Enorme Verluste im Ukraine-Krieg: Putins schlimmste Feinde sind unfähige Offiziere

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Gefürchtete Waffe: Der TOS-1 Buratino Flammenwerfer kann mehrere Geschosse mit thermobarischen Sprengköpfen abfeuern und wird im Ukraine-Krieg auch gegen Zivilisten eingesetzt. Die Verluste dieser Waffen geht offenbar auch auf inkompetente Offiziere zurück (Archivbild) © IMAGO/Bulkin Sergey

Russland opfert weitere Flammenwerfer. Ursache der Verluste sind die beständige Drohnen-Abwehr der Ukraine und die Unbelehrbarkeit von Putins Führung.

Moskau – „Ihnen wird eine gewaltige Waffe in die Hand gegeben, die im Arsenal des gesamten Westens ihresgleichen sucht“, verkündete das Verteidigungsministerium Russlands am Anfang des zweiten Jahres des Ukraine-Krieges. Der Oberst, den das Magazin Newsweek zitierte, sprach davon, dass Wladimir Putin erstmals Fallschirmjäger-Einheiten mit dem schweren Flammenwerfer TOS-1A ausgerüstet hätte. Sie sollten Feuerkraft und Mobilität verbinden, um den Widerstand der Ukraine im Keim zu ersticken. Das Vorhaben allerdings endete in einem Fiasko.

Ende März hatte das Verteidigungsministerium mitgeteilt, russische Truppen hätten ukrainische Stellungen aus einem TOS-Flammenwerfer mit 220-mm-Thermobar-Granaten angegriffen, wie Newsweek weiter meldete. Dabei hätten Putins Truppen „ihre Unterstände, Beobachtungsposten, Munitionsdepots und Artilleriestellungen niedergebrannt“, wie das Verteidigungsministerium weiter verlauten ließ. Allerdings übt jetzt ein russischer Militärblogger harsche Kritik am Einsatz der Waffe – davon berichtet gerade das Magazin Defense Express.

Russland bleibt stur: Verluste der TOS-Flammenwerfer durch fehlende Koordination der Offiziere

Wie der Blogger „Btvt.info“ auf Telegram kritisiert, soll die Waffe in ihrer Effizienz enorm beschnitten sein aufgrund der Inkompetenz russischer Offiziere. Was in der Bundeswehr als Gefecht der verbundenen Waffen praktiziert ist, gilt in ähnlicher Form auch für den Einsatz der Multi-Raketenwerfer: Sie benötigen eine Feuerunterstützungsgruppe zum Schutz gegen feindliche gepanzerte Fahrzeuge, Panzerabwehr-Trupps oder inzwischen gegen den Angriff von Drohnen auf einem mittlerweile durch Aufklärung gläsern gewordenen Schlachtfeld. Offensichtlich gehen viele Verluste der TOS-Flammenwerfer darauf zurück, dass die Koordination nicht funktioniert, wie Defense Express schreibt.

„Selbst wenn es zu einem Waffenstillstand kommt, der Jahre oder Jahrzehnte dauert, werden dieselben Kräfte der Geschichte und Kultur, die den aktuellen Krieg verursacht haben, einen neuen gegen die Ukraine, das Baltikum, Georgien oder andere ehemalige russische Länder entfachen. Wenn die Ukraine ein Maßstab ist, wird Russlands nächster Krieg wieder ein Krieg mit hoher Intensität und Zermürbung sein, bei dem Moskau bereit ist, viel zu opfern, um seine Ziele zu erreichen, indem es seine Feinde überlebt.“

Das liege am zentralisierten System der russischen Führung. Laut dem Magazin müssen die Kommandeure der Feuerunterstützungseinheiten Kontakt halten mit dem ranghöchsten Kommandeur, der auch über den Einsatz des Flammenwerfers entscheidet. Diese Entscheidungswege seien offenbar zu lang, wie die Entwicklung auf dem Gefechtsfeld gezeigt habe. Den rangniederen Offizieren fehle die eigene Handlungsfreiheit. Das habe Russland inzwischen mindestens zwei Drittel ihrer TOS 1A-Werfer gekostet, notiert die Statistik-Plattform Oryx. Ungefähr 45 soll Russland vor dem Krieg im Einsatz gehabt haben; ergänzend eine unbekannte Anzahl TOS 2-Werfer – das ist die Variante auf Rädern.

