Notstand in Pflege und Krankenhäusern: Grafiken zeigen, wo die meisten Arbeitskräfte fehlen
Der Fachkräftemangel in Pflege und Krankenhäusern wächst. Diese Grafiken zeigen, wie viele offene Stellen es deutschlandweit gibt – und welche Folgen drohen.
Berlin – Der Fachkräftemangel trifft auch den Gesundheitsbereich. Gerade in Pflegeberufen fehlt es nicht nur an besonders gut ausgebildeten Menschen, sondern mittlerweile an allen Arbeitskräften. Mit teils dramatischen Folgen. Eine ausführliche Stellenmarkt-Auswertung zeigt, wo der Bedarf nach neuen Händen am höchsten ist und wie er sich die vergangenen Jahre entwickelt hat.
Fachkräftemangel: Zahl offener Stellen in Gesundheitsbranche steigt massiv
Rund drei Millionen Menschen sind in Deutschland im sozialen Sektor tätig. Dazu zählt neben der Erziehung besonders die Pflege, etwa im Altenheim oder im Krankenhaus. Die Stellenanzeigen-Datenbank „index Anzeigendaten“ hat für IPPEN.MEDIA untersucht, wie viele Stellen für Gesundheitsberufe, etwa auf der Suche nach Arzt- und Pflegepersonal, Unternehmen in den vergangenen Monaten und Jahren geschaltet haben. Dazu untersuchte das index Stellenanzeigen in 197 Printmedien, 296 Onlinebörsen, auf 650.000 Firmenwebsites und im Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit.
Die Zahlen machen deutlich, wie prekär die Arbeitslage im Gesundheitssektor ist. Im Jahr 2020 hatten Betriebe insgesamt knapp 700.000 offene Stellen ausgeschrieben. Im Folgejahr waren es mit etwa 830.000 schon 19 Prozent mehr offene Stellen. Dabei gilt: Mehrere Ausschreibungen, die auf unterschiedlichen Portalen denselben Job bewerben, werden lediglich als eine Stelle gezählt.
DRK-Präsidentin: „Bedarf an Arbeitskräften wird weiter steigen“
2022 fiel erstmals die Marke von über einer Million offenen Positionen. Damit stieg der Bedarf im Vergleich zum Vorjahr nochmal kräftig um weitere 24 Prozent. Auch 2023 wuchs der Arbeitskräftemangel und damit in der Konsequenz die Zahl der ausgeschriebenen Stellen auf insgesamt 1,13 Millionen. Im laufenden Jahr 2024 haben Betriebe allein von Januar bis Mai bereits 580.000 Stellen ausgeschrieben, die Tendenz geht also weiter in Richtung wachsendem Arbeitskräftebedarf. Am häufigsten suchen Unternehmen laut Analyse Fachkräfte, gefolgt von Auszubildenden.

Wie dramatisch die Lage im deutschen Gesundheitsbereich ist, verdeutlichte auch Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuz (DRK) vor Kurzem im Interview mit IPPEN.MEDIA. „Wir haben auf der einen Seite einen sehr starken Bedarf an Arbeitskräften – der derzeit schon nicht gedeckt ist und künftig zunimmt. Und auf der anderen Seite haben wir eine unterfinanzierte Pflegeversicherung, die beispielsweise die notwendigen Lohnsteigerungen nicht ausreichend gegenfinanziert“, sagte die ehemalige Bundesgesundheitsministerin.
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Hasselfeldt warnte: „Deshalb müssen viele stationäre wie ambulante Einrichtungen Dienste reduzieren und Abteilungen oder teilweise sogar ganze Häuser schließen, sodass die Versorgungssicherheit nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden kann, wenn nicht gegengesteuert wird.“
In welchen Regionen es die meisten unbesetzten Ärzte- und Pflegestellen gibt
Ein großes Problem ist der DRK-Präsidentin zufolge die stark steigende Zahl der Pflegebedürftigen im Vergleich zu einer stagnierenden Zahl an Pflegerinnen und Pflegern. „Wenn wir in die Zukunft sehen, wird das Problem noch größer. Von den heutigen Pflegekräften gehen viele bald in Rente und es gibt nicht genug neu ausgebildete Kräfte.“
Wo besonders viele Stellen offen sind, zeigt sich beim Blick auf die Bundesländer. In absoluten Zahlen dominieren für das Jahr 2023 die bevölkerungsreichen Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. In Relation zur Einwohnerzahl sind die meisten offenen Stellen in Bremen, Berlin und Schleswig-Holstein zu sehen. Weniger akut ist der Arbeitskräftemangel den Daten zufolge in Hessen und Baden-Württemberg.
Pflege ächzt: Berlin Hochburg der unbesetzten Gesundheitsberufe
Erkenntnisreich ist außerdem ein Blick auf die größten deutschen Städte. So zeigt sich, dass Berlin mit weitem Abstand die meisten offenen Stellen zu verzeichnen hat. Es folgen die Millionenstädte Hamburg, München und Köln, die zusammen genommen für das Jahr nur etwas mehr offene Stellen als Berlin verzeichneten.
Für die fehlenden Kräfte in Pflegeheimen und Krankenhäusern gibt es laut Expertinnen und Experten eine Vielzahl von Gründen. Neben dem allgemeinen Fachkräftemangel sind das die oft wenig attraktiven Bezahlung und Arbeitszeiten in der Gesundheitsbranche. Die Arbeitsbelastung dagegen ist sehr groß. Speziell für Pflegepersonal fordert DRK-Präsidentin Hasselfeldt deshalb mehr Anreize. „Der Pflegeberuf ist sehr anspruchsvoll und erfordert eine hohe Qualifikation sowie Weiterbildungen. Pfleger sind nicht die Hilfskräfte der Ärzte, sondern haben eine eigene Profession und viel Verantwortung. Das muss sich auch in der Praxis widerspiegeln, in Wertschätzung zum einen, und Aufstiegschancen zum anderen.“
Pflegerinnen und Pfleger brauchen mehr Kompetenzen
Dafür will Hasselfeldt die Kompetenzen für Pflegekräfte ausweiten. „Es braucht bundesweit gute Ausbildungs- und Weiterbildungsstrukturen sowie neue Tätigkeitsfelder für Pflegekräfte, die mit mehr Führungsverantwortung verbunden sind, etwa in Gemeinden“, so die DRK-Präsidentin. „Unter Führung von Pflegepersonal könnten Ehrenamtliche leichtere Pflegetätigkeiten übernehmen, dazu gibt es schon Modellprojekte. Es geht um gute Ideen und neue, regional passende Strukturen. Außerdem müssen wir den Stress und die Arbeitsbelastung in der Pflege reduzieren. Das könnte man unter anderem durch Springer-Pools, die Träger-übergreifend einspringen und die Reduzierung von bürokratischen Tätigkeiten erreichen.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat ähnliche Vorstellungen und deshalb bereits ein Pflegekompetenzgesetz angekündigt – Branchenkennern bewerten es positiv. Noch befindet es sich in der Arbeitsphase, Details sind offen. Klar ist deshalb: Der Arbeitskräftemangel und damit die prekäre Situation in der deutschen Gesundheitsbranche wird sich zumindest vorerst kaum bessern.