CDU im Koalitionsdilemma - Experte analysiert: Mit diesen Taktiken lenken SPD und Grüne die Verhandlungen

 

Damals stand die SPD vor der Frage, erneut mit Angela Merkel zu regieren – einer Kanzlerin, mit der sie bereits acht Jahre lang koaliert hatte und die in der Partei große Sympathien genoss. SPD-Chef Sigmar Gabriel ging sogar so weit, sich selbst als „Vorsitzenden des sozialdemokratischen Fanclubs von Angela Merkel“ zu bezeichnen.

Eine derart überschwängliche Aussage wird man von SPD-Chef Lars Klingbeil über Friedrich Merz wohl kaum hören. Ihr Verhältnis gilt als distanziert – ein enger Draht zwischen den beiden ist nicht erkennbar.

Seitdem Merz im Bundestag seinen 5-Punkte-Plan zur Abstimmung brachte, hat sich auch das einst durchaus stabile Verhältnis zu SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich endgültig zerschlagen. Dessen scharfe Worte („Sündenfall“, „Tor zur Hölle“) verdeutlichen die Eskalation. Die vergangene Woche im Bundestag hat mehr als nur Kratzer hinterlassen – sie hat tiefe Gräben aufgerissen.

Auch die Jugendorganisationen der beiden möglichen Koalitionsparteien, die Grüne Jugend und die Jusos, werden erhebliche Zugeständnisse fordern, um Merz zum Kanzler zu wählen. Beide äußerten sich kritisch zur CDU und forderten ihre Parteien auf, einer Zusammenarbeit mit der Union eine klare Absage zu erteilen oder nur unter erheblichen Zusagen in eine Koalition zu gehen.

Die Jugendorganisationen als unsichtbarer Machtfaktor am Verhandlungstisch

Die Grüne Jugend übt aktuell einen erheblichen internen Druck auf die Parteiführung aus, um eine Zusammenarbeit mit der CDU zu verhindern. Sie hat in der Partei eine starke Stellung, da sie nicht nur eine große Mitgliederbasis mobilisieren kann, sondern auch über ein gut vernetztes Aktivistennetzwerk verfügt.

Besonders bei der Vergabe von Listenplätzen übt sie erheblichen Einfluss aus, indem sie innerparteiliche Mehrheiten für junge Kandidaten mit progressiven Positionen organisiert. Durch diese Strategie gelingt es der Grünen Jugend regelmäßig, Vertreter ihrer politischen Linie in den Bundestag und Landesparlamente zu bringen.

Neben ihrem generellen Einfluss auf die Parteiführung hat die Grüne Jugend mit einem eigenen 10-Punkte-Plan zur Migration zur Migration einen Gegenentwurf zu Habecks Vorschlag vorgelegt. Dieser fordert eine noch liberalere Asylpolitik, den Stopp jeglicher Abschiebungen, eine Aufhebung der Residenzpflicht für Geflüchtete und eine massive Erhöhung der finanziellen Mittel für Migrationsprogramme. Zudem lehnt die Grüne Jugend jegliche Form von Migrationsbegrenzung oder -kontrolle ab und fordert die vollständige Entkriminalisierung illegaler Einreisen.

Diese Forderungen stehen nicht nur im Widerspruch zum CDU-Programm, sondern gehen auch über Habecks Positionen hinaus, was innerhalb der Grünen zu innerparteilichen Konflikten in laufenden Koalitionsverhandlungen führen kann. Die Parteiführung wird vor der Herausforderung stehen, zwischen den radikaleren Positionen der Grünen Jugend und pragmatischen Koalitionsoptionen mit der CDU zu balancieren.

Durch öffentliche Statements, Protestaktionen und innerparteiliche Debatten wird aktuell schon versucht, die Grünen-Spitze zu einem aufzeigen von weiteren roten Linien noch vor den Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu drängen. Eine Situation die zukünftige Verhandlungen erschwert.

Die Jusos als Jugendorganisation der Sozialdemokraten lehnen eine Koalition mit der CDU strikt ab und positionieren sich als starke innerparteiliche Kraft gegen eine Zusammenarbeit mit der Union. Im Gegensatz zur Grünen Jugend, die oft erfolgreich eigene Kandidaten über Listenplätze in Parlamente bring, verfügen die Jusos über eine breite Basis die aktiv an der Gestaltung der Parteiprogrammatik mitwirken.

