Was kann Felix Banaszak? - Die Grünen am Tiefpunkt: Jetzt soll sie ein junger Parteilinker als "Feuerwehrmann" retten

Zu Beginn seiner Bürgersprechstunde bietet Felix Banaszak allen Anwesenden erst einmal das Du an und weist sie dann auf die wichtigste Regel hin. „Seid bitte offen und ehrlich! Diese Regel gilt für mich gleichermaßen“, sagt der Grünen-Politiker und ergänzt. „Das ist jetzt ein kollektives Experiment.“ 

Denn Banaszaks Sprechstunde findet nicht in einem Büro in seinem Wahlkreis im Duisburger Norden statt, sondern in einer Kneipe zwischen Zimmerpflanzen, Dschungel-Tapete und Holztischen.

„Bier mit Banaszak“ heißt das Format, das es schon seit 2017 gibt. Er übernimmt die Rechnung, die Anwesenden bringen die Fragen mit. Die Politik solle zu den Menschen kommen, erklärt er den Grundgedanken. Angefangen hat Banaszak mit drei Tischen und zwölf Interessierten. 

An diesem Abend drängen sich mehr als 100 Interessierte, zwei Kamerateams und einige Journalisten in das hippe Lokal, das früher mal eine Druckerei war. „Ich weiß gar nicht warum“, kokettiert Banaszak.

Das Interesse an dem 35-Jährigen hat natürlich seinen Grund. Ein paar Wochen ist es jetzt her, dass Banaszak gemeinsam mit Franziska Brantner seine Kandidatur für den Parteivorsitz der Grünen erklärt hat. Beim Parteitag in Wiesbaden am Wochenende soll der Parteilinke zum Nachfolger von Ricarda Lang gewählt werden.

„Es ist eine Phase, die für mich auch ein bisschen crazy ist“

Der Druck ist gewaltig. Auf neun bis zwölf Prozent kommt die Partei in Umfragen gerade noch, im Netz und auf der Straße erleben die Grünen Anfeindungen. Die Partei ist tief verunsichert. Doch nach dem Ampel-Bruch bleibt keine Zeit. Der Wahlkampf wartet. Auf Banaszak ruhen die Hoffnungen vieler Mitglieder. Er soll der Partei neues Selbstbewusstsein beibringen.

„Es ist eine Phase, die für mich auch ein bisschen crazy ist“, sagt Banaszak in Duisburg. Zwischen Bammel und Vorfreude sei seine Gemütslage aktuell.

Dabei ist es eine Situation, die Banaszak schon kennt. Als „Feuerwehrmann“ bezeichnet ihn eine Parteifreundin aus Duisburg. 

Als er dort 2016 den Kreisvorsitz übernimmt, steckt der Verband in einer Krise. Generationenumbruch, Mitgliederverluste, Konflikte. Banaszak gelingt der Neustart.

NRW: Am Ende verdreifachten die Grünen ihr Wahlergebnis

Ein Jahr später geht auch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen krachend verloren. Rot-Grün verliert die Mehrheit, die Grünen die Hälfte ihrer Sitze. Die Stimmung ist am Boden. In diesem Moment ist es ein gerade 28-Jähriger, der den größten Landesverband wieder aufrichten soll. Vier Jahre bleibt er gemeinsam mit Mona Neubaur im Amt. 

Am Ende verdreifachen die Grünen ihr Wahlergebnis, an seinem letzten Tag als Landesvorsitzender unterschreibt er den schwarz-grünen Koalitionsvertrag.

Dass ein Banaszak mal im Bundestag sitzt, war so nicht gedacht.

Banaszak, der im Bundestag in den wichtigen Ausschüssen für Haushalt und Wirtschaft sitzt, hat eine steile Karriere hingelegt – obwohl er nach der Geburt seiner Tochter im vergangenen Jahr mehrere Posten ablehnte und das Parlament zwei Monate nicht besuchte.

Banaszak hat sich hochgearbeitet und früh Verantwortung übernommen

„Dass ein Banaszak mal im Bundestag sitzt, war so nicht gedacht“, hat er einmal in einem Podcast gesagt. Seine Großeltern sind aus Polen in den Ruhrpott gekommen. Der Großvater arbeitete in der Kokerei beim Stahlproduzenten Thyssenkrupp, die Großmutter putzte nebenbei in der Gemeinde. Sie wurden für Banaszak auch deshalb zur Bezugsperson, weil er seine frühsten Kindheitsjahre bei ihnen verbrachte.

Banaszak hat sich hochgearbeitet und dabei früh Verantwortung übernommen: Klassensprecher, Schülersprecher, sogar in seiner akrobatikorientierten Rock’n’Roll-Tanzschule war er im Vorstand. Sein federnder Schritt, witzeln Parteifreunde, komme noch aus seiner Zeit als Turniertänzer.

