FOCUS online: Ihr Lebensweg gleicht einer Achterbahnfahrt. Sie haben Millionen verdient und dann alles verloren. In einem Podcast nennen Sie die Insolvenz Ihrer Firma "das größte Geschenk". Wie darf man das verstehen?
Wolfgang Cyrol: Mit fast 60 bin ich endlich angekommen. Früher hatte ich Statussymbole und falsche Freunde. Heute habe ich den Sinn des Lebens gefunden. Ich mag mich, wie ich bin, weiß, dass ich wertvoll bin. Und genau am richtigen Platz.
Sie leben recht abgeschieden, mitten in der Natur, richtig?
Cyrol: Ja, am Hintersteiner See, direkt am Wilden Kaiser. Von meiner Wohnung aus schaue ich auf See und Berge. Meine Nachbarn sind ein paar Kühe und vis-à-vis von unserem Mietshaus gibt es einen Ziegenstall. Wenn ich raus auf die Terrasse gehe, und das tue ich mehrfach am Tag, bekomme ich Gänsehaut vor lauter Glückseligkeit. Ich sage Ihnen: Das will was heißen, bei einem Menschen, der mehrfach daran gedacht hat, sich das Leben zu nehmen.
Nach der Insolvenz, meinen Sie?
Cyrol: Das auch, aber Suizidgedanken hatte ich schon als Jugendlicher und als junger Mann.
Warum?
Cyrol: Ab dem Alter von 15 hatte ich eine sehr schwere Akne. So schwer, dass ich einmal sogar mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus kam. Mein Gesicht war geschwollen, voller Entzündungen. Die Ärzte meinten, eine so schwere Form der Erkrankung hätten sie noch nie gesehen. Ich brauchte Infusionen, musste viele Monate stationär bleiben. Insgesamt fast zwei Jahre. Ich sah aus wie Quasimodo.
"In mir steckt mehr, dachte ich. Euch werde ich’s zeigen!"
Vermutlich lief die Schule in dieser Zeit nur eingeschränkt?
Cyrol: Genau, aber ein höherer Bildungsabschluss war in meinem Fall sowieso nicht vorgesehen. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, kleine Wohnung, null Luxus, meine Eltern waren Arbeiter. Ich besuchte die Volks- und später die Hauptschule. Dabei ist es geblieben. Und auch die Lehre als Bürokaufmann, die ich mit 16 begonnen habe, habe ich nicht abgeschlossen. Das war natürlich frustrierend.
Noch frustrierender war aber, dass das Umfeld mich wie einen Aussätzigen behandelt hat. Wie einen, der nichts auf dem Kasten hat. In dieser Zeit ist der starke Drang in mir entstanden, erfolgreich zu werden. In mir steckt mehr, dachte ich. Euch werde ich’s zeigen!
Wie haben Sie den Plan, erfolgreich zu werden, konkret verfolgt?
Cyrol: Erst mal war das mehr eine Vision als ein konkreter Plan. Mit 20 bin ich in die Gastro gegangen und dort 20 Jahre lang geblieben. Als Hilfsarbeiter. Meinen Ehrgeiz habe ich in die Freizeit verlegt, genauer: ins Fitnessstudio. Ich war sehr sportlich, fing an, als Trainer zu arbeiten. Und dann kam mein Cousin, ein Unternehmer, und hat mich exklusiv an Hotels vermittelt, wo ich für Kunden Personal-Training angeboten habe. Das lief sehr gut.
Und hat Lust gemacht auf mehr?
Cyrol: Tatsächlich hatte ich angefangen, mit Affirmationen zu arbeiten. Also mir Ziele bewusst zu machen, und diese dann mit der entsprechenden Energie anzusteuern. Das ist entscheidend! Ich habe mehrere mentale Trainings gemacht und war überrascht, wie gut die Methode funktioniert.
2015 habe ich dann im Network Marketing begonnen, für eine Firma, die mit Aloe-Vera-Produkten handelt. Das Ganze hat sensationell funktioniert. Aber wie es nun mal so ist in bestehenden Systemen: Bei denen, die vor mir dagewesen waren, kamen Neid und Missgunst auf. Daher habe ich mich mit einem erneuten Wunsch ans Universum gewendet. Ich bat darum, mir ein Tätigkeitsfeld zu schicken, in dem ich komplett selbst entscheiden konnte.
"Ich habe all meine Ersparnisse in dieses Business gesteckt"
Und? Wurde dieser Wunsch vom Universum gehört?
Cyrol: Und wie. 2017 bekam ich diese E-Mail, aus Kanada. Der Inhalt klang so skurril, dass ich die Mail gelöscht habe. Aber der Mensch mailte mir wieder und wieder, und irgendwann las ich es eben. Der Absender war der Vertriebspartner eines Erfinders eines einzigartigen Produkts: Socken, in die ein Muster eingewebt ist, das neurologische Impulse sendet. Vereinfacht: für die Aktivierung von Selbstheilungskräften. Die Kanadier wollten mich für den Vertrieb des Produkts in Österreich gewinnen. Ich dachte mir, das schaue ich mir an.
Die Socken?