Wie das Magazin Soldat & Technik Anfang 2023 berichtet hatte, waren die Russen der Idee aufgesessen, die Ukraine im Handstreich nehmen zu können. Der britische Geheimdienst hatte gemeldet, „in dieser Zeit vertrauten die russischen Befehlshaber noch darauf, dass ihre am besten ausgebildeten Eliteverbände in der Lage sein würden, sich gegen die ukrainischen Verteidiger durchzusetzen“. Die mit dem TOS-Flammenwerfer verstärkten Luftlandeverbände seien allerdings im Kampf um den Luftwaffenstützpunkt Vasylkiv in der Region Kiew trotz ihrer schweren Waffen von den Ukrainern eingekesselt und aufgerieben worden, wie der britische Geheimdienst meldete.

Putins Verluste hausgemacht: Auch im Militär fehlt die Möglichkeit, Entscheidungen zu hinterfragen

„Die mangelnde Bereitschaft, Entscheidungsgewalt zu dezentralisieren und die mangelnde Kommunikation genauer Informationen sind die folgenschwersten Schwächen auf staatlicher Ebene, die zur bisher unterdurchschnittlichen Leistung des russischen Militärs im Krieg mit der Ukraine beigetragen haben“, schreibt Philip Wasielewski. Der Analyst des US-Thinktanks Foreign Policy Research Institute sieht im russischen Militär den Spiegel der Gesellschaft, deren Regierung ohne Zustimmung der Regierten handelte. Auch im Militär fehle, laut Wasiliewski, die Möglichkeit, Entscheidungen von höherer Ebene zu hinterfragen und der Lage angepasst flexibel zu agieren. Für das für die Russen wertvolle Waffensystem TOS eine folgenschwere Maxime.

Folgenschwer vor allem auch deshalb, weil die Reichweite der thermobarischen Waffe begrenzt ist. Nach den Erfahrungen der bisherigen Kämpfe ist die Reichweite von bis zu zehn Kilometern das Hauptproblem für den russischen TOS-1A „Solntsepyok“ (zu Deutsch „Sonnenglut“). Deshalb sollen die russischen Systeme aus der Einsatzreichtweite ukrainischer Kampfdrohnen herausrücken. Das Gefährt ist grundsätzlich plump und langsam, saß aber in seiner ersten Version TOS-1 „Buratino“ auf einem T-72-Fahrwerk und pflügte daher zuverlässig durch das Gelände.

Ein Kettenfahrwerk nutzt auch der TOS-1A „Solntsepyok“, bleibt aber ansonsten relativ schutzlos. „Die einzige wirksame Möglichkeit, ihnen entgegenzutreten, besteht darin, die Trägerraketen zu identifizieren, zu lokalisieren und auszuschalten, bevor sie eingesetzt werden können“, sagt David Hambling gegenüber Newsweek. Der Journalist für Verteidigungsthemen geht davon aus, dass die Waffe aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit auch ein priorisiertes Ziel der ukrainischen Abwehr sei und die vergleichsweise hohen Verluste dieser Waffe daher rührten. Offenbar lassen ihnen die Russen dennoch keinen erhöhten Schutz angedeihen, wie Defense Express mit seiner aktuellen Berichterstattung nahelegt.

Ukraine hält Russland auf Distanz: „Große Angst vor unseren Panzerabwehrraketensystemen“

Allerdings hatte das Magazin Armyrecognition im vergangenen Oktober vermeldet, dass die TOS-2-Werfer auf Rädern inzwischen getarnt würden mit speziellem radioabsorbierendem Gewebe und Tarnplatten, die am Chassis befestigt seien und sogar gegen Wärmebildgeräte wirken würden. Damit wäre ein Werfer unabhängig von der Einsatzumgebung getarnt und sogar während eines Stellungswechsels scheinbar unsichtbar. Von einem Einsatz an den kettengetriebenen TOS-1 fehlen jegliche Informationen.

