Höhere Beiträge, mehr Steuerzuschüsse - Wer 14 Jahre Beiträge zahlt, bekommt nichts – dieses Rentensystem will Wagenknecht

  • Im Video: Millionen Deutsche bekommen weniger als 1200 Euro Rente - trotz 45 Jahren Arbeit

Fast jede zweite Rentnerin in Deutschland erhält nach 45 Versicherungsjahren weniger als 1300 Euro Rente, das sind rund 800.000 Frauen. Bei den Männern sind es knapp 704.000, also etwa jeder Fünfte. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Fraktion „Bündnis Sahra Wagenknecht“ hervor, die dem „Stern“ vorliegt. Daran ändert sich wenig, auch wenn sich die rund 22 Millionen Rentner ab 1. Juli 2025 auf eine Rentenerhöhung von 3,51 Prozent einstellen können.

Wagenknecht will sich am Rentensystem Österreichs orientieren

„Wenn jede zweite Frau nach 45 Jahren weniger als 1300 Euro aus der gesetzlichen Rente bekommt, zeigt das, wie die gesetzliche Rente als Alterssicherung kaputt gemacht wurde“, sagte BSW-Chefin Sahra Wagenknecht dem „Stern“. Sie forderte eine grundlegende Reform des Systems. „Das Zusammenspiel aus oft niedrigen Löhnen und einem im europäischen Vergleich dürftigen Rentenniveau ist besonders frauenfeindlich. Wir fordern ein an der Wirklichkeit erprobtes Rentensystem wie in Österreich: Alle zahlen ein, auch Politiker, Selbstständige und Beamte.“

Ein Alternativkonzept bleibt sie aber erneut schuldig, dabei sind die Kosten immens. Wagenknecht wiederholt nur die bestehende Position ihrer Partei, wonach sich Deutschland am Rentensystem Österreichs orientieren sollte. Das hatte die Bundestagsgruppe der BSW bereits im März als Antrag ins Parlament eingebracht, den Ampel-Plan als Casino-Rente bezeichnet und auch im Juli die niedrigen Renten in Deutschland als „politischen Skandal“ kritisiert. Doch was bedeutet das „Vorbild Österreich“ eigentlich für Deutschland?

1. Höheres Rentenniveau

In Österreich erhalten Rentner nach 45 Beitragsjahren mit durchschnittlichem Einkommen rund 87 Prozent ihres letzten Netto-Gehalts als Rente. In Deutschland lag dieser Wert 2023 bei rund 55 Prozent. Das macht in absoluten Zahlen gewaltige Unterschiede. Das durchschnittliche Netto-Einkommen in Deutschland lag 2023 bei 2426 Euro. 55 Prozent davon wären 1334 Euro netto. Würde das Niveau in Deutschland auf das von Österreich angehoben, bekäme ein durchschnittlicher Rentner 2111 Euro netto pro Monat. Das wäre ein Plus von 777 Euro oder rund 58 Prozent.

2. Mehr Rentenzahlungen

In Österreich werden pro Jahr 14 Monatsrenten ausgezahlt, in Deutschland nur 12. Die Extra-Renten gibt es im April und Oktober. Das erhöht den Unterschied zu deutschen Rentnern noch weiter. Würde in Deutschland dasselbe Rentenniveau wie in Österreich gelten und diese 14-mal pro Jahr ausgezahlt, läge das Netto-Einkommen eines Durchschnittsrentners bei rund 29.500 Euro statt 16.000 Euro. Das wären rund 84 Prozent mehr pro Jahr.

3. Früherer Renteneintritt

Es wird noch besser, denn in Österreich liegt die Regelaltersgrenze für Männer bei 65 Jahren statt bei 67 Jahren wie bei uns. Für Frauen galt bis zum vergangenen Jahr die Grenze von 60 Jahren, sie wird jetzt aber pro Jahr um sechs Monate angehoben, bis sie auf einem Niveau mit dem Männern liegt. Das erhöht die Rentenzahlungen über das Leben gesehen noch mehr. Bis zum 85. Geburtstag erhalten Männer in Österreich mit der Durchschnittsrente demnach rund 590.000 Euro, Frauen nach bisheriger Regelung sogar 737.500 Euro. In Deutschland kommt ein Rentner, der 2023 in den Ruhestand geht, bis zu seinem 85. Geburtstag nur auf 304.000 Euro, also maximal rund die Hälfte des österreichischen Pendants.

4. Höhere Kosten

So viel mehr Ausgaben kosten aber auch mehr Geld. Laut OECD zahlte Österreich 2022 rund 13 Prozent seines Bruttoinlandproduktes für das Rentensystem. In Deutschland waren es nur 10,4 Prozent. Würden wir uns da dem österreichischen Vorbild angleichen, wären das zusätzliche Kosten von rund 110 Milliarden Euro pro Jahr.

5. Höhere Abzüge, weniger Belohnungen

Die höheren Renten gelten zudem nur dann, wenn Sie bis zur Regelaltersgrenze arbeiten. Zwar können Sie auch in Österreich früher in den Ruhestand gehen, die Abzüge sind dann mit 4,2 Prozent pro Jahr aber höher als in Deutschland mit 3,6 Prozent. Ebenso gibt es für jedes Jahr, dass sie in Österreich über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten, nur einen Zuschlag von 4,2 Prozent. In Deutschland sind es 6,0 Prozent.

