Er hat sich wieder in die Karriere zurückgekämpft – für viele ein Wunder. 2015 wurde bei Johannes Martin Kränzle eine aggressive Erkrankung des Knochenmarks festgestellt, 2024 Akute Leukämie. Der Bariton unterzog sich erneut einer Stammzellen-Transplantation. Nun feiert er sein Comeback bei den Salzburger Festspielen in der Mozart-Produktion „Zaide“.
Sind Sie jetzt zum zweiten Mal über den Berg?
Medizinisch heißt es immer: Erst ein Jahr nach der Transplantation ist dies so, und das wäre in meinem Fall im kommenden Januar. Bei meiner ersten Erkrankung habe ich nach elf Monaten wieder angefangen. Meine Ärztin kann es gerade überhaupt nicht verstehen, dass ich schon wieder arbeiten will. Sie sagte aber: „Wenn Sie sich diesem Stress aussetzen wollen, dann tun Sie das – medizinisch spricht nichts dagegen.“ Und da ich es gern mache, kann es mir ja Kraft geben. Ich nehme noch nicht alle Engagements an. Aus meinem Kalender habe ich vorerst den Alberich fast ganz gestrichen, der wäre im Herbst bei der Berliner „Ring“-Wiederaufnahme unter Christian Thielemann gewesen. Ich singe die Rolle jetzt nur in der „Götterdämmerung“, das ist eine relativ kurze Partie. Körper und Stimme müssen sich wieder festigen. Mein letztes Theaterereignis war im Sommer 2024 in Aix-en-Provence „Eight Songs for a mad King“ von Peter Maxwell Davies. Darauf noch zwei Lied-Auftritte – dann war Schluss.
Sie hatten aber ein verstecktes Comeback in Ihrer Geburtsstadt Augsburg.
Genau. In einer konzertanten Opern-Gala hatte ich im Mai Mozarts Leporello gesungen, ein Rollen-Debüt. Ich wollte einfach schauen, wie und ob es geht. Um festzustellen, dass die Rolle gerade sehr gut passt, ich würde sie gern weiter auf der Bühne singen.
Nach Ihrer ersten Erkrankung erzählten Sie mir, dass Sie über vieles nachgedacht und irgendwie mit allem abgeschlossen hatten. Sie hätten alles akzeptiert, egal wie es ausgegangen wäre. Wie war es diesmal?
Es war einerseits leichter zu kämpfen, weil ich an meine Frau dachte und an unseren jetzt dreijährigen Sohn. Das hat mich motiviert. Andererseits war alles mental schwerer, weil ich wusste, was auf mich zukommt. Beim ersten Mal wird man von der Behandlung quasi überrascht. Jetzt wusste ich: Ich kriege eine Chemotherapie, nach der ich zum Beispiel nichts mehr schmecken, sogar nichts mehr essen oder schlucken kann. Außerdem ist der Ausgang noch offener als beim ersten Mal. Und dann ging es erstaunlich gut. Ich hatte bisher keine großen Komplikationen – gottlob. Außer ein paar Infekte, die man natürlich kriegt, wenn das Immunsystem heruntergefahren wird.
Gab es trotzdem eine Art Optimismus, weil man wusste, dass man den Berg schon einmal überwinden konnte?
Ja und nein. Manchmal dachte ich mir: Man soll Gott oder das Glück nicht zweimal herausfordern. Die Statistik sprach außerdem gegen mich. Und trotzdem war es komplikationsloser als beim ersten Mal. Sehr ungewöhnlich.
Mitentscheidend ist demnach die psychische Disposition.
Unbedingt. Ich wollte leben. Und ich wollte für den Kleinen da sein. Das treibt an. Ich hatte zwei Möglichkeiten: keine Transplantation, dafür Chemotherapie. Mit Letzterer, so hieß es, hätte ich noch zwischen zwei und zehn Jahren durchhalten können – und das Singen aufgeben müssen. Nach der Diagnose hatte ich zunächst gesagt: Eine Knochenmarkstransplantation will und kann ich nicht nochmals durchstehen. Nach einigen Tagen des Überlegens entschied ich mich dann doch für die harte Lösung. Ich wollte das Risiko eingehen.
Sie haben jedes Mal zu einem relativ frühen Zeitpunkt die Krankheit publik gemacht. Ist das Aussprechen, das Sich-Bekennen zur Krankheit eine Art Rezept?
Ja. Auch weil man damit Gerüchte unterbinden kann. Und das Tolle: Salzburg hat mir das Angebot für dieses Mozart-Projekt gemacht, erst nachdem ich die Diagnose publik gemacht hatte. Ich fragte zurück: „Wollt Ihr das wirklich? Rein terminlich wäre es deutlich zu früh.“ Die Antwort: Das wisse man, falls es nicht funktioniere, dürfe ich jederzeit absagen. Andere Theater dagegen strichen mich sofort aus den Besetzungslisten, teilweise für Vorstellungen, die erst in zwei Jahren sind.
Beim ersten Mal hat Ihr Bruder Knochenmark gespendet. Und jetzt?
