Unterkunfts-Notstand für Flüchtlinge: Brandbrief von Olaf von Löwis an Innenminister Herrmann

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Die Berufsschulturnhalle in Miesbach bezeichnete Olaf von Löwis bei der Besichtigung im August als „eine der schlechtesten Unterkunftsarten.“ © Thanner

Aufgrund der zunehmend schwierigen Lage des Unterkunfts-Notstandes für Flüchtlinge verfasst Landrat Olaf von Löwis einen Brandbrief an den Innenminister Joachim Herrmann.

Landkreis – „Wir stehen vor einem Problem, das wöchentlich größer wird, und sehen uns gezwungen, einen offensiveren Weg einzuschlagen“, sagt Landrat Olaf von Löwis. Dieser hat sich angesichts der laut Landratsamt „zunehmend schwierigen Lage bei der Unterbringung von Geflüchteten im Landkreis Miesbach“ in einem Schreiben an Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gewandt und dieses der Presse zugänglich gemacht.

„Mit diesem Schritt soll die Öffentlichkeit transparenter über die Hintergründe informiert werden, um den nötigen Dialog in der Asyl- und Unterbringungsfrage voranzutreiben“, erklärt das Landratsamt. Denn diese gestalte sich als eine immense Herausforderung. „Derzeit ist es nicht mehr möglich, die neu zugewiesenen Geflüchteten im Landkreis Miesbach angemessen unterzubringen“, heißt es weiter.

Das Landratsamt ist gesetzlich verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen. „Leider akzeptieren einige Menschen nicht, dass die Landratsämter hierzu gesetzlich verpflichtet sind und fordern, dass der Landrat die Aufnahme verweigert und die Busse mit Geflüchteten zurückschickt. Das ist aber nicht möglich“, erklärt das Landratsamt. Asylbewerber, die nach Bayern kommen, werden zunächst in einem der Anker-Zentren untergebracht, die von den jeweiligen Regierungsbezirken betrieben werden. Anker steht für „Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung“.

An den in den Einrichtungen vorhandenen Außenstellen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge kann der Asylantrag gestellt werden. Nach einer gewissen Zeit werden die Geflüchteten durch die Regierung auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. „Diese Verteilung erfolgt nach einem festgelegten Schlüssel“, erklärt das Landratsamt: Für Oberbayern beträgt die Quote 35,6 Prozent der in Bayern zu verteilenden Geflüchteten, davon wiederum 2,1 Prozent für den Landkreis Miesbach.

Von Löwis fordert „schnell große Lösungen“ für die Unterkünfte

Innerhalb der Landkreise gibt es zwei Arten der Unterbringung: Gemeinschaftsunterkünfte, die von den Regierungen betrieben werden, und die dezentrale Unterbringung, für die die Kreisverwaltungsbehörden zuständig sind. Die Landkreise und Gemeinden müssen bei der Einrichtung von Gemeinschaftsunterkünften mitwirken, die kreisangehörigen Gemeinden haben bei der Einrichtung der dezentralen Unterkünfte mitzuwirken. Die Verantwortlichen „haben insbesondere geeignete Objekte zur Anmietung anzubieten“, erklärt das Landratsamt.

Joachim Herrmann
Landrat Olaf von Löwis verfasst Brandbrief an Innenminister Joachim Herrmann. (Symbolbild) © Matthias Balk/dpa

Vertriebene aus der Ukraine müssen kein Asylverfahren durchlaufen, ein Asylantrag ist nicht erforderlich. Die Aufnahme von ukrainischen Staatsangehörigen kann auf der Grundlage der sogenannten Richtlinie über den vorübergehenden Schutz in allen EU-Mitgliedstaaten zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen erfolgen. Das Recht dazu, einen Asylantrag zu stellen, besteht unabhängig davon grundsätzlich fort.

