„Wir haben keine Rezession“: Realitätsverweigerung im Kanzleramt – Ökonomen halten dagegen
Nach Ansicht des Kanzleramtschefs Wolfgang Schmidt ist die Wirtschaft gar nicht in einer Rezession. 2024 werde die Konjunktur sogar wachsen.
Berlin – Die Laune in der Wirtschaft könnte aktuell kaum schlechter sein – genau genommen ist sie so schlecht wie seit 2020 nicht mehr. Das hat das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einer neuen Analyse zumindest festgestellt. Das Barometer für die aktuelle Situation fiel demnach im Februar um 4,4 auf minus 81,7 Punkte – so schlecht wie seit Pandemiezeiten nicht mehr.
Auch andere Wirtschaftsexperten, wie das ifo Institut und das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik sehen das Rezessionsrisiko in Deutschland als besonders hoch an. Einer aktuellen Auswertung zufolge sei das Rezessionsrisiko nur in den Niederlanden und Großbritannien so hoch wie in Deutschland.
SPD-Politiker: „Wir haben keine Rezession“
Derweil ist Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt allerdings anderer Meinung. „Wir haben keine Rezession“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag (13. Februar) in Berlin beim Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). „Wir werden in diesem Jahr Wachstum erleben“, fügte er hinzu und verwies auf sehr hohe Investitionen der Bundesregierung. Zu 58 Milliarden Euro im Haushalt kämen noch 49 Milliarden Euro aus dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF). Die Begleiterscheinung einer Rezession seien derzeit nicht zu sehen. „Der Arbeitsmarkt ist sehr stabil.“ Auch die Reallöhne seien wieder gestiegen, was zu einer erhöhten Kaufkraft führen werde.

Schmidt verwies auf weitere nötige Reformen, vor allem beim Bürokratieabbau. Zudem habe die Regierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel beschlossen. Allerdings könne Deutschland wegen der Schuldenbremse im Grundgesetz nicht den Weg wie etwa die USA gehen, Investitionen durch eine massive Verschuldung zu finanzieren. Allein der Ukraine-Krieg bedeute eine Belastung im Bundeshaushalt 2024 von rund 17 Milliarden Euro.
Deutsche Wirtschaft mit einem Bein in der Rezession
Seit Monaten streiten Politiker und Experten über den Zustand der Volkswirtschaft. Während Kanzler Olaf Scholz betonte, dass die Lage besser sei als die Stimmung, halten Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) zusätzliche Impulse für die Konjunktur für nötig. Das ZEW-Barometer misst genau diese Stimmung – und kommt dabei auf den tiefsten Stand seit Juni 2020. „Die deutsche Wirtschaft steht nicht gut da“, sagte deshalb ZEW-Präsident Achim Wambach. In der Regierung war mehrfach der Vorwurf erhoben worden, dass der Zustand der Wirtschaft runtergeredet werde.
Institute trauen Europas größter Volkswirtschaft in diesem Jahr bestenfalls ein leichtes Wachstum zu. Das ifo Institut geht von einem Plus von 0,7 Prozent aus, während das gewerkschaftsnahe IMK einen Rückgang von 0,3 Prozent prophezeit – in diesem Tempo war es bereits 2023 nach unten gegangen.
Aktuell steht die deutsche Wirtschaft mit einem Bein in der Rezession. Sie schrumpfte im vierten Quartal 2023 um 0,3 Prozent. Kommt es im laufenden ersten Vierteljahr zu einem erneuten Rückgang, wird von einer technischen Rezession gesprochen. Die Bundesbank rechnet „bestenfalls“ mit einer Stagnation von Januar bis März. (wal/reuters)