Auch Lars Klingbeil, der heutige Parteivorsitzende, begann seine politische Karriere bei den Jusos. Diese enge personelle Verflechtung sorgt dafür, dass die Positionen der Jusos in der SPD-Führung oft Gehör finden. Ihr Widerstand könnte insbesondere in der Mitgliederbefragung zur Koalitionsbildung eine entscheidende Rolle spielen und damit die möglichen Verhandlungen zwischen CDU und SPD erheblich erschweren.

Politische Folgen und Verhandlungsdynamik

Die CDU befindet sich nun in einer schwierigen Lage: Einerseits wollte sie mit dem Gesetzesentwurf ein starkes Signal an ihre konservativen Wähler senden. Andererseits steht sie nun vor dem Problem, dass SPD und Grüne die Annäherung an die AfD als Vertrauensbruch werten und eine Koalition und Zusammenarbeit mit der CDU vor ihren Mitgliedern und in der Öffentlichkeit in Frage stellen. Damit könnten sich die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl als noch schwieriger erweisen.

Zusätzlich wurde in den politischen Debatten nach der Bundestagssitzung deutlich, dass nicht nur die Oppositionsparteien SPD und Grüne den CDU-Kurs kritisierten, sondern auch aus den eigenen Reihen teils Unmut laut wurde. Auch wenn auf dem Parteitag der Union Geschlossenheit signalisiert wurde, könnten in den Koalitionsverhandlungen wieder vermehrt Stimmen laut werden, die Zugeständnisse an das politische Gegenüber fordern, um den Vertrauensverlust auszugleichen. Die Spaltung innerhalb der CDU könnte sich in den anstehenden Koalitionsverhandlungen als große Hürde erweisen, da die Führung um Merz sich sowohl gegenüber potenziellen Partnern als auch gegenüber ihrer eigenen Basis rechtfertigen muss.

Ein weiterer problematischer Punkt für die CDU ist nach wie vor die öffentliche Wahrnehmung des Vorfalls. In den Medien wird die Zusammenarbeit mit der AfD kontrovers diskutiert. Während einige Blätter wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Die Welt“ den Vorstoß der CDU als überfällige Maßnahme in der Migrationspolitik loben und betonen, dass klare Regelungen notwendig seien, um Kontrolle über Migration zu behalten, kritisieren andere Medien, darunter der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“, die Annäherung an AfD-Positionen als strategischen Fehler.

Auch international hat der Vorfall Wellen geschlagen. In der EU gibt es bereits besorgte Stimmen, die darauf hinweisen, dass eine vermeintliche Annäherung der CDU an AfD-Positionen zu einer Schwächung der pro-europäischen Kräfte in Deutschland führen könnte. Dies könnte insbesondere in den Verhandlungen mit Grünen oder SPD eine Rolle spielen, da beide Parteien eine pro-europäische Haltung betonen und klare Signale gegen eine selbst heraufbeschworene „Radikalisierung der CDU“ verlangen könnten.

Die mediale Betrachtung kann die Verhandlungsposition der CDU nach der Wahl auf jeden Fall schwächen, da SPD und Grüne in den Koalitionsgesprächen fordern könnten, dass sich die CDU klar von der AfD distanziert und ein solches Vorgehen in Zukunft ausschließt. Zusätzlich könnte der Einstiegspreis für eine Koalition mit weiteren Forderungen ohne Gegenleistung nach oben getrieben werden.

Herausforderung: Friendly Fire

Als Friendly Fire bezeichnet man den Beschuss oder Angriff auf eigene oder verbündete Kräfte. Eine Formulierung die durchaus auch auf das Verhältnis zwischen CDU und CSU seine Anwendung finden kann. Was sich in der Vergangenheit des Wahlkampfes 2021 vor der Wahl gezeigt hat, kann sich in der Gegenwart nach der Wahl widerspiegeln.

Traditionell verfolgt die CSU in einigen Politikfeldern, insbesondere in der Migrations- und Innenpolitik, eine konservativere Linie als die CDU. Das bedeutet, dass etwaige Koalitionsverhandlungen nicht nur zwischen CDU und potenziellen Partnern, sondern auch intern zwischen CDU und CSU abgestimmt werden müssen. Ein Beispiel hierfür war die Regierungsbildung 2018, als CSU-Vertreter in den Sondierungsgesprächen eine härtere Linie in der Migrationspolitik forderten, was zu langen Verhandlungen mit der SPD führte.

