ZDF-Mitarbeiter Andreas Halbach hatte vor Kurzem bei einer Anhörung im NRW-Kulturausschuss zu einem neuen Medienstaatsvertrag schwere Vorwürfe gegen den öffentlich-rechtlichen Sender erhoben. Halbach hatte die Strukturen im Zweiten Deutschen Fernsehen heftig kritisiert und die dortigen Machtverhältnisse mit jenen der Katholischen Kirche verglichen. Der Investigativjournalist berichtete von Einschüchterungsversuchen, zurückgehaltenen Rechercheergebnissen, Zwangsversetzungen und einem Arbeitsklima, in dem Kritik nicht erwünscht ist.
Der Mainzer Sender widersprach und unterstellte Halbach falsche Behauptungen. Nun redet sein ehemaliger "frontal21"-Kollege Joe Sperling im FOCUS-online-Interview und bestätigt die Angaben seines Kollegen. Auch ihm widerspricht der Sender.
FOCUS online: Ihr Kollege Andreas Halbach hat vor dem Medienausschuss des NRW-Landtags erklärt, es gebe Strafversetzungen im ZDF. Der öffentlich-rechtliche Sender bestreitet dies. Was stimmt denn nun aus ihrer Sicht?
Joe Sperling: Meiner Ansicht nach stimmt Halbachs Darstellung. Ich bin der strafversetzte Ex-frontal-Kollege, also genau der Fall, von dem das ZDF behauptet, er existiere nicht. Halbach hat also dem Landtag wahrheitsgemäß berichtet – und wird nun selbst im Sender abgestraft. Ich habe 17 Jahre lang als Redakteur bei ZDF frontal gearbeitet und wurde im Sommer 2024 von Berlin nach Mainz in die Boulevardredaktion ‚Hallo Deutschland‘ versetzt.
Das klingt nach einem deutlichen Karriereknick. Wie wurde das begründet?
Sperling: Gar nicht. In dem Schreiben vom 15. Juli 2024 stand nur, ich sei ab sofort in Mainz eingesetzt und solle meine persönlichen Sachen in Berlin räumen. Kein Wort zu Gründen. Intern erklärte meine damalige Chefin, „es seien Dinge vorgefallen, die eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr möglich machten“. Was damit gemeint war, hat sie nie erläutert – klang aber wie ein persönlicher Fehltritt.
Und was ist aus ihrer Sicht tatsächlich vorgefallen?
Ich habe interne Kritik geäußert. Ich bin seit 40 Jahren Journalist und halte mich an die Grundregeln des Handwerks: prüfen, fragen, zweifeln. Ich habe bei "frontal" Bedenken zur Kriegsberichterstattung geäußert – konkret zur Überprüfbarkeit von Bildern aus dem Ukraine-Krieg. Außerdem habe ich auf eine Personalie hingewiesen, die aus meiner Sicht ein Sicherheitsrisiko gewesen war: Ein langjähriger und inzwischen verstorbener "frontal"-Kollege wurde kurz nach seinem Ruhestand als Quelle zweier Geheimdienste enttarnt. Ich wollte wissen, ob und wie diese Verbindung unsere Redaktion beeinflusst haben könnte.
Wie hat die Redaktion darauf reagiert?
Mit Schweigen – und dann mit Druck. Man forderte von mir eine Loyalitäts- und Schweigeerklärung. Ich habe sie nicht unterschrieben, sondern eine formale Beschwerde an die Chefredaktion und den Intendanten geschickt. Danach hieß es: Es sei alles geprüft, es gebe keinen Anlass für Kritik. Einsicht in die Unterlagen habe ich bis heute nicht erhalten. Wenig später kam meine Versetzung nach Mainz.
Das ZDF bestreitet, dass es Strafversetzungen gibt.
Das ist absurd. Mein Fall lag über ein Jahr beim Arbeitsgericht Mainz. Das ZDF streitet also seit einem Jahr über etwas, das es öffentlich abstreitet. Ich habe das Haus gefragt, wie das sein kann – keine inhaltliche Antwort. Wenn ein Sender, der zur Wahrheit verpflichtet ist, die Öffentlichkeit gezielt in die Irre führt, und dieser Eindruck kann sich hier aufdrängen, wenn er nicht gar zutrifft, ist das mehr als nur ein Kommunikationsproblem. In erster Instanz wurde unsere Klage zwar abgewiesen, aber wir werden gegen den Richterspruch in Berufung einlegen.