6. Alle zahlen in die Rentenkasse ein

Um die hohen Ausgaben zu bezahlen, sind in Österreich alle Arbeitnehmer, also auch Beamte und Selbstständige, dazu verpflichtet, in die Rentenkasse einzuzahlen. Das erhöht die Einnahmen der Versicherung, allerdings muss sie auch höhere Ausgaben leisten. In Deutschland wäre das auch machbar, allerdings glauben Ökonomen, dass sich an der Finanzlage der Rentenversicherung dadurch nur so lange etwas verbessern würde, bis eine kritische Menge an Selbstständigen und Beamten auch Rente bezieht. Dann dürften sich das Saldo sogar gegenüber heute verschlechtern, weil die beiden Gruppen meiste eine höhere Lebenserwartung bei überdurchschnittlichen Gehältern haben.

7. Der Beitragssatz ist deutlich höher

Während in Deutschland 18,6 Prozent Ihres Lohns an die Rentenversicherung fließen, sind es in Österreich 22,8 Prozent. Allerdings sind diese nicht wie bei uns gleich auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgeteilt. Unternehmen zahlen 12,55 Prozent des Lohns als Beitrag, Arbeitnehmer nur 10,25 Prozent. Das ist trotzdem mehr als bei uns. Ein durchschnittlicher deutscher Vollzeit-Erwerbstätiger mit einem Bruttolohn von 4323 Euro hätte demnach pro Monat rund 41 Euro weniger netto in der Tasche. Für das Unternehmen würde die Kosten für diesen Beispiel-Angestellten um rund 140 Euro pro Monat steigen. Die Lohnkosten würden dadurch um rund 2,7 Prozent steigen.

8. Sie müssen länger für die Rente arbeiten

In Deutschland reichen schon fünf Beitragsjahre, um im Alter Anspruch auf eine Rente zu haben. Die wird dann zwar entsprechend gering sein, aber immerhin gibt es etwas. In Österreich haben Sie erst nach mindestens 15 Beitragsjahren einen Anspruch. Entsprechend sind die Mindest-Renten in Österreich viel höher, weil sie auf höheren Beitragszahlungen beruhen. Statistisch verzerrt das den Vergleich der Durchschnittsrenten beider Länder, praktisch ist es vor allem für Frauen ein Nachteil. Erstens haben diese durch das bisher niedrigere gesetzliche Rentenalter sowieso weniger Zeit, Beitragsjahre zu sammeln, zweitens verlieren sie zusätzliche, wenn sie etwa nach der Geburt von Kindern als Hausfrau arbeiten und keine Beiträge mehr bezahlen. Dann werden auch Beitragsjahre von vor den Geburten nicht für die Rente berücksichtigt, selbst, wenn die Frau 14 Jahre lang gearbeitet hat. Die Beiträge sind dann für die Katz.

9. In Österreich gibt es nur die gesetzliche Rente

Die gesetzliche Rente mag in Deutschland niedriger sein, sie ist aber nur für wenige Rentner die einzige Einnahmequelle im Alter. Von den rund 21,3 Millionen Rentnern bezogen rund 4,154 Millionen neben der Alters- auch noch eine Hinterbliebenenrente . In Österreich sind es nur 310.000 Personen. Das ist deutlich weniger, selbst, wenn man berücksichtigt, dass Österreich deutlich kleiner als Deutschland ist und nur rund neun Millionen Einwohner hat.

Auch Betriebsrenten sind in unserem Nachbarland rar. Während sie dort nur rund 120.000 Personen erhalten, sind es in Deutschland rund zehn Millionen Menschen. Die durchschnittliche Höhe liegt bei 360 Euro pro Monat, was die Lücke zu Österreichs Rentenniveau in etwa halbiert.

Was ebenfalls in Österreich fehlt, ist die in Deutschland gängige „Rente mit 63“ , also die Möglichkeit, nach mindestens 45 Beitragsjahren schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze ohne Abschläge in den Ruhestand zu gehen. Praktisch liegt das Alter dafür in Deutschland mittlerweile bei 65 Jahren.

Und zuletzt ist die private Altersvorsorge in Österreich weit weniger etabliert als in Deutschland. Zwar gibt es auch hier ein staatlich gefördertes Modell ähnlich der Riester-Rente, aber es fristet ein Nischendasein. Die Bürger nutzen es kaum, weil sie sich auf die staatliche Rente verlassen, für die Versicherer lohnt es sich kaum, weil sie für Verluste bei der Geldanlage haften müssen.

Laut Statista machten deswegen die gesetzlichen Renten in Deutschland 2019 nur rund 61 Prozent der Einnahmen von Rentnern aus. 30 Prozent stammten aus privaten Vorsorgen inklusive Eigenheimen, Mieteinnahmen und ähnlichem, acht Prozent aus Betriebsrenten und ein Prozent aus Transferleistungen wie der Grundsicherung im Alter.

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