Es handelt sich um einen 30-jährigen Familienvater aus Dresden. Alles muss ja anonym bleiben. Man darf mit dem Spender zwei Jahre lang anonym korrespondieren. Und danach darf man sich kennenlernen. Ich habe mich bedankt, und er hat mir ganz rührend zurückgeschrieben. Er freue sich so, dass er helfen konnte. Auch deshalb bin ich mit meiner Krankheit an die Öffentlichkeit gegangen: um dafür zu werben, dass man sich als Knochenmarkspender registrieren lässt. Es geht ja nicht darum, dass man sein Knochenmark anbohren lässt, sondern um eine ganz simple Blutspende. Mittlerweile kann man das Knochenmark genauer analysieren als vor zehn Jahren. Es ist also möglich, noch ähnlicheres Blut zu finden.
Wie ist Ihre Familie damit umgegangen? Mussten Sie ihr Mut machen, oder war es umgekehrt?
Als ich zum ersten Mal erkrankte, kannte ich meine Frau ein Jahr. Das war ein entsetzlicher Schock. Und eigentlich hieß es, man könne dann keine Kinder mehr bekommen, insofern war unser Sohn ein ganz großes Geschenk. Ich hatte einfach wahnsinniges Pech – und ebenso großes Glück.
Beim ersten Mal sind Sie zusammengebrochen, wurden bewusstlos und daraufhin untersucht. Und beim zweiten Mal?
Ganz seltsam. Ich bin nach Mailand zu den „Rheingold“-Proben und hatte noch eine Untersuchung. Ich sagte, ich hätte da einen kleinen Knoten. Die Ärzte fragten: „Tut’s weh?“ Ich verneinte. „Oh, das ist schlecht.“ Es wurde eine Probe entnommen, und ich bekam in Mailand, als ich bereits mit der Familie dort war, den Anruf: „Sie haben Leukämie.“
An was denken Sie beim Aufwachen zuerst?
Manchmal vergesse ich, meine Medikamente zu nehmen. Das ist schon mal schlecht. (Lacht.) Ich kann die Krankheit tatsächlich vergessen, vielleicht fast zu sehr. Es gibt natürlich das ständige Bewusstsein, was ich mir körperlich oder sängerisch zumuten kann. Aber mit der Familie und der Probenarbeit gerade ist es möglich, an ganz andere Dinge zu denken.
Wissen eigentlich in Salzburg alle von Ihrer Krankheit?
Nein. Und das ist gut so. Sonst kommen immer diese Gedanken auf: „Ach dafür, dass er so viel erlitten hat, macht er’s gar nicht schlecht.“ Mit diesem Etikett, mit diesem Mitleid würde ich den Beruf nicht weiterführen wollen. Dass ich engagiert werde, soll ja nichts Caritatives haben. Trotz alledem: Mein Kalender füllt sich. Und wenn ich nicht Halt sage, ist alles voll. Im kommenden Frühjahr singe ich zum Beispiel den Wozzeck in Wien. Darauf freue ich mich sehr, er ist eine meiner Traumpartien, die ich viel zu selten gesungen habe.
Sind Sie gläubig?
Ich bin katholisch, aber kirchlich nicht engagiert. Ich glaube, dass der Mensch die Sache nicht ganz in der Hand hat. Früher habe ich im Knabenchor Gottesdienste mitgestaltet, später habe ich auf meinen Weltreisen Messen in anderen Sprachen besucht – und trotzdem einigermaßen verstanden, worum es geht, der Ritus ist ja derselbe. Insofern gibt es da auch ein familiäres Aufgehobensein. Und eine besondere sinnliche Erfahrung.
Und wie kommt man auf die Idee, zwischen Diagnose und Therapie ausgerechnet Schuberts „Winterreise“, diesen dunklen Lied-Zyklus aufzunehmen? Die CD ist gerade herausgekommen (hier die Kritik).
Ich singe die „Winterreise“ seit drei Jahrzehnten und wollte sie endlich einspielen. Es war als eine Art Vermächtnis gedacht. Auch wenn ich alles überlebt hätte, aber nicht mehr hätte singen können. Ich war damals stimmlich in einem sehr guten Zustand. Außerdem: Das Tolle an dieser Musik ist, dass Tragik immer in etwas Schönes verwandelt wird. Ein Katharsis-Effekt. Ausgerechnet in der geplanten Aufnahmewoche sollte ich plötzlich bestrahlt werden. Ich bat den Arzt, dass ich zwei Tage frei bekomme. Er war früher im Windsbacher Knabenchor, hatte also Verständnis für mein musikalisches Anliegen – und gab grünes Licht. Wäre es nach der „Winterreise“ und nach der Opernpremiere in Aix-en-Provence nicht weitergegangen, dann wäre ich trotzdem im Reinen mit mir gewesen. Das waren zwei intensive, wunderbare Produktionen, es wäre ein krönender Abschluss gewesen. Ich hatte mir während meines Studiums nie erträumt, so weit zu kommen. Und nun geht es tatsächlich weiter. Ich bin unglaublich demütig und dankbar, dass ich wieder zurück bin.