschungen aufflogen, habe Georg die Auszahlung seines Firmenanteils verlangt. Nur ein „Sonderbonus“ in Höhe von 50 Millionen Euro aus der Tasche des Vaters habe Georg laut Manager-Magazin dazu bewegen können, an Bord zu bleiben.

Aufregung um eidesstattliche Versicherung zum Tod von KEH
Mit der Todeserklärung von Karl-Erivan Haub im Mai 2021 und einem Deal zwischen den verschiedenen Familienmitgliedern schien zunächst Ruhe in den Erbstreit der Familie eingekehrt zu sein.
Doch das könnte sich möglicherweise schon bald ändern. Der Grund ist eine eidesstattliche Versicherung, die Christian Haub am 10. Mai 2021 am Amtsgericht Köln abgab. Diese Erklärung steht in bizarrem Widerspruch zu den Ergebnissen sowohl interner als auch externer Ermittler in Bezug auf das Verschwinden von KEH, die Christian Haub selbst in Auftrag gegeben hatte. Auch FOCUS online hat nach Einsicht in die Geheimakten über diese zum Teil krassen Unstimmigkeiten schon berichtet.
Die Merkwürdigkeiten betreffen sogar biometrische Fotos, die den lebenden Karl-Erivan Haub 2021 in Moskau zeigen sollen. Nach den Recherchen von von Boetticher wurden sie von einem israelisch-amerikanischen Unternehmens geliefert, das sich Zugang zu den Kameras verschafft hatte.* Die Journalistin, die die Bilder persönlich mit einem Anwalt in Augenschein genommen hat, bestätigte den Eindruck, dass auf den Bildern eine Person zu sehen ist, die Karl-Erivan Haub sein könnte. Zudem lagen ihren Recherchen zufolge diese Bilder Christian Haub vor der Abgabe seiner eidesstattlichen Versicherung vor.
Für die Überbringung des finalen Beweises, dass KEH noch lebt, war Christian Haub eine Millionensumme versprochen worden. Neben der Echtheit des Fotos zählten dazu auch Haubs neuer Name und sein Aufenthaltsort. Von Boetticher ist es sogar gelungen, im Bundesanzeiger den Eingang dieser hohen Summe an das Unternehmen nachzuweisen, dass diese Informationen beschaffen wollte. Christian Haub hingegen hatte in seiner Versicherung an Eides statt unter anderem behauptet, dass ihm „keine belastbaren Hinweise, geschweige denn Beweise“ vorlägen, „dass mein Bruder Charlie ( Karl-Erivan, Anm.d.Red ) noch leben könnte“.

Schwere Vorwürfe an Staatsanwaltschaft
Da die Staatsanwaltschaft Köln bislang weiterhin keinen Anfangsverdacht einer Straftat erkennen mag, die von Boetticher Christian Haub wegen mutmaßlicher Falschaussagen in der eidesstattlichen Erklärung vorwirft, legte die Investigativ-Journalistin am Donnerstag eine Beschwerde im Rahmen der Dienstaufsicht vor.
Strafrechtsanwältin Julia von Dreden, die die Beschwerde mit der Journalistin einreichte, sagte RTL, es sei "mehr als als nur zweifelhaft“, ob sich der zuständige Oberstaatsanwalt mit dem Inhalt der Strafanzeige sowie den beigefügten Anlagen „auch nur annähernd rechtlich wie tatsächlich im Rahmen der ihm gesetzlich auferlegten Ausforschungspflicht“ auseinandergesetzt habe.
Die Rechtsanwältin fordert, „ein förmliches Ermittlungsverfahren“ gegen Christian Haub einzuleiten und den bestehenden Sachverhalt „aufzuklären“. Ein Anfangsverdacht gegen Christian Haub wegen der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung sei aus Sicht der Beschwerdeführerin „unzweifelhaft“ gegeben.
* In einer früheren Version hieß es, die Fotos seien von Überwachungskameras eines israelisch-amerikanischen Unternehmens gemacht worden. Dies ist nicht korrekt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
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