480 Prozent mehr Freiwillige: Putins Ukraine-Krieg lässt Schwedens „Hemvärn“ aufblühen
„Es kann Krieg in Schweden geben“, hieß es zuletzt aus Minister-Munde. In Schweden florieren nun wieder freiwillige Militärdienste.
Stockholm – Russlands Angriff auf die Ukraine hat Schweden aus den gewohnten Bahnen geworfen: Nach Jahrzehnten betonter „Blockfreiheit“ hat das Land seinen Nato-Beitrittsantrag abgegeben. Und zwischen Malmö und dem nordschwedischen Grenzort Riksgränsen haben auch freiwillige Militärdienste Konjunktur – auch jetzt noch, zwei Jahre nach dem Beginn von Wladimir Putins Überfall.
Im Fokus steht vor allem die „Heimwehr“, auf Schwedisch „Hemvärnet“. Sie meldet nun eine neue Welle an Freiwilligen. Das könnte mit aktuellen Weckrufen aus der Politik zusammenhängen. Zivilschutzminister Carl Oscar Bohlin warnte zuletzt: „Es kann Krieg in Schweden geben.“ Auch Oberbefehlshaber Micael Bydén betonte, Russlands Ukraine-Krieg sei „ein Schritt, kein Schlusspunkt“. Bei der Bevölkerung scheint das auf offene Ohren zu stoßen. Zusammen mit Drohungen aus Russland.
Sorge vor Russlands Angriff: Ukraine-Krieg löst Freiwilligen-Welle bei Schwedens Hemvärn aus
Um 480 Prozent sei die Zahl der Beitrittsansuchen bei Hemvärnet zum Jahresanfang gestiegen, berichtete die Zeitung Aftonbladet Mitte Januar. Im Fokus stehen unter anderem Verteidigungsbataillone in Östergötland. Die Region liegt im Osten Schwedens – südlich von Stockholm und gewissermaßen im Windschatten der Insel Gotland, die als theoretisch denkbares Angriffsziel Russlands gilt.
Schon 2022 habe es mehr als 1.000 Beitrittsersuchen gegeben, sagte Per Magnus Nilsson, Chef der Ausbildungsgruppe „Livgrenadjärgruppen“ in Östergötland im Februar dem Sender SVT. Nach den jüngsten Debatten sei eine neue Welle an Interessenten zu verzeichnen. „Normalerweise haben wir vielleicht 15 bis 20 Stück pro Monat in dieser Periode. Nun haben wir mehr als 100“, sagte Nilsson.

Der Blick auf die Gesamtzahlen verdeutlicht den Trend noch besser. Mitte der 80er-Jahre habe Hemvärnet rund 120.000 Mitglieder gehabt, im Jahr 2020 sei die Zahl auf rund 20.000 gesunken, schreibt das Portal Politico. Allein 2022 hätten dann mehr als 29.000 Menschen Beitrittsanträge gestellt. In den ersten beiden Januar-Wochen 2024 hätten sich wiederum 1.200 Freiwillige bei Hemvärnet gemeldet.
Putins Säbelrasseln zeigt Effekt: Schwedens Militär muss Freiwilligen-Ansturm bewältigen
Probleme gibt es allerdings auch. Auf ein Vorstellungsgespräch folgt in den Einheiten ein Einführungskurs – jedenfalls für alle, die nicht zuvor Wehrdienst geleistet haben. Und dann müssen die Neuen eingegliedert werden. „Wir bräuchten neue Einheiten, um eine signifikante Zahl an neuen Mitgliedern unterbringen zu können, aber das braucht Zeit“, sagte Hemvärnet-Mitglied Konrad Lindblad Politico. Zugleich könne man keine Einheiten ausschließlich aus neuen „Rekruten“ bilden. Lasse man aber die Neulinge zu lange warten, verlören sie das Interesse.
Meine news
Schwedens Hemvärn
Rund 22.000 „gewöhnliche Menschen“ – Männer und Frauen – gehören nach Angaben von Schwedens Militär Hemvärnet an. Sie werden als „Soldaten“ bezeichnet, gehen aber den Großteil des Jahres zivilen Berufen nach. Allerdings gebe es auch Spezialisten wie Krankenpfleger oder Hundeführer in den Einheiten sowie „Ingenieursverbände“, die im Umgang etwa mit chemischen, biologischen oder nuklearen Bedrohungen geschult wurden. Dem Beitritt der Freiwilligen ist eine Sicherheitsüberprüfung vorgeschaltet.
Ähnliche Erfahrungen gibt es offenbar auch in Nilssons Livgrenadjärgrupp. Ein Teil der Freiwilligen aus dem Jahr 2022 sei wieder abgesprungen, hieß es bei SVT. Auch gebe es alters- und jobbedingte Abgänge. Dennoch handle es sich um eine „reelle“ Verstärkung. Die Gruppe habe mittlerweile 1.200 Soldaten – und weitere seien „auf dem Weg“. Viele vakante Posten seien bereits besetzt. Nach Abschluss der zweijährigen Ausbildungen sehe es noch besser aus, erklärte Nilsson.
Er benannte eine klare Stoßrichtung der Ausbildung. „Wir haben verstanden, was wir zuhause mit unseren Verbänden tun müssen, um solche Aufgaben zu lösen, wie sie die Ukraine bewältigt“, sagte er SVT. Mit an Bord sind vielerorts offenbar auch Menschen mit Migrationshintergrund. So nannte Hawre Hawtan, geboren im Irak, Aftonbladet die Erfahrungen mit dem Diktator Saddam Hussein als eine Motivation für seinen Freiwilligendienst. „Wir müssen Schweden verteidigen“, betonte er. Sollte ein Kriegseinsatz nötig werden, werde er „nicht zögern“. (fn)