Die neueste Version TOS-3 Dragon soll seine Raketen bis zu 15 Kilometer verschießen können – eine immer noch kurze Distanz zum Feind; außerdem sind vermutlich noch keine TOS-3 in der Ukraine eingesetzt worden, obwohl die aufgrund ihrer Distanz einen im Vergleich zu den Vorgängern größeren Abstand zur ukrainischen Drohnen-Abwehr hätten. „Die Russen halten ihre gepanzerten Fahrzeuge so weit wie möglich weg, weil sie große Angst vor unseren Panzerabwehrraketensystemen haben“, sagt Orest Drymalovskyi zu ArmyTV, wie der Sender n-tv den Sprecher der 79. Separaten Luftangriffsbrigade der Ukraine zitiert. Laut Drymalovskyi verzichte die russische Armee beispielsweise inzwischen in Richtung Kurachowe in der Region Donezk bei Angriffen auf gepanzerte Fahrzeuge oder setze sie höchstens aus sicherer Entfernung zur Feuerunterstützung ein.

Möglicherweise sind die russischen Truppen mittlerweile am Ende ihrer Reserven angelangt. Bereits Ende 2023 hatte der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) einen russischen Militärblogger dahingehend wiedergegeben, dass die russischen Streitkräfte kurz vor einer „wahren Renaissance des Infanteriekampfes“ stünden. Die Quelle führte das bereits zu diesem Zeitpunkt zurück auf die Verluste an Panzern, Schützenpanzern und gepanzerten Mannschaftstransportwagen. „Dies deutet darauf hin, dass die IISS-Schätzung vom Februar 2024, dass Russland seine Fahrzeugverluste bis 2025 und möglicherweise 2026 aufrechterhalten kann, nicht mehr gültig ist“, schreibt das ISW in seinem aktuellen Lagebericht.

Prognose düster: „Russlands Nächster Krieg wieder ein Krieg, bei dem Moskau bereit ist, viel zu opfern“

Wie verschiedene Medien über die bisherige Dauer des Kriegs immer wieder berichteten, sind die Verluste weniger auf die ukrainische Schlagkräftigkeit zurückzuführen, denn auf die russische Führungs-Doktrin – die stellt weder den einzelnen Panzer in den Fokus noch das lange Überleben von deren Besatzungen. Hier läge der wichtigste Vorteil der im Westen ausgebildeten Ukrainer gegenüber Russland: im „Faktor Mensch“, wie auch Brigadegeneral Björn Schulz im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt verdeutlicht hat – er leitet seit Februar 2022 die Panzertruppenschule der Bundeswehr; die Entscheidung im Ukraine-Krieg brächte letztendlich die wesentlich bessere Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten und die Führungskultur in den westlichen Streitkräften, die den einzelnen Offizieren ein flexibles und eigenständiges Führen der Truppen im Gefecht erlaube.

Philip Wasielewski ist jedenfalls skeptisch, dass die militärischen Misserfolge im Ukraine-Krieg einen Lerneffekt auf Seiten Russland provozieren: „Selbst wenn es zu einem Waffenstillstand kommt, der Jahre oder Jahrzehnte dauert, werden dieselben Kräfte der Geschichte und Kultur, die den aktuellen Krieg verursacht haben, einen neuen gegen die Ukraine, das Baltikum, Georgien oder andere ehemalige russische Länder entfachen. Wenn die Ukraine ein Maßstab ist, wird Russlands nächster Krieg wieder ein Krieg mit hoher Intensität und Zermürbung sein, bei dem Moskau bereit ist, viel zu opfern, um seine Ziele zu erreichen, indem es seine Feinde überlebt.“

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