Trump zeigt mir jeden Tag, wie ich selbst nicht werden will
Donald Trump feierte gestern die ersten hundert Tage seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident. In der Nacht auf heute garnierte er sein Jubiläum in Michigan mit einer seiner Kampfansagen-Auftritte. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Aber mir kommt die Zeit zwar nicht wie 100 Jahre vor. Aber wie fünf auf jeden Fall angesichts all der erratischen Volten, Drohungen und Handelskriege der vergangenen Monate. Und selbst wenn Sie das jetzt überraschen mag: Man kann von dem 78-Jährigen doch einiges lernen.
Damit meine ich nicht die Erkenntnis, dass man – wenn man nur mächtig genug ist – einfach mal erklären kann, Kanada einzugemeinden, Grönland zu kaufen oder die Nato implodieren zu lassen. Meine erste Lehre ist eher: Selbst der Präsident der größten Wirtschafts- und Militärmacht des Planeten kann nicht einfach durchregieren. Nicht bei sich zu Hause. Und erst recht nicht im Rest der Welt.
Frechheit siegt nicht
Trump wollte die Ukraine schon am ersten Tag seiner Regierung befrieden. Man kann nicht sagen, dass er damit bislang sonderlich erfolgreich gewesen wäre. Oder erinnern Sie sich, als er aus dem Gazastreifen eine Art Nahost-Riviera machen wollte? All diese Pläne scheiterten schon im Ansatz, weil die Wirklichkeit dann doch komplizierter ist.
Lehre Nummer zwei ist daher: Frechheit siegt nicht. Es hat Trump zum Beispiel nicht geholfen, seine kanadischen Nachbarn wie kleine Kinder zu behandeln und ihnen obendrein zu erklären, wen sie zu wählen haben. Am Ende entschieden sie sich vorgestern erst recht nicht für den offenkundigen Trump-Protegé, sondern für den eigentlich schon abgeschriebenen Mark Carney, der mit nicht viel mehr antrat als seiner klaren Trump-Ablehnung. Menschen können sehr entschieden sein, wenn sie sich erst mal entschieden haben.
Und es half Trump auch nicht, Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus zu brüskieren – egal wie man zu dem ukrainischen Präsidenten steht. Dessen Rausschmiss in Washington und der Kampf für sein Land hat Selenskyj danach eher geholfen, in Europa neue Unterstützer zu finden. Auch weil niemand so behandelt werden will wie der Mann aus Kiew von Trump. Insofern – dritte Lehre – zeigt mir der US-Präsident nun jeden Tag, wie ich selbst nicht werden will: unhöflich, skrupellos, machtgeil, egomanisch …
Europa schon als Gewinner von Trumps Zollkriegen?
Ich gebe es trotzdem zu: In seiner ersten Amtszeit fand ich Trumps ruppige Art sogar erfrischend. Und hat er nicht alles durchgezogen, was er im Wahlkampf versprochen hat? Nein, hat er nicht. Trump wollte die Inflation in den USA bekämpfen. Sie steigt weiter. Er wollte mit neuen Zöllen den Rest der Welt gefügig machen. Die Gegenwehr kam prompt und schmerzhaft für die USA, die er doch wieder „great“ machen will.
Die Google-Mutter Alphabet hat seit Trumps Amtseinführung am 20. Januar 420 Milliarden Dollar an Wert verloren. Tesla: minus 439 Milliarden Dollar. Nvidia: minus 800 Milliarden. Amazon: minus 440 Milliarden, woraus sich meine vierte Lehre ergibt: Am Ende regiert immer der Markt. Und der ist ebenso wenig glücklich wie die US-Wähler. Trumps aktuelle Zustimmungswerte sind die zweitschlechtesten eines Präsidenten in der modernen US-Geschichte. Unterboten werden sie nur noch von seinen eigenen zum gleichen Zeitpunkt seiner ersten Amtszeit.
Larry Fink, Chef des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock, warnt vor den wachsenden US-Schulden und sieht Europa schon als Gewinner von Trumps Zollkriegen. Das alles ist durchaus bitter für einen einsamen Dealer wie Trump, was mich zu zwei weiteren Lehren führt. Fünftens: Welt geht eben doch nur gemeinsam, nicht jeder gegen jeden. Sechstens: Trump zeigt gerade uns Europäern, was wir alles selbst in der Hand haben, wenn wir nur wollen. Wir sollten nur jetzt endlich mal wollen, denn wir müssen.
Und selbst innenpolitisch habe ich für uns deutsche Nörgler noch eine siebte Lehre parat: So furchtbar und kleinkariert das stets auf irgendeinen Ausgleich schielende Gezerre der baldigen schwarz-roten Regierung ist – es scheint doch um Welten angenehmer, aufgeräumter konstruktiver zu sein als das Show-Gedröhne in Washington D.C. Finden Sie nicht?
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