Zwei Jahre nach der Gaskrise: EU und Deutschland haben 2022 wohl einfach nur Glück gehabt
Die EU und Deutschland haben zwei Jahre nach der Energiekrise ihre Gas-Abhängigkeit gegen eine LNG-Abhängigkeit getauscht, warnt der Rechnungshof. Die Klimaziele rücken damit in weite Ferne.
Brüssel – Es ist nun zwei Jahre her, dass die deutsche Regierung vor einer möglichen Gasknappheit im Winter warnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bemühte sich intensiv, das aus Russland importierte Gas zu ersetzen, bevor der russische Präsident Wladimir Putin die Gaszufuhr stoppte. Der Import von Flüssigerdgas (LNG) war ein entscheidender Faktor, der eine Versorgungskrise in Deutschland und der gesamten EU verhinderte. Ein EU-Sonderbericht stellt nun jedoch fest, dass dies ein zweischneidiges Schwert ist.
LNG statt Gas: EU hat Abhängigkeit lediglich verschoben
Der EU-Rechnungshof ist der Ansicht, dass die EU ihre Abhängigkeit lediglich verlagert hat: von Erdgas auf LNG. Dies ist das Ergebnis eines neuen Berichts des EU-Rechnungshofs, der am 24. Juni veröffentlicht wurde. „Die Krise, die durch den Großangriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 ausgelöst wurde, hat die Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber einer abrupten Veränderung bei der Gasversorgung auf die Probe gestellt“, so João Leão, zuständiges Mitglied des Rechnungshofs, bei der Präsentation der Ergebnisse. „Angesichts ihrer Abhängigkeit von Gas aus dem Ausland wird die EU nie einfach die Hände in den Schoß legen können, wenn es um die Versorgungssicherheit geht. Auch die Konsumenten haben für den Fall eines künftigen größeren Engpasses keine Garantie, dass die Preise bezahlbar bleiben.“
Der Sonderbericht des Rechnungshofs kommt zu dem Schluss, dass die EU im Wesentlichen weiterhin von importiertem LNG abhängig ist. Dies macht die Mitgliedstaaten nicht nur weiterhin abhängig von einem volatilen Energiemarkt, sondern hindert sie auch daran, ihre Klimaziele zu erreichen. „Im Rahmen ihrer Anpassung an die durch die Krise geschaffenen neuen Gegebenheiten hinsichtlich der Versorgungssicherheit muss sich die EU neuen Herausforderungen stellen, die mit der zunehmenden Abhängigkeit von Flüssigerdgas (LNG) und der Notwendigkeit von CCUS-Maßnahmen [Carbon Capture Utilization and Storage, Anm. d. Red.] zur Dekarbonisierung zusammenhängen“, heißt es in dem Bericht.
Laut Rechnungshof ist die EU nicht auf eine weitere Gaskrise vorbereitet und könnte die Verbraucher und Verbraucherinnen nicht vor erneuten Preissteigerungen schützen. Zudem ist sie weit davon entfernt, die Energieversorgung zu dekarbonisieren. Die Prüfer des Rechnungshofs sind zudem skeptisch, ob die EU-Länder eine Gasmangellage durch ergriffene Maßnahmen verhindert haben oder ob es einfach Glück war, dass der Winter 2022/23 mild war.
Solidarität zwischen den EU-Ländern im Falle einer Energiekrise „lässt zu wünschen übrig“
Positiv hervorgehoben wurde, dass die EU-weite Gasnachfrage seit 2022 um 15 Prozent gesunken ist und dass die Befüllungspflicht für Gasspeicher übertroffen wurde.
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Der Sonderbericht des Rechnungshofs kritisiert jedoch auch die mangelnde Solidarität zwischen den EU-Ländern. „Die Solidarität zwischen den EU-Ländern lässt zu wünschen übrig“, heißt es in der Pressemitteilung zum Sonderbericht. Zu wenige Länder hätten bilaterale Versorgungsabkommen geschlossen, also Solidaritätsversprechen, einander im Krisenfall mit Energie zu versorgen. Noch schlimmer: „Einige EU-Länder würden sogar planen, im Notfall ihre Gaslieferungen an einen Nachbarn zu kappen“, so die Prüfer.
Deutschland schließt Energie-Abkommen mit Italien und der Schweiz
Im März 2024 unterzeichnete Deutschland ein solches Solidaritätsabkommen mit Italien und der Schweiz, die nicht zur EU gehört. Die Schweiz wurde als Transitland einbezogen, um im Krisenfall einen reibungslosen Gasfluss zwischen Deutschland und Italien zu gewährleisten. „Für den äußerst unwahrscheinlichen Fall einer extremen Gasmangellage haben wir in den beiden Abkommen die Vorgehensweise definiert, wie Deutschland, Italien und die Schweiz sich gegenseitig schnell helfen können“, erklärte Minister Habeck im März zu dem neuen Abkommen.
Ähnliche Abkommen wurden auch mit Dänemark (seit 2020) und Österreich (seit 2021) geschlossen. Laut Wirtschaftsministerium laufen Gespräche mit weiteren Ländern.