Vorschläge von Top-Ökonom Marcel Fratzscher - Mehr Grundsteuer, weniger Erwerbssteuer: Wie der Staat seine Kassen füllen könnte

Die Frage, ob Vermögen besteuert werden sollen, spaltet Länder. Aktuell diskutiert ausgerechnet das Reichenparadies Schweiz über eine solche Vermögenssteuer, welche die Jungsozialisten dort über eine Initiative eingebracht haben. Dabei ist offen, ob die Eidgenossen dafür oder dagegen stimmen werden.

Vorsichtshalber bereiten einige Milliardäre bereits den Wegzug vor. Genau das, argumentieren Gegner solcher Steuern, wäre der Haken. Am Ende gebe es niemanden mehr, den man besteuern könnte.

Auf der anderen Seite, sagen die Befürworter, wäre eine solche Steuer im Sinne der Gleichverteilung nur gerecht. Zudem hätte der Staat dann Kapital, für Investitionen beispielsweise.

In einem Interview mit der „WirtschaftsWoche“ erklärt der Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass sich die Staatskassen auch anders füllen ließen.

Deutschland fährt seit Jahrzehnten auf Verschleiß

„Es sollte nicht per se darum gehen, die Ungleichheit der Vermögen zu verringern. Die Fragen sollten vielmehr sein: Wie kann der Staat das Steuersystem sinnvoll reformieren, und wie kann er mehr investieren?“, sagte Fratzscher dem Wirtschaftsblatt. Deutschland habe zwei große Baustellen: die Bundeswehr und die Investitionen.

Gerade die Investitionen würden zunehmend vernachlässigt: „Deutschland hat seit über 20 Jahren negative Nettoinvestitionen – das heißt, der Staat investiert jedes Jahr weniger, als unter anderem der Verfall von Straßen und Brücken an Substanz vernichtet“, merkt Fratzscher an.

Um das Geld für die Infrastruktur, das Bildungssystem und die Wirtschaft aufzutreiben, schlägt der Ökonom Reformen vor: „Mein Vorschlag ist, die Privilegien und Ausnahmen im Steuersystem abzuschaffen oder zu reduzieren und dadurch Mehreinnahmen zu generieren. Wenn ich ein Steuerprivileg abschaffe, ist das keine Steuererhöhung – der Steuersatz ist nicht höher als vorher.“

Das Ziel dabei: mehr Gerechtigkeit, mehr Gleichbehandlung, ein fairerer Wettbewerb, und damit generelle Impulse für Wachstum und Wohlstand. Konkret würde Fratzscher beispielsweise bei den Erbschaften ansetzen.

Von Hunderten Milliarden an Erbschaften wird nur ein kleiner Teil versteuert

„Jedes Jahr werden in Deutschland 300 bis 400 Milliarden Euro verschenkt oder vererbt. Das Steueraufkommen liegt bei 10 Milliarden Euro, also ein Bruchteil von 2,5 bis drei Prozent“, so der Volkswirt gegenüber der „WirtschaftsWoche“. Dabei würden Menschen mit kleineren Erbschaften zwischen 250.000 und 500.000 Euro mehr als zehn Prozent Steuer zahlen – Erben mit mehr als 20 Millionen Euro oft ein Drittel bis zu einer Hälfte weniger.

Tatsächlich veröffentliche das Statistische Bundesamt hierzu kürzlich Zahlen. So stieg die festgesetzte Erbschafts- und Schenkungssteuer im Jahr 2023 um 3,9 Prozent auf 11,8 Milliarden Euro. Zudem war das steuerlich berücksichtigte geerbte und verschenkte Vermögen mit 121,5 Milliarden Euro so hoch wie noch nie - aber eben weit unter dem Gesamtwert aller Erbschaften und Schenkungen, die jährlich anfallen.

Laut Fratzscher liege das daran, dass Unternehmenserbschaften teilweise komplett ausgenommen sind. „Ökonomisch nicht zu rechtfertigen“, sagt Fratzscher. Ebenso sieht Fratzscher Immobiliengewinne, die nach einem Jahrzehnt steuerfrei sind, kritisch: „Wir wissen, dass in vielen Städten die Immobilienwerte in den letzten zehn Jahren um das Doppelte oder mehr gewachsen sind, häufig ohne dass die Eigentümer etwas dazu beigetragen haben.“

Darüber hinaus bemängelt Fratzscher andere Steuerpriviliegien, wie beispielsweise die niedrigeren Steuern bei Diesel und Kerosin. „Der Internationale Währungsfonds schätzt die impliziten Subventionen für fossile Energieträger auf 60 bis 65 Milliarden. Dies sind Beispiele für gesetzliche Ausnahmeregelungen, die bestimmte Gruppen – meist Besserverdienende und Hochvermögende – besserstellen.“

Mehr Grundsteuer, weniger Grunderwerbssteuer

„Unsinn und falsch“ sei hingegen die Debatte um die Sozialausgaben wie das Bürgergeld, sagt Fratzscher. „Nehmen wir die Totalverweigerer beim Bürgergeld: Das sind rund 15.000 Menschen, von denen sich die Bundesregierung 120 bis 130 Millionen Euro im Jahr erhofft. Das ist völlig richtig, Sozialbetrug muss bestraft werden“, erklärt Fratzscher. Nur: Steuerhinterziehung koste den Staat im Jahr das „Hundert- bis Tausendfache“.

Als letzten Punkt spricht Fratzscher noch das Thema der Grund- und Grunderwerbssteuer an – ein Thema, welches viele Hausbesitzer in den vergangenen Jahren aufgrund der großen Grundsteuer-Reform beschäftigte. Doch trotz allem, bekräftigt Fratzscher, bleibe die Grundsteuer in Deutschland „ungewöhnlich niedrig“.

„Stattdessen wurde in fast allen Bundesländern die Grunderwerbsteuer massiv erhöht, um Einnahmen zu generieren.“ Doch das bedeute auch: weniger Umschlag, weniger Flexibilität, weniger Mobilität. Fratzscher fordert ein Umdenken: „Die Grunderwerbsteuer sollte gesenkt und im Gegenzug die Grundsteuer deutlich erhöht werden.“

„Immobilien können nicht weglaufen“

Dieses Maßnahmenpaket, sagt Fratzscher, wäre effektiver als eine simple Vermögenssteuer. „Immobilien sind unbeweglich, sie können nicht weglaufen“, sagt Fratzscher im Hinblick auf einen möglichen Exodus der Reichen. Seine Vorschläge zu Erbschafts- und Immobiliengewinnsteuern würden auch nur „das obere ein Prozent“ treffen.

Zwar könnte eine höhere Grundsteuer auch die Mieten anheben. „Wesentlich stärker“ aber würde sie die Besitzer mehrerer oder besonders großer Immobilien treffen. Trotzdem bleibt Fratzscher dabei, denn in Deutschland würden wie in kaum einem zweiten Land „Arbeit höher und Vermögen niedriger“ besteuert werden.

Die Haushaltslücken jedenfalls ließen sich offenbar schnell stopfen, wenn es nach dem Ökonomen ginge. Denn Fratzscher zufolge hätten wir „80 bis 120 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen mehr, würden wir Vermögen so besteuern wie Frankreich, Großbritannien, die USA oder Kanada“.