Dies wird die Verhandlungsführung nach dem 23. Februar für Merz auf jeden Fall nicht leichter machen. Zudem könnte die CSU zu verhindern suchen, dass sich die CDU zu weit in Richtung einer Zusammenarbeit mit SPD oder Grünen bewegt, insbesondere in den Bereichen Migrationspolitik, Steuerpolitik und Klimaschutz. Während die CDU möglicherweise zu Zugeständnissen bereit wäre, könnte die CSU darauf drängen, an restriktiven Migrationsregelungen festzuhalten, Steuererhöhungen abzulehnen und eine wirtschaftsfreundlichere Klimapolitik zu verfolgen. Die Herausforderung wird darin bestehen die internen schwesterlichen Verhandlungen vor den externen Verhandlungen mit einem potentiellen Koalitionspartner durchgeführt zu haben. Nur so wird eine Geschlossenheit am Verhandlungstisch zum Erfolg führen.

Die Union im Koalitionsdilemma

Wenn sich SPD oder Grüne sich in eine Koalition mit der CDU bewegen, werden sie sich das teuer bezahlen lassen. Nicht weil sie nicht regieren wollen, sondern weil sie nun einen Vertrauensverlust vorschieben können, um ihr Verhandlungsfeld zu vergrößern. Als Begründung kann angeführt werden, dass sie eine Zusammenarbeit mit der Union gegenüber ihren Mitgliedern und den Medien überzeugend begründen müsse. Ein zentrales internes Argument könnte sein, dass sie durch eine Regierungsbeteiligung entscheidenden Einfluss auf die politischen Weichenstellungen der nächsten Jahre nehmen können. Besonders in den Bereichen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Bildung könnten sie eigene Akzente setzen und CDU-Positionen in ihrem Sinne abmildern oder gar umkehren. Natürlich nur dann, wenn die Union entgegenkommen signalisiert.

Der Eintrittspreis ist gestiegen - Forderungen für eine Koalition

1. Klimaschutz: Die Grünen könnten als Grundbedingung um überhaupt in Verhandlungen einzutreten ambitionierte Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele einfordern, darunter einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien, strengere Emissionsgrenzen für Unternehmen und eine umfassendere CO2-Bepreisung. Die SPD könnte darauf drängen, dass Klimaschutzmaßnahmen sozial abgefedert werden, beispielsweise durch staatliche Förderprogramme für einkommensschwache Haushalte. Dies alles unter der Lockerung der Schuldenbremse.

2. Soziale Gerechtigkeit: Die SPD würde in Koalitionsverhandlungen auf eine stärkere Umverteilung und eine der eigenen Programmatik nach gerechterer Steuerpolitik bestehen. Dazu könnte eine Vermögenssteuer oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes gehören. Die Grünen könnten ähnliche Forderungen unterstützen, jedoch mit demFokus auf nachhaltige Investitionen in Bildung und Infrastruktur.

3. Arbeitsmarkt und Mindestlohn: Eine Anhebung des Mindestlohns sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere im Pflege- und Gesundheitssektor, könnten zentrale Forderungen der SPD sein um an den Koalitionstisch zu kommen und den „Tabubruch“ der Union vergessen zu machen. Die Grünen könnten darauf drängen, dass nachhaltige Wirtschaftsmodelle stärker gefördert werden, um langfristige Arbeitsplätze in grünen Industrien zu schaffen.

Klare Abgrenzung zur AfD: Ein Sprungbrett für weitere Forderungen?

Die Zustimmung der AfD zu einem CDU-Gesetzesvorhaben wird aktuell und voraussichtlich auch in Koalitionsverhandlungen von SPD als auch Grünen als Argument gegen eine Koalition mit der CDU genutzt. Dadurch könnten sie die Verhandlungen erschweren, indem sie höhere Einstiegshürden setzen und erste politische Zugeständnisse seitens der CDU fordern, bevor sie ernsthafte Gespräche über eine Regierungsbeteiligung aufnehmen.

Beide Parteien werden wohl darauf bestehen, dass die CDU eine klare Distanz zur AfD wahrt, um sich als verlässlicher demokratischer Partner zu positionieren. Dies kann durch die Forderung nach einem offiziellen Parteitagsbeschluss der CDU/CSU, ein öffentliches Statement oder die Ablehnung jeder weiterer Gesetzesinitiativen erfolgen, die AfD-Unterstützung erhalten könnten.

