Tanzender General mit düsterer Vergangenheit will Indonesiens Präsident werden
Indonesien wählt einen Nachfolger für Präsident Joko Widodo. Als Favorit geht ein Mann ins Rennen, dem schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
Der General tanzt. Auf Instagram, TikTok, überall dort, wo er junge Wählerinnen und Wähler erreichen kann. Etwas hüftsteif wackelt Prabowo Subianto zum Beat, für einen 72-Jährigen aber macht Indonesiens Verteidigungsminister keine allzu schlechte Figur. Es gibt Videos des tanzenden Ministers, die mehr als 50 Millionen Mal abgerufen wurden, der „Happy Dance“ ist Prabowos Markenzeichen, er soll ihm den Weg ebnen in den Präsidentenpalast in Indonesiens Hauptstadt Jakarta. Und es sieht gut aus für den General: Am kommenden Mittwoch sind rund 205 Millionen der knapp 280 Millionen Menschen im mehrheitlich muslimischen Indonesien aufgerufen, über einen Nachfolger für Präsident Joko Widodo abzustimmen, und alle Umfragen sehen Prabowo vorne.
Die Tanzvideos des Ministers aber täuschen. Kritiker nämlich sehen Prabowo Subianto als „Gefahr für die Demokratie“. So zumindest drückt es Edbert Gani Suryahudaya aus, der am indonesischen Centre for Strategic and International Studies (CSIS) zur Politik des südostasiatischen Landes forscht. Sollte Prabowo Präsident werden, gerieten die Rede- und Meinungsfreiheit in Gefahr, warnt Gani. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht vom „größten Druck“ dem die junge indonesische Demokratie seit dem Ende der Diktatur 1998 ausgesetzt sei.
Indonesien: vom brutalen Soldaten zum „niedlichen Großvater“
Denn Prabowo war nicht immer der „niedliche Großvater“, als der er sich in den sozialen Medien und bei seinen Wahlkampfauftritten so erfolgreich inszeniert. Als Soldat einer Eliteeinheit des indonesischen Militärs soll er in den 1980er-Jahren in der damaligen Provinz Osttimor an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein, Hunderte Menschen kamen unter noch immer nicht ganz geklärten Umständen ums Leben. Indonesien wurde damals von Diktator Suharto regiert, mit dessen Tochter Prabowo 15 Jahre verheiratet war. Ende der 90-er, als Suhartos Diktatur zusammenbrach, ordnete Prabowo die Entführung von 20 Demokratieaktivisten an, von denen 13 bis heute verschwunden sind. In einem Interview mit dem Fernsehsender Al Jazeera rechtfertigte Prabowo die Entführungen vor zehn Jahren als „legal“, stritt aber ab, an dem Verschwindenlassen der Aktivisten beteiligt gewesen zu sein.
Dass so jemand nun beste Chancen hat, Indonesiens Präsident zu werden, erklärt der Politikwissenschaftler Gani vor allem mit der demografischen Struktur des Landes – 55 Prozent der Wahlberechtigten sind zwischen 17 und 43 Jahren alt. „Diese Leute haben keine Erinnerung an das Indonesien unter Suharto“, sagt Gani. Zudem sei es Prabowo erfolgreich gelungen, sich ein neues Image zu verpassen. „Die Leute sehen ihn heute nicht mehr als Armeegeneral, sondern als Mann des Volkes.“
Geschafft habe Prabowo das, indem er mehr noch als seine Konkurrenten auf soziale Medien setze. Sogar Prabowos Katze „Bobby“ folgen auf Instagram Zehntausende. Schätzungen zufolge sind 167 Millionen Menschen in Indonesien auf sozialen Medien aktiv, davon alleine 125 Millionen auf TikTok. Der General hat zudem offenbar gelernt aus seinen ersten beiden erfolglosen Versuchen, Präsident zu werden: statt den starken Mann zu geben, der nationalistische Reden schwang und Wahlkampf schon mal vom Rücken eines Pferdes aus machte, spielt er nun den sympathischen Opa.
Indonesiens Noch-Präsident Widodo unterstützt Favoriten für Präsidentschaftswahl
Politikwissenschaftler Gani nennt noch einen weiteren Faktor für Prabowos Erfolg: die Unterstützung durch Noch-Präsident Joko Widodo. „Jokowi“, wie ihn seine Anhänger nennen, ist überaus beliebt, im vergangenen Dezember lag die Zustimmungsrate für den Präsidenten einer Umfrage zufolge bei 76 Prozent – ein Wert, von dem ein Olaf Scholz oder ein Joe Biden nur träumen kann. Unter Widodo, der 2014 ins Amt gewählt wurde und nun nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten darf, wuchs die Wirtschaft des Inselstaates um rund fünf Prozent jährlich (unterbrochen lediglich von den Jahren der Corona-Pandemie), zudem hat er viel Geld in gigantische Infrastrukturprojekte gesteckt. Im vergangenen Jahr nahm er auf der Hauptinsel Java die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke des Landes in Betrieb, im April soll Nusantara eingeweiht werden, Indonesiens zukünftige Hauptstadt, die derzeit für geschätzte 35 Milliarden US-Dollar auf der Insel Borneo gebaut wird. Prabowo hat angekündigt, Widodos Prestigeprojekte fortzusetzen.
Die Unterstützung durch Widodo (gegen den er 2014 und 2019 zwei Präsidentschaftswahlen verloren hatte, bevor dieser ihn schließlich zu seinem Verteidigungsminister machte) sicherte sich Prabowo durch einen geschickten Schachzug: Er ernannte Widodos ältesten Sohn Gibran Rakabuming Raka zu seinem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Damit der 36-jährige Gibran, der eigentlich zu jung für das Amt ist, antreten konnte, änderte das Oberste Gericht des Landes eigens die Verfassung – unter Vorsitz von Widodos Schwager. Kritiker befürchten, dass Widodo auch nach dem Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit durch seinen Sohn Einfluss auf die indonesische Politik ausüben will.
Indonesien vor möglicher Stichwahl
Neben Prabowo bewerben sich noch zwei weitere Kandidaten um das Amt des indonesischen Präsidenten: Ganjar Pranowo von der größten Partei des Landes sowie der unabhängige Kandidat Anies Baswedan. Inhaltlich trennt alle drei nicht viel: Sie wollen die Armut im Land bekämpfen, gegen Korruption vorgehen, die erneuerbaren Energien ausbauen und aus dem rohstoffreichen Indonesien ein Zentrum der Batterieherstellung für E-Autos machen. Für viele Wählerinnen und Wähler ist aber ohnehin etwas anderes entscheidend: nicht die Inhalte, sondern die Person.
Auch Ganjar Pranowo und Anies Baswedan werben zwar in den sozialen Medien massiv um Stimmen, mit deutlich geringerem Erfolg als Prabowo allerdings. Eine Umfrage von Ende Dezember sieht Prabowo bei 46,7 Prozent, seine beiden Herausforderer kommen auf 24,5 beziehungsweise 21 Prozent. Sollte keine der drei mindestens 50 Prozent der Wählerstimmen bekommen, treten im Juni die beiden Erstplatzierten gegeneinander an. Spätestens dann dürfte Prabowo Subianto, der tanzende General mit der düsteren Vergangenheit, Indonesiens nächster Präsident werden.