Studie entlastet Eltern - „Picker-Eater-Phase“: Was dahinter steckt, wenn Kinder beim Essen wählerisch werden
Wenn der Esstisch zum Schlachtfeld wird, weil der Nachwuchs nur Nudeln ohne alles will, atmen Sie tief durch. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop entschlüsselt das Rätsel um die „Picker-Eater-Phase“ und bringt Licht ins Dunkel der kindlichen Essgewohnheiten.
Was ist die „Picker-Eater-Phase“ oder „Food Fussiness“ bei Kindern?
Die „Picker-Eater-Phase“ oder „Food Fussiness“ beschreibt eine Entwicklungsphase bei Kindern, in der sie sehr wählerisch beim Essen sind. Sie essen dann über Tage bis Wochen nur ganz bestimmte Lebensmittel und Mahlzeiten, die sie sehr gut kennen und vor allem, die sie wirklich mögen und gerne essen - alles andere wird rigoros und konsequent abgelehnt.
mmer wieder und nur noch Schnitzel mit Kartoffeln, Pommes mit Ketchup oder Spaghetti mit Streukäse oder Nudeln pur - welche Eltern kennen das nicht. Diese Phase tritt bei fast allen Kindern irgendwann vom Kleinkindalter bis zur frühen Jugend auf und wiederholt sich vielleicht. Das wählerische Essverhalten ist bei Kindern also weit verbreitet und biologisch normal. Trotzdem ist diese Zeit für manche Eltern herausfordernd und beunruhigt sie.
Über Uwe Knop

Uwe Knop, Jahrgang 1972, ist Diplom-Ernährungswissenschaftler, Buchautor, und Referent für Vorträge bei Fachverbänden, Unternehmen und auf Ärztefortbildungen. Sein neues Buch "ENDLICH RICHTIG ESSEN" erschien im August 2024.
Warum machen sich viele Eltern Sorgen, wenn die Kinder nur noch sehr wenig Lebensmittel und sehr wählerisch essen?
Zum einen befürchten die Eltern, ihr Kind bekäme einen Nähstoffmangel und Entwicklungsstörungen, weil es sich nicht an gesunde Ernährung hält und kaum noch Obst und Gemüse isst: „Wie soll mein Kind denn richtig groß werden ohne den gesunden Brokkoli und die wichtige Paprika? Das Kind muss doch Gemüse essen!“.
Des Weiteren verfallen viele Mamas und Papas in gewisse Selbstzweifel, weil sie sich selbst die Schuld an diesem bedenklichen, arg eingeschränkten Essverhalten geben - oder von anderen dafür verantwortlich gemacht und vorwurfsvoll angeschaut werden. Doch beide Sorgenstränge sind absolut unbegründet, denn es existieren keine valide Daten zu Picky-Eater-Kindern mit Nährstoffmangelsymptomen. Des Weiteren trägt eine aktuelle Studie dazu bei, Eltern (endlich) von diesen Versagensängsten auch aus wissenschaftlicher Sicht zu erlösen.
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Was hat die Studie zum wählerischen Essverhalten vom Kleinkind- bis zum frühen Jugendalter gezeigt?
Diese kürzlich veröffentlicht Studie ist die erste wissenschaftliche Untersuchung, in der die genetischen und umweltbedingten Einflüsse des wählerischen Essens - „Picker-Eater-Phase“ oder „Food Fussiness“ - im Gesamtverlauf vom Kleinkindalter bis zur frühen Jugend (< 13 Jahre) untersucht wurde.
Dazu haben die Studienautoren sowohl eineiige als auch zweieiige Zwillinge über mehrere Jahre beobachtet und deren Essverhalten bewertet. Die Forscher kommen zu folgendem Fazit: Ein Großteil der individuellen Unterschiede - mehr als 70 Prozent - beim wählerischen Essens ist auf genetische Faktoren zurückzuführen, Umwelteinflüsse und Erziehung spielen, besonders in der späteren Kindheit, bei der Picker-Eater-Phase nur eine untergeordnete Rolle. Des Weiteren nahm die Intensität von „Food Fussiness“ beim Heranwachsen zu.