Cyrol: Ja, und den Vertriebspartner. Ich sagte: "Wenn Sie in einer Woche bei mir in Österreich sind, können wir sprechen". Eine Woche später trafen wir uns südlich von Wien in einer Beach-Bar, und ich machte den so genannten Stabilitätstest.
Wieder vereinfacht: Du trägst die Socken, das Gegenüber versucht, dich runterzudrücken, Richtung Erde. Aber du stehst felsenfest, wie ein Stein. Direkt danach, ohne die Socken, kommst du bei derselben Aktion ins Wanken. Ich habe direkt gespürt, wie sich mit dem Tragen der Socken in meinem Körper was verändert. Damit wusste ich: Das wird das Ding meines Lebens!
"Wir brachen alle Rekorde, hatten eines der erfolgreichsten Startups aller Zeiten gegründet"
Der Verkauf dieser Socken, meinen Sie?
Cyrol: Genau. 99 Prozent der Leute um mich herum meinten: Das ist kompletter Humbug. Das wird nie funktionieren. Aber ich habe daran geglaubt, meine massiven Rückenschmerzen waren innerhalb kürzester Zeit verschwunden.
Ich habe dann all meine Ersparnisse in dieses Business gesteckt. 150.000 Euro. Aber Ende 2018 musste ich feststellen: Es hatte nicht funktioniert. Schließlich hat mir mein Vater geholfen. Er gab mir 100.000 Euro und meinte: "Entweder du schaffst es – oder du bist enterbt".
Und?
Cyrol: Kurz darauf bewarb ich mich bei "2 Minuten 2 Millionen". Eine österreichische Startup-Show, so ähnlich wie in Deutschland "Die Höhle der Löwen". Gründer präsentieren ihre Ideen vor Großinvestoren. Die Sendung wurde Ende 2018 aufgezeichnet und Anfang 2019 ausgestrahlt.
Eine der Investorinnen meinte: "Das ist so crazy, das will ich genauer wissen". Damit ist, wie ich immer sage, die Bude zusammengebrochen. Wir brachen alle Rekorde, hatten eines der erfolgreichsten Startups aller Zeiten gegründet. Meine damalige Lebenspartnerin, mein Sohn und ich. 2020 kam es dann zur kompletten Eskalation. Zusammen mit allen unseren Partnern haben wir 46 Millionen Jahresumsatz gemacht.
"Mein Leben war eine einzige Party"
Sie waren reich. Wie wirkte sich das auf Ihr Leben aus?
Cyrol: Vorher hatte ich in einer Mietwohnung gelebt, ein schönes Auto gehabt und bin ab und zu verreist. Jetzt hatte ich eine Villa in Kitzbühel und sechs Luxuslimousinen. Mein Leben war eine einzige Party.
Das Kitzbühel-Haus hatte sechs große Weinkühlschränke, zwei große Pools und eine Wahnsinns DJ-Anlage. Da habt ihr es, so habe ich gedacht, wenn wir getanzt und getrunken und wilde Partys gefeiert haben. Auf einmal gab es viele Frauen in meinem Leben. Und viele so genannte Freunde. Meine Vision von damals schien wahr zu werden. Ich zeigte es der Welt!
Wie konnten Sie neben dem Business so viel feiern?
Cyrol: Aus fünf Mitarbeitenden waren mittlerweile 100 geworden. Ich habe maximal viel aus den Händen gegeben, war weg vom operativen Geschäft. Anders hätte ich diese ganzen Reisen niemals machen können.
Was für Reisen?
Cyrol: Sechs Wochen hier, acht Wochen da. Ich war in den besten Hotels Europas unterwegs. Wohnte in Suiten am Strand. Nahm an exklusiven Autorallyes teil. Ich habe das Geld in vollen Zügen ausgegeben.
Hat Ihnen das Luxusleben gutgetan?
Cyrol: Damals hätte ich diese Frage bestimmt mit Ja beantwortet. Fakt ist aber: Ich war fünfmal die Woche im Vollrausch. Hatte innerhalb kürzester Zeit massiv an Gewicht zugenommen. 2022, kurz vor der Insolvenz, war ich bei meinem Arzt. Er meinte: "Wenn du so weitermachst, wirst du das 60. Lebensjahr garantiert nicht erreichen". Meine Blutwerte waren eine Katastrophe.
"Haus weg, Autos weg, ich hatte nichts mehr"
Wie kam es zum Fall?
Cyrol: Durch anwaltliche Klagen. Uns wurden Falschaussagen vorgeworfen. Die Studien, die wir zitiert hatten, seien nicht rechtskräftig.
Stimmt das?
Cyrol: Richtig ist: Ich hatte mich auf Studien aus Kanada, ein ganzes Buch, verlassen. Das war naiv. Die Studien an sich waren zwar gut, aber in Europa nicht zulässig. Von jetzt auf gleich mussten wir dann Tausende Feedback-Videos und Social Media Geschichten löschen.
