Angriff auf Ukraine: Müssen russische Soldaten Verwundete auf eigene Kosten retten?
Das russische Militärkommando gibt verwundete Soldaten offenbar verloren. Darauf lässt ein Video schließen, in dem mehrere Männer Vorwürfe erheben.
Cherson – Anton Gerashchenko zählt zu den fleißigsten Berichterstattern über den Ukraine-Krieg. Täglich liefert der einstige stellvertretende Innenminister der Ukraine via Twitter Videos und weitere Nachrichten rund um die Kämpfe und die Hintergründe. Dabei betitelt er sich selbst als „ukrainischen Patrioten“ und „offiziellen Feind der russischen Propaganda“.
Ukraine-Krieg: Russische Soldaten fühle sich laut Twitter-Video im Stich gelassen
Nun verbreitet der 44-Jährige einen Mitschnitt, der womöglich in einem Bunker entstanden ist. Mehrere Männer sitzen zusammen und unterhalten sich auf Russisch, einige tragen Flecktarnkleidung. Offenbar handelt es sich um Angehörige der Armee von Kreml-Chef Wladimir Putin. Laut der englischen Übersetzung von Gerashchenko beklagen sie sich über ihre Behandlung an der Front und erklären, dass Verwundete ihrem Schicksal überlassen werden.
Zu Beginn stellt ein Mann in Flecktarnhose und schwarzem Shirt fest, die Männer hätten herausgefunden, dass sie angeblich nicht zu Russland gehören würden. Die Konten einiger Soldaten seien von Gerichtsvollziehern gesperrt worden – offenbar, weil sie nicht als Teil der militärischen Spezialoperation, wie der Krieg in Russland noch immer genannt werden muss, angesehen werden.
Weiter sagt er: „Es passiert, dass Menschen bis zu zehn Tage auf den Inseln (des Dnepr) verbringen. Sie trinken das Wasser aus dem Dnepr und essen, was immer sie unter ihren Füßen finden.“ Einige hätten eine Dose gedünstetes Fleisch aufgriffen und dieses in einer eigens dafür präparierten Flasche mit Wasser aus dem Fluss vermischt. Dies sei dann über eine Woche ihre Mahlzeit gewesen, um nicht zu verhungern.
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Verwundete im Ukraine-Krieg: Russische Soldaten müssen offenbar für Medikamente selbst zahlen
„Es sieht so aus, als seien wir vergessen worden“, schlussfolgert der Mann und wirft ihrem Kommando vor, falsche Informationen zu liefern. Daraufhin fragt ein anderer aus der Runde: „Wie behandelst du die Leute?“ Woraufhin der erste Sprecher antwortet: „Ich behandle sie auf eigene Kosten mit Medikamenten. Ich gehe los und kaufe Medikamente und Spritzen.“
Es sei noch nicht lange her, dass Promedol geliefert worden sei. Das Schmerzmittel soll in der russischen Armee weit verbreitet sein.
Dann lässt er sich den Militärpass eines anderen Mannes geben und zeigt, dass dort ein entsprechender Eintrag fehlt. Demnach habe derjenige nicht in der russischen Armee gedient, „eine Person, die an der Front ist, Kampfeinsätze ausführt, unter Beschuss gerät“. Auch die Eintragung für den Einsatz im Kriegsfall und infolge der Mobilmachung fehle.
Kritik an Russlands Militärkommando: Es soll an Munition und an Schutz der Soldaten mangeln
Der zwischen den beiden sitzende Mann übernimmt und ergänzt: „Deshalb holen wir Verwundete unter Mörserbeschuss auf eigene Rechnung heraus. Wir zahlen dafür.“ Das Geld würden sie von der Brigade, die Gas und Öl liefert, nehmen müssen. Oder von ihren Frauen. Sie selbst hätten nichts zur Verfügung, weil ihre Gehälter nicht ankämen: „Also nehmen wir das letzte Geld von Zuhause.“ Auch an Munition mangele es. Ebenso an Luftunterstützung. Letztlich überhaupt an Schutz.
Die Offiziere würden angeblich hohe Summen erhalten, aber darum geht es ihnen gar nicht, wie ein erst später auftauchender Mann mit Barrett klarstellt: „Menschen werden verwundet, sie (die Kommandeure) sorgen sich nicht um eine ärztliche Überprüfung. Das ist besonders enttäuschend, denn die Leute kämpfen für ihr Mutterland.“
Russland im Ukraine-Krieg: Soldaten geht es um die Versorgung der Familie
Natürlich könnten manche auch wegen des Geldes in den Krieg gezogen sein. Doch er sehe den Einsatz als Notwendigkeit an: „Das Geld werden wir bekommen. Hauptsache ist, sich keine Kugel und kein Schrapnell einzufangen.“ Denn es gehe darum, für die Familien zu sorgen und diese zu beschützen.
Seine Frau sei gerade schwanger. Daraufhin erklärt auch der erste Redner, dass er bald Vater wird. Der Mann, der seinen Militärausweis vorzeigte, erwähnt, dass er einen 14 Monate alten Sohn hat. Ein anderer hat eigenen Angaben zufolge sogar vier Kinder.
„Unsere Frauen werden ignoriert“: Russische Soldaten kritisieren Umgang mit Familie in der Heimat
„Unsere Frauen, wo auch immer sie ihre Forderungen vorbringen, werden ignoriert. Sie haben bereits Hotlines angerufen“, fährt der Mann mit dem Barrett fort. Doch dort werden sie demnach nicht erhört, wenn ihr Mann nicht auf der Liste der Toten oder der Liste der Vermissten geführt werde.
Zwar verstehe er, dass diese Hotlines mittlerweile von Anrufen überflutet werden: „Aber das ist keine Antwort. So würde nur ein Drecksack antworten.“ Seine abschließenden Fragen lauten: „Wie willst du Leute danach dazu bringen, zu kämpfen? Für was?“

Russische Soldaten im Ukraine-Krieg: „Sie werden zum Schlachter geschickt“
Es ist die Frage nach der Motivation, die im Hinblick auf russische Kämpfer schon mehrmals in Zweifel gezogen wurde. Und das Video soll ein weiteres Mal aufzeigen, wie mit den von Moskau in die Ukraine geschickten Soldaten umgegangen wird. Kürzlich war auch ein Clip aufgetaucht, demzufolge verweigerte Einsätze an der Front dazu führten, dass die Männer über Nacht in eine Grube gesperrt wurden – angeblich nackt. Zudem soll es „kolossale Verluste“ zu beklagen geben.
Laut Gerashchenko sollen sich die nun klagenden Soldaten in der Region Cherson befinden, wo Russland vor gut einem Jahr die gleichnamige Hauptstadt aufgab und sich über den Dnepr in Richtung der eigenen Grenze zurückzog. Die Lage dort soll prekär sein. Es lässt sich jedoch nicht verifizieren, wann und wo die Aufnahmen entstanden sind.
Er hält fest: „Es sind keine Offiziere in den Stellungen, die Soldaten werden zum Schlachter geschickt.“ Aber auch: „Trotzdem denken sie nicht daran, die Ukraine zu verlassen und sich nicht mehr am Krieg zu beteiligen.“ (mg)