Zusätzlich könnten SPD und Grüne als Bedingung für eine Koalition fordern, dass keine CDU-Politiker mit einer bekannten Nähe zu AfD-Positionen Schlüsselministerien übernehmen. Diese Forderung würde damit begründet werden, dass innerhalb der Regierung ein klarer Kurs gegen rechtspopulistische Strömungen eingehalten wird. Außerdem könnte der Zugriff auf ein zusätzliches Ministerium gefordert werden, um die eigene Basis zu überzeugen.

Die Wählerinnen und Wähler aber könnten den Parteien am 23. Februar Mehrheitsverhältnisse bescheren, in denen ein Bündnis aus Union und SPD als einzige mathematische - und politische - Koalition übrigbleibt. Dann werden die Forderungen der Sozialdemokraten sicher noch höher ausfallen und die Verhandlungen zäher und länger werden.

Deutschlands Zukunft entscheidet sich am Verhandlungstisch

Eine Koalition zwischen SPD oder Grünen mit CDU wird mit erheblichen Herausforderungen verbunden sein. Beide Parteien müssen ihren Wählern überzeugend darlegen, dass sie trotz der ideologischen Unterschiede ihre zentralen Anliegen in der Regierung durchsetzen können. Hinzu kommt die Rolle der CSU, die als eigenständiger Akteur innerhalb der Union oft eine härtere Linie in Fragen der Migrations- und Steuerpolitik vertritt. Die CSU wird in den Verhandlungen darauf bestehen, dass restriktivere Maßnahmen in der Migrationspolitik durchgesetzt werden und Steuererhöhungen vermieden werden, was zu erheblichen Spannungen mit den potentiellen Koalitionspartnern führen wird und die CDU in eine Vermittlerrolle bugsieren kann.

Die persönliche Beziehung der entscheidenden Akteure untereinander wird dabei eine entscheidende Rolle spielen. Die persönlichen und ideologischen Differenzen könnten sich auf die Verhandlungen auswirken und den Prozess erschweren. Diese politischen und persönlichen Differenzen könnten die Verhandlungen erheblich beeinflussen und zu zusätzlichen Spannungen führen.

Merz wird als Vermittler zwischen den progressiven Kräften und der CSU fungieren. Dabei könnte es zu internen Konflikten kommen, insbesondere wenn die CSU sich in zentralen Themen querstellt. Die Grünen könnten sich in einer schwierigen Lage befinden, da sie eine Balance zwischen kompromissbereitem Regierungshandeln und der Wahrung ihrer klimapolitischen Prinzipien finden müssen, von Zugeständnissen in der Migrationspolitik noch gar nicht zu reden. Die SPD wiederum wird versuchen, ihre sozialpolitischen Reformen durchzusetzen. Diese vielschichtige Dynamik ergänzt mit den Ereignissen der letzten Woche werden die Verhandlungen langwieriger, konfliktreicher werden lassen und zahlreiche interne Abstimmungsprozesse erfordern.

Scheitern ist keine Option

Sollten die Verhandlungen allerdings scheitern, könnte dies weitreichende politische Konsequenzen haben. Eine gescheiterte Regierungsbildung könnte Neuwahlen nach sich ziehen, die das politische Kräfteverhältnis weiter verschieben und unvorhersehbare Ergebnisse liefern würden.

Österreich dient als warnendes Beispiel, da dort eine zunehmende politische Fragmentierung und das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte zu schwierigen Regierungsbildungen geführt haben. Ähnlich könnte eine festgefahrene Koalitionsbildung in Deutschland zu Instabilität und wachsendem Einfluss radikaler Parteien führen.

Eine instabile politische Lage kann das Vertrauen in die demokratischen Prozesse schwächen und radikalen Kräften weiter Auftrieb geben. Die Parteien stünden dann vor der schwierigen Aufgabe, entweder neue Mehrheiten zu suchen die es aktuell rechnerisch nicht gibt oder sich auf eine Minderheitsregierung einzulassen, die kaum praktikabel erscheint. Letztlich würde ein Scheitern der Koalitionsgespräche das politische Klima weiter polarisieren und die Handlungsfähigkeit jeder künftigen Regierung stark beeinträchtigen.

Wir können nur hoffen, dass sich die politischen Akteure an ein Zitat von Henry Kissinger erinnern werden: „Verhandlungen sind der einzige Weg, um langfristige Lösungen zu finden – ihr Scheitern jedoch öffnet Tür und Tor für Instabilität.“