Diese aktuelle wissenschaftliche Erkenntnis, dass wählerisches Essverhalten weitgehend angeboren und damit absolut natürlich ist, wird viele besorgte Eltern beruhigen, denn: Dieses Verhalten ist nicht das Ergebnis ihrer - vermeintlich falschen oder vernachlässigten - Ernährungserziehung, sondern einerseits in Studien belegt und andererseits auch evolutionsbiologisch plausibel nachvollziehbar.
Welche evolutionsbiologische These spricht noch für die Pick-Eater-Phase?
Evolutionsbiologisch unterliegt dieses wählerische Essverhalten einer sehr plausiblen Hypothese: In sensiblen Wachstumsphasen, wo der kindliche Organismus wichtige Zellen und Organe, zum Beispiel Nervenbahnen und das Gehirn, weiterentwickelt und „organisch ausbaut“, dürfen weder Gift noch problematische Stoffe den Körper stören und ihn beim Aufbau behindern.
Daher greift der Organismus - über die bewusste Auswahl des Kindes - nur auf Lebensmittel und Mahlzeiten zurück, deren ernährungsphysiologischen und Nährwert er bereits gut kennt und wo er sich sicher sein kann: „Dieses Essen liefert 'saubere Energie', es ist frei von Toxinen und unverträglichen Inhaltsstoffen, die mir Probleme machen“: Also isst das Kind in dieser Phase ausschließlich dieses „Safe-Food“.
In dieser Zeit wird auch nichts Neues probiert, da die Biologie des Kinderkörpers keine Experimente machen will, bei der auch unbekannte, unerwünschte, schwer oder nicht verdauliche oder gar schädliche respektive giftige Substanzen aufgenommen werden, die vielleicht Probleme machen und den lebenswichtigen Entwicklungsprozess behindern.
Daher sollten in diesen Lebensabschnitten auch die Eltern die Biologie ihrer Kinder nicht stören, und unbedingt Brokkolipüree in den Speiseplan reinquetschen, obwohl das Kind partout keinen Brokkoli möchte. Eltern, seid sicher: Es kommen auch wieder Experimentierphasen, da wollen die Kinder gerne neues entdecken und probieren - dann kann und sollte reichlich kulinarisches Neuland aufgetischt werden!
Wie sollten Eltern ihre Kinder denn grundsätzlich gut und gesund versorgen und ernähren?
Das ist recht einfach. Zum einen gilt: Hören Sie auf die Kinder - was sie wann gerne essen und was nicht. Zum anderen: Schulen Sie die Sinne der Kinder. Schmecken, sehen, fühlen, riechen, in-sich-rein-horchen. Binden Sie die Kinder dazu auch aktiv in die Planung, Vor- und Zubereitung ein. Das schult auch ihre praktischen Sinne und Fähigkeiten und Sie lernen Lebensmittel kennen.
Darüber hinaus beherzigen Sie die Grundprinzipien richtiger Ernährung von Kindern: Merken Sie sich dazu einfach die 3V: Vorleben, Vielfalt, Verfügbarkeit. Eltern sollten Vorleben, dass Essen etwas sehr Schönes ist.
Darüber hinaus bieten Mama, Papa, Oma und Opa idealerweise immer Vielfalt zum Essen an - das heißt, im Haushalt ist immer abwechslungsreiches, gutes und frisches Essen verfügbar. Das kann auch vegetarisch sein, bei veganer Ernährung von Kindern hingegen sollten Sie sehr vorsichtig sein. Und legen Sie auch bei vermeintlich ungesunden Lebensmitteln keine Scheu an den Tag, wenn ihr Kind diese essen möchte.
Denn erstens gibt es keine wissenschaftlichen Belege für „ungesunde Lebensmittel“ und zweitens hat ein ganz gezieltes, intensives Verlangen nach speziellen Speisen meist auch einen ernährungsphysiologisch absolut (bio)logischen Grund - zum Beispiel warum Kinder besonderes im Freibad nach Pommes verlangen.
Content stammt von einem Experten des FOCUS online EXPERTS Circles. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.