Außerdem hat unser Werbepartner, ein Teleshopping-Kanal, alles eingestellt. Logischerweise sind die Umsätze dann massiv eingebrochen. Anfang 2023 mussten wir Konkurs anmelden, waren zahlungsunfähig. Mit vollen Lagern! Da noch die ein oder andere Rechnung beim Finanzamt offen war, die ich nicht bezahlen konnte. Dann kam schließlich die Privatinsolvenz dazu.
Konnten Sie das Haus in Kitzbühel halten?
Cyrol: Ach was. Das musste ich sofort verlassen. Haus weg, Autos weg, ich hatte nichts mehr. Meine Kleidung und die wichtigsten Sachen habe ich einen Container gegeben. Natürlich, ich hätte zurück zu meinen Eltern ziehen könne Aber wer macht so was schon?
Das heißt, Sie hatten nirgends eine Bleibe?
Cyrol: Nein, mit 57 war ich am Ende und dachte: Jetzt mache ich Schluss. Diesmal wirklich. Ich hatte einfach keine Kraft, mir nochmal irgendwas aufzubauen, nochmal anzufangen. Und genau das war der entscheidende Punkt: die Kraft. Meine Mutter meinte: "Junge, du musst irgendwo hin, wo du zu Kräften kommst". Die drei Wochen im Ayurveda-Resort in Indien hat sie von ihrem Ersparten bezahlt.
"Ich habe endlich wieder angefangen, klar zu denken"
Inwiefern hat der Aufenthalt Ihnen beim Umgang mit der schwierigen Situation geholfen?
Cyrol: Zunächst, ganz wichtig: Ich habe meinen Körper komplett entgiftet. Ich bin wieder zu mir gekommen. Ich habe endlich wieder angefangen, klar zu denken.
Wieder?
Cyrol: Naja, schon Jahre vorher habe ich mich, wie gesagt, mit verschiedenen mentalen Techniken und meditativen Übungen auseinandergesetzt. Das Wissen war im Grunde da gewesen. Ich habe bloß nichts davon mehr umgesetzt gehabt. Die Affirmationen beispielsweise.
Es ist wesentlich, dass man Wünsche aus dem Unterbewusstsein holt und klar benennt. Das ist generell ein Problem unserer Zeit: Wir leben sehr sprunghaft, springen oft kurzfristig auf irgendwelche Befindlichkeiten und Ideen auf. Was fehlt, ist ein konkreter Plan.
Hatten Sie diesen denn am Ende des Indien-Aufenthalts?
Cyrol: Tatsächlich, ja. Ich wusste, dass ich in der Natur leben will. Mit viel Zeit für mich selbst. Dann sah ich im Internet diese Anzeige. Die Wohnung am Hintersteiner See. Zurück in Österreich fuhr ich hin und wusste: Das ist es. Nur konnte ich mir die Wohnung leider nicht leisten… Nach der Insolvenz habe ich erst von Notstandshilfe gelebt, später bekam ich Arbeitslosengeld.
"Meine Mutter hat mich erneut unterstützt"
Und nun?
Cyrol: Meine Mutter hat mich erneut unterstützt. Mein Vater lebt nicht mehr und meine Mutter steht auf dem Standpunkt: Wir nehmen nichts mit ins Grab. Also hat sie mir sozusagen einen Teil meines Erbes vorgezogen gegeben.
Und davon leben Sie seitdem?
Cyrol: Nein, seit mittlerweile zwei Jahren bin ich an einer neuen Sache dran. Ein neues Produkt, eine Art Riegel, sehr gesund. Die Sache hat mich überzeugt, und meine Mutter hat mir vertraut und hier eine größere Summe investiert. Das Ganze funktioniert über Kryptowährung. Der Wert ist bereits jetzt massiv gestiegen und ich bin sicher: Er wird weiter steigen. Die Wohnung kann ich mir inzwischen problemlos leisten.
Auch wieder teure Reisen und Autos?
Cyrol: Das interessiert mich nicht. Wenn heute jemand käme und mir die Villa in Kitzbühel schenken würde, inklusive der Autos von damals – ich würde sagen: Nein, danke.
"Ich mache mein Ding, egal, was die anderen sagen"
Warum?
Cyrol: Ich will nicht noch mal in die Situation kommen, mich verleiten zu lassen. Von Dingen, die nur so aussehen, als würden sie glücklich machen. Von Menschen, die nur so tun, als seien sie Freunde. Sie glauben gar nicht, wie schnell das ging, dass ich damals links liegen gelassen wurde. Nummern gesperrt, Kontakt blockiert. Ich habe meine Familie und ein paar wenige liebe Menschen um mich. Das reicht. Ich mache mein Ding, egal, was die anderen sagen.
Was sagen die anderen denn?
Cyrol: Das Übliche. Was sie schon damals zu den Socken und noch viel früher, als ich noch zur Schule ging, gesagt haben: Das wird nichts, der kann nichts, das ist doch lächerlich. An ein paar bestimmte Personen gerichtet sage ich hier sehr deutlich: Ich hoffe, ihr habt sehr feste Lederhosen. Die werdet ihr nämlich brauchen, wenn ihr sehen werdet, was aus meinem laufenden Projekt geworden ist. So sehr werdet ihr euch dann in den Hintern beißen.