Warum vermuten Sie, dass mehr dahintersteckt als ein Kommunikationsfehler
Da muss ich nochmal auf meinen Kollegen Andreas Halbach zurückkommen. Er hat im ZDF-Personalrat lange dafür gekämpft, dass es endlich ein Redaktionsstatut gibt – also ein internes Beschwerdegremium, das unabhängig vom Intendanten entscheidet. Der Intendant ist derzeit die letzte Instanz. Das wollte Halbach ändern. Er hat im Landtag die Machtfrage gestellt – und mein Fall zeigt, wie nötig das ist.
Glauben Sie, der Sender will Kritiker mundtot machen?
So sieht es aus. Ich bin nicht der Einzige. Wer intern Fragen stellt, riskiert seine Karriere. Man wird versetzt, Projekte verschwinden in der Schublade, man bekommt keine Teams mehr – wie Kollege Halbach. Sein aktueller Beitrag liegt auf Eis, ihm wurden schlicht die Produktionsmittel entzogen. Das ist keine funktionierende innere Pressefreiheit, sondern interne Zensur durch Entzug von Arbeitsmöglichkeiten.
26 ehemalige frontal-Kollegen haben aber öffentlich erklärt, Halbachs Aussagen entsprächen nicht ihren Erfahrungen.
Diese Erklärung wundert mich. Viele der Unterzeichner waren dabei, als ich aus der Redaktion gedrängt wurde. Die wissen, was passiert ist. Ich vermute, viele fühlen sich unter Druck. Einige haben befristete Verträge oder wenig Kündigungsschutz. Widerspruch kann im ZDF schnell das berufliche Ende bedeuten. Auffällig ist: Einige festangestellte Kollegen mit sicherem Status haben nicht unterschrieben.
Warum äußern Sie sich erst jetzt öffentlich?
Zum einen, weil Halbach ein erfahrener Redakteur ist, der gerade etwas Wichtiges tut: Er spricht über Strukturen, die sonst niemand offenlegt. Und zum anderen, weil der Zeitpunkt richtig ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht vor einer großen Reform. Über Geld wird überall gesprochen – aber über journalistische Unabhängigkeit kaum. Dabei ist das der Kern unserer Arbeit.
Was genau fehlt Ihnen im System?
Innere Pressefreiheit. Theoretisch können wir Journalisten berichten, was wir wollen, solange es richtig und wichtig ist. Praktisch hängt alles von Hierarchien ab. Wenn jemand oben sagt: „Dieses Thema passt nicht“, war’s das. Kritische Themen verschwinden, unbequeme Kollegen werden versetzt. So entsteht Schweigen – und am Ende verliert das Publikum Vertrauen.
Wie geht es bei Ihnen persönlich weiter?
Mein Weg durch die Arbeitsgerichte läuft noch. Die Zeit ist zermürbend. Ich arbeite zwar offiziell für Mainz, aber viele meiner Vorschläge landen im Papierkorb, weil sie „zu investigativ“ sind. Ich fühle mich kaltgestellt – bezahlt, aber stillgelegt. Vielleicht ist das sogar die Strategie: aussitzen. Es kostet ja kein eigenes Geld, sondern das der Beitragszahler.
Was treibt Sie trotzdem an?
Ich bin Journalist aus Überzeugung. Ich glaube an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – aber nur, wenn er transparent, kritisch und unabhängig ist. Wenn uns eine Intendantenverfassung daran hindert, brauchen wir den Öffentlichen rechtlichen Rundfunk nicht mehr. Dann hätte der Gebührenzahler das Recht zu fragen, wofür er eigentlich bezahlt.
ZDF: Herr Sperling wurde nicht ‚strafversetzt‘
Auf Anfrage teilte das ZDF mit: „Herr Sperling wurde nicht ‚strafversetzt‘, mit ihm war eine befristete Zuordnung zur Redaktion "frontal" vereinbart, die nicht verlängert wurde. Zudem ist Herr Sperling nicht der Redaktion von "hallo deutschland" zugeordnet, sondern allgemein dem Bereich der Chefredaktion. Seine Klage vor dem Arbeitsgericht in Mainz wurde in allen Punkten abgewiesen.