„Es ist ein bisschen Verbindung verloren gegangen“

Auch im „Edel“, der Duisburger Kneipe, hält es Banaszak nur selten auf seinem Stehhocker. Mit dem Mikrofon in der einen, und einem Pils in der anderen Hand, tänzelt er über die Bühne. Es wird ein langer Tanz. Fünf Minuten Einleitung hat er angekündigt, am Ende werden es mehr als 30.

Denn Banaszak wird schnell grundsätzlich: „Es ist ein bisschen Verbindung verloren gegangen“, sagt er über das Verhältnis zwischen Grünen und Anhängerschaft und erinnert an das Braunkohledorf Lützerath. Die Grünen hätten viele gute Argumente ins Feld geführt, warum der Weiler – trotz aller Proteste – abgebaggert werden musste. „Vielleicht gibt es zu solchen Dingen manchmal auch zwei oder mehr Wahrheiten“, sagt er. 

 „Wer soll für Klimaschutz eintreten, wenn wir selbst nicht mehr dran glauben“

Angesichts der Wucht des Klimawandels würden juristische Zwänge oder politische Kompromisse vielleicht nicht als Argument ausreichen. Es gebe die Erwartung, dass die Grünen wenigstens kämpfen würden. „Wer soll für Klimaschutz eintreten, wenn wir selbst nicht mehr dran glauben.“

Inhaltlich konkret wird Banaszak jedoch selten. Einen Masterplan habe er noch nicht, gesteht er. Und auch sein Anspruch, die Verbindung zur Grünen-Klientel wiederherzustellen, kommt schnell an seine Grenzen, als er von mehreren anwesenden Mitgliedern gefragt wird, warum er dem Sicherheitspaket zugestimmt habe. Banaszak holt weit aus: Es gebe ja auch Verbesserungen, der Ampelfrieden und überhaupt gehe es in einer Koalition nicht um das einzelne Gesetz, sondern um das, „was unterm Strich bleibt“. Kurze Zeit später wird die Ampelkoalition allerdings bereits Geschichte sein.

Die Grünen müssen ein „Hoffnungsort“ sein

Begeisterung löst Banaszak nicht aus, doch mit seiner unbekümmerten Art scheint er ein Bedürfnis zu erfüllen. Die Grünen müssten ein „Hoffnungsort“ sein, sagte er zuletzt auf dem Parteitag der bayrischen Grünen – am Ende stand der Saal. 

In Duisburg spricht er davon, dass die Grünen sich mehr gegen die Attacken der Union wehren, selbst mehr zuspitzen und die Deutungshoheit über sich zurückholen müssten. Auch dafür bekommt er viel Applaus.

Es sind keine revolutionären Ideen, die Banaszak mitbringt, aber er trifft den Ton. Das erkennen auch Realo-Grüne an, die seinen Politikstil als pragmatisch bewerten. Mit seinem Seismografen für die Parteistimmung könnte Banaszak für die Kanzlerkandidatur von Robert Habeck entscheidend werden. Die Idee mancher Strategen: Habeck kümmere sich ums Land, Banaszak um die Partei.

In seiner Studienzeit in Berlin lebte er in einer Kreuzberger WG

Denn Banaszak ist ein Parteimensch. Sprecher der Grüne Jugend war er, den linken Parteiflügel hat er mitkoordiniert, das Büro der Europaabgeordneten Terry Reintke und Sven Giegold geleitet. Partei und Privates verschwimmen bei Banaszak. Seine Frau ist stellvertretende Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Richtige Arbeitserfahrung jenseits von Plenarsaal oder Abgeordneten-Büros hat er nicht.

In seiner Studienzeit in Berlin lebte er in einer Kreuzberger WG, in der auch der Europapolitiker Michael Bloss, der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler, der Grünen-Fraktionschef der Berliner Grünen, Werner Graf, und die Ex-Landesvorsitzende der Grünen in Bremen, Alexandra Werwarth, wohnten. 

Es gibt verschwommene Bilder vom gemeinsamen Weihnachtsessen aus dem Jahr 2015. Am einen Ende des Tisches Felix Banaszak, am anderen Ricarda Lang.

Neun Jahre später wird er wohl ihren Schreibtisch in der Geschäftsstelle erben. Ob er sich länger halten kann? Vor allem auf den linken Flügel, der mit den Kompromissen in der Ampel heftig hadert, muss er achten. Zumindest seinen ersten internen Machtkampf mit den Realos um Habeck hat er gestanden, indem er durchsetzte, dass sein alter Chef Giegold ebenfalls in den Bundesvorstand wechselt.

Nun muss er Brückenbauer, Feuerwehrmann und Manndecker werden. Banaszak bringt Selbstbewusstsein mit. Seine Partei kann es dringend gebrauchen.

Von Felix Hackenbruch