Die Gemeinde Böbing ist der kleinste Stromnetz-Betreiber der Region und sieht die Energiewende als Herausforderung
Vor über 100 Jahren brachte die Elektrizitätsvereinigung Böbing den Strom ins Dorf. Noch heute ist das örtliche Niederspannungsnetz in der Hand der Genossenschaft. Viele Böbinger sind treue Kunden, doch ausgerechnet wegen der Energiewende blickt man beim kleinsten Netzbetreiber der Region sorgenvoll in die Zukunft.
Böbing – Es muss ein erhebendes Gefühl gewesen sein, damals am 21. Dezember 1921, als kurz vor Weihnachten zum ersten Mal in Böbing elektrisches Licht brannte. Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, war zu dieser Zeit schließlich eine kleine Sensation. Der Strom, er kam vom Peißenberger Bergwerk. Vom Unterbau weg hatten die Böbinger in den vorangegangenen Monaten eine Leitung verlegt und eine Trafostation gebaut. Es war gleichsam die Geburtsstunde der Elektrizitätsvereinigung Böbing.
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Während über 100 Jahre später woanders längst die Großen der Energiebranche die Stromnetze unter ihren Fittichen haben, sorgt sie noch immer als eigenständiger Energieweiterverteiler mit eigenem Niederspannungsnetz für eine sichere Stromversorgung fast im gesamten Gemeindegebiet. Nur die Gemeindeteile Listlehof, Bruckerhof, Granerhof, Bruckerwörth und Ammertal zählen nicht dazu.
Wie das kleine gallische Dorf . . .
„Wir sind quasi ein bisschen das kleine gallische Dorf“, sagt Bürgermeister Peter Erhard und lacht. „Wir hatten immer Vorstandschaften, die weitermachen wollten.“ Nur in den 1980er und 1990er Jahren habe es einmal eine schwierige Phase gegeben, in der ein Verkauf im Raum gestanden habe, erinnert sich Erhard. Doch der Verein, als der die Elektrizitätsvereinigung damals noch firmierte, er durchschritt die Talsohle. 2008 folgte die Umwandlung in eine eingetragene Genossenschaft. 358 Mitglieder zählt diese aktuell, der Großteil stammt aus Böbing.
Die Genossenschaft kümmert sich nicht nur um den Betrieb des eigenen Niederspannungsnetzes, das insgesamt stolze 48 Kilometer Kabel und fünf Kilometer Freileitung umfasst, sondern agiert gleichzeitig als Messstellenbetreiber für 900 Verbrauchszähler und als Stromanbieter. Das Team, das dies alles stemmt, ist dabei recht überschaubar. Andrea Leyerer kümmert sich um die kaufmännische Abwicklung der Geschäfte, Elektriker Wilhelm Schmid ist mit seinem örtlichen Fachbetrieb für die technische Seite zuständig. Dazu kommt der fünfköpfige Vorstand und der Aufsichtsrat, der aus drei Mitgliedern besteht.
Doch ohne fremde Hilfe geht es nicht
Dass alle Ansprechpartner vor Ort sind, ist gleichzeitig der größte Vorteil, den die Elektrizitätsvereinigung für ihre Kunden mit sich bringt. „Wir können viel schneller reagieren als ein großer Konzern“, sagt Erhard. Dazu sichere man Arbeitsplätze im Ort, und auch die Gewerbesteuer bleibt im Dorf. Doch ohne fremde Hilfe geht es längst nicht mehr. Die Abwicklung des Stromeinkaufs etwa sei alleine nicht mehr zu stemmen, sagt Leyerer. Bereits 2008 schloss man sich deshalb gemeinsam mit anderen kleinen Netzbetreibern zu einem Einkaufsverbund zusammen, der immer im Vorjahr den benötigten Strom an der Börse beschafft.
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Das funktionierte gut – bis Russland die Ukraine überfiel und die Energiepreise von einem Tag auf den anderen in schwindelerregende Höhen schossen. Teils habe man in den Folgemonaten 1,50 Euro für die Kilowattstunde gezahlt, sagt Leyerer. Wäre der Strompreis von der Regierung nicht gedeckelt worden, hätte man 63 Cent pro Kwh verlangen müssen und damit wohl viele Kunden verloren. So aber blieb eine große Kündigungswelle aus, der Großteil der Böbinger hielt der Genossenschaft die Treue. „Die Strompreisbremse hat uns gerettet.“
„Wir sind nicht systemrelevant“
Doch nicht nur solche Unwägbarkeiten machen dem kleinen Netzbetreiber aus Böbing das Leben zunehmend schwerer. Die regulatorischen Anforderungen würden immer mehr zunehmen, klagt Erhard. „Bei der Gesetzgebung wird auf kleine wie uns keine Rücksicht genommen. Wir sind nicht systemrelevant.“ Ob digitales Netzbetreiberportal, Smartmeter-Einbau, dynamische Strompreise oder das Dimmen von Wärmepumpen und Wallboxen, um das Stromnetz vor Überlastung zu schützen: „Wir müssen all das genauso umsetzen wie die großen Anbieter“, sagt Leyerer.
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Die Energiewende macht der Genossenschaft noch auf andere Weise zu schaffen. 190 Photovoltaik-Anlagen gibt es mittlerweile in Böbing, sie liefern eine Leistung von 3440 Kilowatt. Eigentlich eine gute Sache, sagt die Geschäftsführerin. Doch weil immer mehr Böbinger ihren selbst erzeugten Strom nutzen, sinkt der Bezug, was bedeutet, dass die Kosten für den Betrieb und Ausbau des eigenen Netzes sowie der finanzielle Aufwand für das vorgelagerte Netz der Bayernwerke auf immer geringere Mengen verteilt werden müssen. Auch der zurückgespeiste PV-Strom, der sich 2023 auf 1,6 Millionen Kilowattstunden belief, belastet die Bilanz.
Die Folge sind hohe Netzentgelte
Die Folge von all dem: „Wir haben mittlerweile wahnsinnig hohe Netzentgelte“, sagt Leyerer. Auch den Stromeinkauf richtig zu kalkulieren, werde durch die Entwicklung immer mehr zum Lotteriespiel. „Wir stehen voll hinter der Energiewende, aber mit den alten Parametern funktioniert es nicht.“ Eine Reform der Netzentgelte sei dringend nötig.
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Und so blickt man bei der Elektrizitätsvereinigung Böbing durchaus sorgenvoll in die Zukunft. Man stelle sich natürlich die Frage, wie es angesichts der rasanten Entwicklung weitergehe, sagt Erhard. „Wir stehen vor einer wahnsinnigen Herausforderung. Selbstverständlich ist gar nichts mehr.“