Tausende Elite-Soldaten aus Frankreich proben Kampfeinsatz in der Ukraine
Die Nato sucht ihre neue Rolle im Ukraine-Krieg. Jetzt ist Emmanuel Macron mit 3.000 Kräften vorgeprescht und hat ein Manöver nahe Kiew abgehalten.
Paris – „Mit seiner Bemerkung, er wolle ,nichts ausschliessen‘, hat er auch eine Mehrheit seiner Landsleute vor den Kopf gestoßen“, schrieb Rudolf Balmer über Emmanuel Macron. Der Autor der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) hatte bereits im Frühling 2023 vom französischen Präsidenten berichtet, dass er im Ukraine-Krieg zum Lautsprecher für ein offensiveres Eingreifen des Westens gegen die Invasionstruppen Wladimir Putins avanciert. Jetzt hat Frankreich wohl tatsächlich die lange versprochenen Bodentruppen in die Ukraine entsandt.
Wie verschiedene Medien berichten, habe Frankreich kürzlich unter dem Decknamen „Perseus“ in der Ukraine ein Manöver in der Nähe Kiews durchgeführt. Teilgenommen hätten mehr als 3000 französische Soldaten mit dem Auftrag, einen Angriff auf die Ukraine aus der Richtung Weißrusslands abzuwehren. Wie das Magazin Defense Express schreibt, wurden dabei „die Mobilität der französischen Armee und ihre einzigartige Perspektive auf den modernen Drohnenkrieg demonstriert“.
Ukraine-Krieg: „Mittlerweile erkennt Frankreich an, dass seine Russland-Politik gescheitert ist.“
„Mittlerweile erkennt Frankreich an, dass seine Russland-Politik gescheitert ist“, schreibt Sven Arnold. Als Grundlage der neuen französischen Entschlossenheit nennt der Politikwissenschaftler der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) eine Rede von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von Mai 2023. Angesichts des damals schon ein Jahr währenden Ukraine-Krieges „entschuldigte er sich für die früheren Fehleinschätzungen und schloss eine schnelle Rückkehr zur Normalität mit Russland aus“, wie Arnold schreibt.
„Macrons Aufruf zu europäischer strategischer Autonomie wäre stärker, wenn Frankreich seine militärische, humanitäre und finanzielle Unterstützung für die Ukraine verstärken würde. Macron könnte auch klarstellen, dass er Selenskyjs Ziel teilt, die Grenzen der Ukraine von 1991 wiederherzustellen.“
Möglicherweise hat Macron damit Lunte gelegt an den Verlauf der militärischen Entwicklung – das mutmaßte die Zeitung Der Freitag. „Man fragt sich nach der politischen Zurechnungsfähigkeit von europäischen Spitzenpolitikern und sieht, wie blank die Nerven gerade liegen“, schreibt das Blatt. Zwischenzeitlich hatte Macron offen philosophiert, Nato-Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden, woraufhin Wladimir Putin seine atomaren Streitkräfte zu einem Manöver mobilisiert hatte. „Es tut sich viel auf französischer Seite“, hat Sven Arnold in einem Vortrag der Konrad-Adenauer-Stiftung behauptet; dies sieht er in der Person des Präsidenten manifestiert. Macron habe sich in der französischen Außenpolitik vom Bremser zum Treiber entwickelt.
Ende November hatte Frankreich die Ausbildung einer bis zu 4.500 Kräfte starken Brigade nahezu abgeschlossen, wie die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) berichtet hatte. Der von Frankreich ausgebildete und ausgerüstete Verband sollte unter dem Namen „Anne von Kiew“ Infanteriebataillone, Pioniere, Artillerieteams und andere Spezialisten umfassen und jetzt wieder an die Front in die Ukraine zurückkehren, schrieb AP.
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Frankreich prescht vor: Offenbar sollen französische Einheiten in der Nähe Kiews geübt haben
Laut Military Watch sollen außerdem französische Einheiten in der Nähe Kiews geübt haben unter Bedingungen, die denen am Fluss Dnipro ähneln. „Die Übungen simulierten Bemühungen, eine russische Offensive über die ukrainisch-weißrussische Grenze abzuwehren“ schreibt das Magazin. Die Ukraine ist demnach besorgt über die Zunahme der russischen Militärpräsenz in Belarus. Im November hatte auch die französische Tageszeitung Le Monde berichtet, Diskussionen über die Entsendung europäischer Truppen in die Ukraine seien neu entfacht. Le Monde bezog sich auf ein Treffen zwischen dem britischen Premierminister Keir Starmer und dem französischen Präsidenten Macron.
Offenbar wollten die beiden Regierungschefs beraten, welche Rolle die europäischen Großmächte übernehmen wollen oder müssen, sollte sich der kommende US-Präsident Donald Trump gänzlich aus der Koalition der Unterstützer der Ukraine zurückziehen. „Zwischen Großbritannien und Frankreich finden Gespräche über eine Verteidigungszusammenarbeit statt, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung eines harten Kerns von Verbündeten in Europa, der sich auf die Ukraine und die umfassendere europäische Sicherheit konzentriert“, zitierte Le Monde eine anonyme britische Militärquelle.
