Nur 89,9 Prozent fährt der CDU-Chef bei seiner Wiederwahl auf dem Berliner Parteitag ein. Seine Gegner in der eigenen Partei haben noch nicht aufgegeben. Ein Kommentar von Georg Anastasiadis.
Die CDU, hat Parteichef Friedrich Merz mal geseufzt, lerne ihre Vorsitzenden immer erst dann zu lieben, wenn sie Kanzler sind. So weit ist es in seinem Fall noch nicht. Immerhin gewöhnen sich der 68-Jährige und die Partei, in der viele lange mit ihrem bisweilen etwas hölzernen Chef fremdelten, allmählich aneinander: Knapp 90 Prozent Zustimmung bei der Wiederwahl zum Parteichef sind ein solider Vertrauensbeweis, wenn auch nicht das insgeheim erhoffte Traumergebnis, das es Gegnern und Rivalen verböte, weiter subtil Zweifel an ihm als den richtigen Kanzlerkandidaten zu säen.
Merz ließ sich auf dem CDU-Parteitag nicht ablenken
An Versuchen hat es bis direkt vor dem Parteitag nicht gemangelt. Ein Nachrichtenmagazin berichtete, erkennbar aufmunitioniert durch Parteifreunde, über angebliche Sorgen, Merz könne sein aufbrausendes Temperament nicht kontrollieren. Und Nord-Ministerpräsident „Genosse“ Daniel Günther ließ per Zeitungsinterview erkennen, wie groß noch immer sein Phantomschmerz über Angela Merkels Verschwinden ist. Merz aber ließ sich diesmal nicht provozieren, hielt eine starke Rede, die zwar nicht immer begeisternd war, aber staatsmännisch und dem Ernst unserer Zeit angemessen und die die CDU von der linken Merkel-Mitte wieder zurück an ihren alten Platz Mitte-rechts führte – dorthin, wo sie hingehört, wenn sie den rechten Verführern nicht zu viel Platz lassen will. Nur einen kleinen Luxus gönnte sich der Sauerländer: Die von seinen Widersachern so vermisste Vorgängerin ließ er komplett unerwähnt.
Merz ist nach dem Berliner Parteitag der weiter ungekrönte König der CDU und der Reservekanzler. Nicht so gefällig und biegsam wie Wüst, nicht so mitreißend wie Söder, aber unverbogen, berechenbar und prinzipienfest. Nur ein Unfall bei den ostdeutschen Herbstwahlen, etwa ein Kollaps der Brandmauer zur AfD, oder abstürzende Umfragewerte könnten Wüst und Söder zurück ins Spiel bringen. Der CSU-Chef wird die Gelegenheit nutzen, die Schwesterpartei heute mit einem fulminanten Gastauftritt zu beeindrucken. Doch ist er auch Realist. Ein CSU-Grande mit Sinn für Humor antwortete kürzlich auf die Frage nach Söders K-Chancen: „Da müsste Merz schon ein Ziegelstein auf den Kopf fallen. Und dann müsste auch noch Wüst ein Ziegelstein treffen.“ Und dann müsste Söder noch beweisen, dass er nicht der Steinewerfer war. (Georg Anastasiadis)