„Alle zwei Wochen kommen Busse mit Geflüchteten an – mal sind es 50 Personen, mal 100 – die Unterbringungsmöglichkeiten im Landkreis sind jedoch ausgeschöpft“, warnt das Landratsamt. Seit zwei Jahren sind drei Sporthallen belegt „und sollen (müssen!) so bald wie möglich geräumt werden, damit Schulen und Vereine diese wieder nutzen können“, heißt es weiter. Doch es fehlt an Alternativen. „Der Landkreis verfügt über keine weiteren eigenen Immobilien, die Gemeinden im Landkreis melden von sich aus nicht ausreichend geeignete Unterkünfte, und so sind wir auf die freiwilligen Angebote privater Immobilienbesitzer angewiesen.“

„Unterbringungsmöglichkeiten im Landkreis sind jedoch ausgeschöpft“, schreibt das Landratsamt

Hinzu kommt das Problem der sogenannten Fehlbeleger. Das sind in der Regel anerkannte Asylbewerber und Geflüchtete aus der Ukraine, die eigentlich aus den Asylunterkünften ausziehen müssten, aber oftmals keine Wohnung auf dem freien Markt finden und daher drohen, obdachlos zu werden. „Momentan ,blockieren‘ rund 250 Fehlbeleger (Asyl) sowie die Geflüchteten aus der Ukraine dringend benötigte Plätze, die sonst für Neuankömmlinge genutzt werden könnten“, erklärt das Landratsamt.

„Wir brauchen schnell große Lösungen“, fordert deshalb von Löwis. Obwohl die geplante Containerunterkunft in Warngau 500 Personen aufnehmen soll, stehe bereits fest, dass sowohl aktuell, als auch danach Alternativen gesucht werden müssen. „Doch die Widerstände vor Ort, rechtliche Hürden und die begrenzten Kapazitäten machen die Suche nach Lösungen immer schwerer“, schreibt das Landratsamt.

Landrats Olaf von Löwis schreibt in seinem Brandbrief an den Innenminister Joachim Herrmann:

„Sehr geehrter Herr Staatsminister, lieber Joachim,

mein Kollege Josef Niedermaier aus Bad Tölz scheitert immer wieder vor Gericht bei dem Versuch, Geflüchtete in seinem Landkreis unterzubringen. Nach Greiling hat nun auch Bad Tölz vor Gericht Recht bekommen, und es ist absehbar, dass auch Dietramszell klagen wird. Das bereitet mir große Sorgen.

Wie sollen wir weiterhin geeignete Unterkünfte akquirieren und errichten, wenn uns ständig die Gefahr droht, vor Gericht ausgebremst zu werden? Im Landkreis Miesbach werden unsere Bemühungen von vielen betroffenen Kommunen massiv behindert. Erst Hausham, dann Warngau und nun auch Waakirchen, Fischbachau und Schliersee – überall wird versucht, die Errichtung von Unterkünften mit allen rechtlichen Mitteln zu verhindern. Insbesondere bei privaten Anbietern führt diese kritische Haltung häufig zum Rückzug. Wir werden von vielen privaten Anbietern sogar gebeten, ihr Angebot so lange wie möglich vertraulich zu behandeln, also die Rathäuser nicht zu informieren.

Inzwischen bin ich überzeugt, dass die Quotierung der Geflüchteten auf die Landkreise nicht die erhoffte Gerechtigkeit bringt. Die Voraussetzungen und Möglichkeiten unterscheiden sich von Landkreis zu Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt. Dass trotzdem die Solidarität unter den Landrätinnen und Landräten so groß bleibt, ist wirklich bemerkens- ja lobenswert.

Ein ungelöstes Problem bleibt die Unterbringung der sogenannten Fehlbeleger. Wenn diese nicht weiterhin in den Unterkünften bleiben müssten, hätten wir diese Plätze für die laufenden Zuweisungen zur Verfügung. Aber die Rechtslage und die Urteile helfen den Landkreisen nicht. Für die Fehlbeleger ist es bei uns praktisch unmöglich, eigenständig eine Wohnung auf dem freien Markt zu finden – die Situation in unserem Landkreis und im gesamten Einzugsgebiet der Metropolregion München ist bekannt.

Wir stehen in der Pflicht, alle Geflüchteten, inklusive der Fehlbeleger, unterzubringen, verfügen aber über keine Instrumente, um diese Verpflichtung gegenüber den kreiseigenen Kommunen durchzusetzen. Hier muss sich dringend etwas ändern! Zwar versichern uns die Kommunen ihr Verständnis, doch zeigen einige eher aufeinander, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Der Heilige Sankt Florian wird selten so intensiv bemüht wie heute.

Die Lage ist äußerst kritisch, wir brauchen sofortige Unterstützung ,von oben‘, wie z.B.:

·        Bestehende Ankerzentren müssen schnell und deutlich erweitert und neue zügig errichtet werden. Ich weiß, Ihr arbeitet daran und spürt selbst, wie schwierig es ist.