Anti-Putin-Kurs verschärft: „Russland darf nicht siegen.“
„Wir werden die Ukraine so intensiv und so lange unterstützen, wie es nötig ist. Warum? Weil es um unsere Sicherheit geht. Mit jedem Quadratkilometer, den die russische Armee vorrückt, rückt die Bedrohung einen Quadratkilometer näher an Europa heran“, hatte Jean-Noël Barrot der britischen BBC. Der französische Außenminister erklärte ergänzend „Wir schließen keine Option aus“ auf die Frage, ob Frankreichs Engagement auch bedeute, dass französische Truppen in den Kampf ziehen könnten. Wie das ukrainische Magazin Militarnyi aktuell schreibt, hätten Journalisten berichtet, die in der Ukraine trainierenden Teams, „konzentrierten sich auf taktische Fähigkeiten im Einsatz von Drohnen, elektronischer Kriegsführung und Aufklärung sowie auf die Kompatibilität von Einheiten in hochintensiven Kämpfen“.
Politikwissenschaftler Sven Arnold hat jüngst den Wandel in Macrons Rhetorik nachgezeichnet: „Von ,Russland darf nicht gedemütigt werden‘ (Juni 2022) über ,Russland darf nicht siegen‘ (Februar 2023) bis zu ,die Niederlage Russlands ist unerlässlich‘ (Februar 2024).“ Für Anfang 2024 notiert Arnold auch Macrons Forderung nach einem „strategischen Ruck“ in Europa. Offenbar geht die Angst um in Frankreich, und die Wahl Donald Trumps zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten hat offenbar zu weiterem Aktionismus geführt.
Zeitenwende in Frankreich: Schluss mit der „ausgleichenden Macht“ für Frieden und Stabilität in der Welt
Diesen Trend hatte auch Pawel Zerka vorausgesehen – bereits Ende 2022, also kurz vor Ende des ersten Kriegsjahres. Der Politikwissenschaftler des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) hatte auch in Frankreich von einer Zeitenwende gesprochen. Zerka bemerkt, dass Frankreich offenbar im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg seine Rolle in Europa neu definiert. Möglicherweise ist auch das Vereinigte Königreich drauf und dran, seine außenpolitische Position in Europa neu abzustecken.
Wie die französische Botschaft in Großbritannien im September 2022 veröffentlicht hatte, habe Macron Frankreich zur „ausgleichenden Macht“ für Frieden und Stabilität in der Welt machen wollen. Diese Position könne sich Frankreich kaum erlauben, wie Zerka deutlich macht. Das würde Russland nur mehr außenpolitischen Spielraum ermöglichen. „Macrons Aufruf zu europäischer strategischer Autonomie wäre stärker, wenn Frankreich seine militärische, humanitäre und finanzielle Unterstützung für die Ukraine verstärken würde. Macron könnte auch klarstellen, er teile das Ziel des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die Grenzen der Ukraine von 1991 wiederherzustellen“, schrieb der Politikwissenschaftler.
Der Einsatz französischer Truppen vor Ort in der Nähe der Fronten könnte jetzt das lange erwartete klare Signal darstellen. Elie Tenenbaum äußerte im November gegenüber Le Monde die Vermutung, ohnehin seien die beiden europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien die einzigen Staaten, die in Europa die Führung übernehmen könnten. Dementsprechend hatte Frankreich im Dezember gegenüber den Vereinten Nationen klargestellt, dass das Land seinen offensiven Kurs gegenüber Russland beibehalten würde, wie Jay Dharmadhikari sagte.
Russland im Fokus: Außenpolitisches Säbelrasseln Macrons durch innenpolitische Rückschläge provoziert
„Frankreich wird gemeinsam mit seinen Partnern der Ukraine weiterhin zur Seite stehen und sie in jeder Hinsicht unterstützen, solange dies erforderlich ist. Frankreich wird der Ukraine gemäß der Charta weiterhin die militärische Unterstützung gewähren, die sie zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität benötigt“, wie der ständige Vertreter Frankreichs bei den UN sagte.
Klar ist aber auch, dass das außenpolitische Säbelrasseln Macrons durch innenpolitische Rückschläge provoziert wird, wie Léonie Allard und Elie Tenenbaum aktuell schreiben. Die beiden Analysten des Thinktanks Atlantic Council loben das verstärkte Engagement Frankreichs an der Nato-Ostflanke mit 3000 präsenten Kräften sowie die „nachgewiesene Erfolgsbilanz“ Frankreichs in Auslandseinsätzen, beispielsweise in Afrika. Im Gegensatz zu fast allen anderen Nato-Ländern hat Frankreich immer schon immer eine Militärpolitik mit internationaler Ausrichtung verfolgt und verfügt daher auch über Fahrzeuge und logistische Kapazitäten zur schnellen Verlegung von Verbänden, wie Allard und Tenenbaum betonen.
„Diese prekäre Lage macht außenpolitische und militärische Initiativen für Macron attraktiver, da er in diesen Bereichen über mehr Handlungsfreiheit verfügt.“