Streit um Brosius-Gersdorf: SPD spricht von „unchristlichem“ Verhalten der Kirche

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Die Debatte um die Richterwahl wird rauer: Die SPD sieht ihre Kandidatin als Ziel von „Hetze“ durch die katholische Kirche.

Berlin – Der heftige Koalitionsstreit um die Wahl einer neuen Verfassungsrichterin spitzt sich weiter zu. Nach dem Eklat um die kurzfristig abgesagte Wahl im Bundestag geraten nun auch die katholische Kirche und die SPD frontal aneinander. Auslöser ist die von der SPD nominierte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf, deren Haltung zum Schwangerschaftsabbruch sowohl in Teilen der Union als auch bei Kirchenvertretern auf scharfe Kritik stößt.

Koalitionsstreit um Richterwahl geht weiter: SPD keilt gegen katholische Kirche

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch übte scharfe Kritik an der katholischen Kirche. Er zeigte sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung aufgebracht: „Überhaupt bin ich sehr empört, wie sich prominente Bischöfe und Kardinäle in diese Sache eingeschaltet haben. Kirche kann durchaus politisch sein. Sich aber an dieser Hetze zu beteiligen, ist unchristlich.“

Hintergrund der Debatte sind Äußerungen des Bamberger Erzbischofs Herwig Gössl, der die Haltung von Brosius-Gersdorf zum Lebensrecht ungeborener Kinder als „innenpolitischen Skandal“ bezeichnete. Miersch konterte: „Das ist eine unglaubliche Aussage gegenüber einer anerkannten Juristin.“

Liberale Position zur Abtreibung sorgt für Spannungen, Kritik von Erzbischof Gössl

Brosius-Gersdorfs in den Medien häufig skizzierte Haltung, wonach die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gelte, wurde von Unionspolitikern und der katholischen Kirche scharf kritisiert. Gössl warnt in einer Meldung auf der Homepage des Erzbistums Bamberg: „Wenn ein nach Entwicklungsstufe und Lebensfähigkeit des Menschen abgestuftes Lebensschutzkonzept vertreten und damit das Lebensrecht ungeborener Kinder infrage gestellt wird, bedeutet dies einen verfassungsrechtlichen Paradigmenwechsel.“

Der Erzbischof fügte hinzu: „Ich möchte mir nicht vorstellen, in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten, wenn die Verantwortung vor Gott immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet.“

Im Fokus der Richterdebatte stehen verschiedene gesellschaftliche Akteure – hier (v.l.n.r.): Matthias Miersch, Frauke Brosius-Gersdorf und Herwig Gössl. © Foto links: IMAGO / Future Image | Foto Mitte: IMAGO / Metodi Popow | Foto rechts: IMAGO / Eventflash

Gescheiterte Richter-Wahl: Brosius-Gersdorf fühlt sich verunglimpft

In einer ausführlichen Stellungnahme wandte sich Frauke Brosius-Gersdorf indes am Dienstag (15. Juli) selbst an die Öffentlichkeit und kritisierte die Berichterstattung über ihre Person als „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent.“ Sie betont, ihre wissenschaftlichen Positionen würden gezielt verzerrt und diffamiert dargestellt.

Zu den Vorwürfen in Bezug auf ihre Haltung zum Schwangerschaftsabbruch stellt sie klar: „Der Hauptvorwurf in den Medien ist, dass ich dem ungeborenen Leben die Menschenwürdegarantie abspräche und für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt sei. Das ist falsch. Dem menschlichen Leben steht ab Nidation (Vorgang, bei dem sich die befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnistet, Anm. d. Red.) das Grundrecht auf Leben zu. Dafür bin ich stets eingetreten. Die Aussage, ich wäre für eine Legalisierung und eine (hiervon zu unterscheidende) Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar.“

Brosius-Gersdorf hob hervor, dass sie auf verfassungsrechtliche Inkonsistenzen aufmerksam mache, aber nie für eine Schutzlosigkeit ungeborenen Lebens eingetreten sei: „Selbst wenn die Menschenwürde erst für den Mensch ab Geburt gelten sollte, wäre das ungeborene Leben nicht schutzlos. Ihm steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu, wofür ich stets eingetreten bin.“

SPD verteidigt Kandidatin Brosius-Gersdorf: „Schmutzkampagne wie selten erlebt“

Miersch hält trotz des wachsenden Drucks an der Kandidatur von Brosius-Gersdorf fest, wie er der Süddeutschen Zeitung mitteilte: „Ich sehe im Moment überhaupt keinen Grund, daran zu rütteln.“ Die Juristin sei im Richterwahlausschuss mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt worden – auch mit Stimmen der Union. Erst durch massive Polarisierung im Netz und die „völlig verkürzte“ Darstellung ihrer Positionen sei Widerstand entstanden.

Miersch sprach von einer „Schmutzkampagne, wie wir sie selten erlebt haben“. Die fachliche Qualifikation der Kandidatin sei nie ernsthaft infrage gestellt worden, so der SPD-Fraktionschef.

Unionsfraktionschef Spahn räumt Versäumnisse ein

Jens Spahn (CDU) gestand derweil eigene Fehler ein, wie tagesschau.de unter Berufung auf einen Brief an die Unions-Fraktion berichtet: „Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt. Die Notbremse am Freitag kam zu spät.“ Spahn betonte, man dürfe nicht zulassen, dass Unionsmeinungen zum Thema Abtreibung als „rechts oder gar rechtsextrem diffamiert“ werden.

Ein neuer Wahltermin für die Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichter steht bislang nicht fest. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erklärte im ARD-Sommerinterview: „Wir hätten natürlich früher erkennen können, dass da großer Unmut entsteht.“

Debatte um die Rolle der Kirche: Stimmen für und gegen Einmischung

Die Einmischung der Kirche wird indes auch bei den Sozialdemokraten unterschiedlich bewertet. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) stellte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland klar: „Dass Vertreter der katholischen Kirche ihre grundsätzlichen Überzeugungen zum Thema Menschenwürde des ungeborenen Lebens zum Ausdruck bringen, sollte man ihr nicht übelnehmen.“

Auch Ulla Schmidt, ehemalige SPD-Bundesministerin, mahnte im Stern: „Das ist doch genau die Rolle der Kirchen. Sie sind dafür da, sich einzumischen und in kritischen Fragen das Gespräch zu suchen. Wir können Kirchen nicht nur dann gut finden, wenn ihre Haltung uns passt.“

SPD bietet Dialog an – Union und Grüne fordern rasche Lösung

Der Kirchenbeauftragte der SPD, Hubertus Heil, bot der Kirche einen Dialog „auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und im Bewusstsein der jeweiligen Verantwortung“ an, schreibt der Evangelische Pressedienst. Gleichzeitig mahnten die Grünen, die Wahl nicht auf die lange Bank zu schieben: „Wir halten es für unverantwortlich, diese wichtige Entscheidung des Bundestags über Wochen offenzulassen“, heißt es in einem Brief der Grünen-Fraktionsvorsitzenden an die Koalition, so tagesschau.de.

Die SPD betont weiter ihre Entschlossenheit, die Richterwahl mit Brosius-Gersdorf als Kandidatin nachzuholen. Ob die Koalition die Spaltung überwinden kann, bleibt vorerst offen.

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