·        Eine rechtlich abgesicherte Möglichkeit, die Fehlbeleger (z.B. aus den Turnhallen einer Kommune) in mehrere Kommunen verteilen zu dürfen, ist zwingend notwendig. Die bisherige ,Mitwirkungspflicht‘ der Gemeinden reicht nicht aus.

·        Spezielle Herausforderungen, wie etwa die ,Räumung‘ der Turnhallen, müssen unbürokratisch unterstützt werden, indem bis dahin alle Zuweisungen ausgesetzt werden.

Darüber hinaus bin ich der Fürsorge gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verpflichtet, insbesondere in den Fachbereichen 21 Ausländer- und Asylangelegenheiten sowie 41 Arbeit und Soziales. Die kaum noch zu bewältigende Unterbringungssituation belastet auch weitere Bereiche, wie Bauamt, Gebäudemanagement, Kindertagesbetreuung, Schulverwaltung und Gesundheitswesen. Wie sollen wir angesichts dieser schwierigen Arbeitssituation offene Stellen überhaupt noch besetzen? Unsere Pressestelle ist ebenfalls extrem gefordert. Die Anzahl der Überstunden ist mittlerweile so hoch, dass ein einfacher Zeitausgleich keine Lösung mehr ist.

Krisenmanagement gehört zum politischen Alltag. Doch was mich besonders nachdenklich stimmt, sind die persönlichen Anfeindungen, denen ich ausgesetzt bin: ,Selber schuld‘ und ,Augen auf bei der Berufswahl!‘ sind Kommentare, die ich immer wieder höre. Man beschimpft mich als ,verlängerten Arm der Bundesregierung‘, der schon während der Corona-Zeit als williger Erfüllungsgehilfe der Bundes- und Staatsregierung agierte. Ein Handwerker verweigerte uns private Aufträge, weil ich ihn ,ausgesperrt habe‘. Meine Familie wird bedroht, weil ich die Geflüchteten im Landkreis unterbringen muss: ,Wir wissen, wo du wohnst.‘ Jedes Mal wenn ich über persönliche Anfeindungen berichte, werde ich von vielen verhöhnt, aber das ist mir mittlerweile egal.

Ich bin jedoch enttäuscht, dass unsere ,Berichte von der Front‘ bestenfalls mit verständnisvollen Worten und Durchhalteparolen kommentiert werden. Es hilft mir nicht, wenn ich bedauert werde (und ich will es auch nicht) – oft höre ich: ,Ich möchte gerade nicht Landrat sein...‘.

Meine Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Kommunalpolitikern hinterlassen mich oft ratlos. Die Öffentlichkeit kennt weder die Zuständigkeiten eines Landratsamtes bzw. eines Landrates, noch die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bei der Unterbringung von Geflüchteten. Möglicherweise besteht bei vielen gar kein Interesse an irgendwelchen Zuständigkeiten! Daher richtet sich häufig ihr Unmut pauschal gegen die ,Boten‘ – in diesem Fall also die Landrätin oder den Landrat oder die Bürgermeister.

Viele Bürgerinnen und Bürger erwarten von mir, ja fordern mich gerade dazu auf, die Aufnahme der zugewiesenen Flüchtlinge zu verweigern – evtl. dienstrechtliche Folgen habe ich gefälligst zu ertragen!

Um den Menschen in unserer Region zu zeigen, dass ich nicht nur mit unseren Kommunen um Lösungen für die Unterbringung der Geflüchteten ringe, werde ich diese Mitteilung in den kommenden Tagen an die Presse geben. Ich hoffe, dass eine dringend notwendige Transparenz dazu beiträgt, Verschwörungstheorien entgegenzuwirken, die Menschen besser zu informieren, Vertrauen zu schaffen und einen respektvolleren Umgang mit den Entscheidungsträgern zu fördern.

Mit diesem Schreiben möchte ich Dich herzlich bitten, auch die Rahmenbedingungen in Bayern zu prüfen (vgl. die Rechtslage in NRW). So darf es nicht weitergehen!

Ich habe in diesem Schreiben darauf verzichtet, die inzwischen allgemein bekannten und dringenden Forderungen an die Bundesregierung und die EU für eine Verbesserung der Flüchtlingslage explizit zu wiederholen. Das alles dauert dort viel zu lange; in Bayern sind wir doch besser!
Danke für die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit und Dein Verständnis!“

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