Ökonom fordert große Steuerreform – Mehrwertsteuer-Wahnsinn „richtet nur Schaden an“
Sieben Prozent für Hörgeräte, 19 Prozent für Brillen: In Deutschland herrscht bei der Mehrwertsteuer ein Durcheinander. Ökonom Fuest fordert eine Reform - und ist damit nicht alleine.
Berlin – Die Mehrwertsteuer ist 2024 wieder in den Fokus geraten: Denn in der Gastronomie wird seit Jahresbeginn wieder die alte Mehrwertsteuer von 19 Prozent fällig, nicht mehr die zeitweise herabgesetzte von sieben Prozent. Die Gastronomen protestierten scharf, aber vergeblich. Nun wird der Restaurantbesuch stellenweise teurer. Denn in Deutschland herrscht ein bunter Flickenteppich an unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen.
Ökonom Fuest fordert einheitlichen Mehrwertsteuersatz
Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat nun eine komplette Reform des Umsatzsteuergesetzes gefordert. Fuest plädierte in der Süddeutschen Zeitung für einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 16 Prozent an Stelle der derzeitigen unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze von 19 Prozent und ermäßigt sieben Prozent.
Mehrwertsteuer und Umsatzsteuer kurz erklärt
Umsatzsteuer und Mehrwertsteuer werden häufig gleich bedeutend verwendet. Es handelt sich um eine Steuer auf den Umsatz von Waren und Dienstleistungen, die von Unternehmen erhoben wird. Wenn ein Unternehmen eine Ware verkauft oder eine Dienstleistung erbringt, wird auf den Verkaufspreis eine bestimmte Prozentzahl als Steuer erhoben. Das heißt, jeder, der etwas, kauft, muss die Mehrwertsteuer zahlen.
In Deutschland beträgt die Mehrwertsteuer in den meisten Fällen 19 Prozent – beispielsweise bei Möbeln, Kleidung oder beim Restaurantbesuch. Der vergünstigte Mehrwertsteuersatz von nur sieben Prozent gilt bei „Waren des täglichen Bedarfs“ – also bei fast allen Lebensmitteln, aber auch Büchern und lokalen Fahrkarten.
Bei der Unterscheidung in einen höheren und vergünstigen Mehrwertsteuersatz beginnen die Probleme: Eigentlich eingeführt, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten, herrscht nun eine bunter Flickenteppich an unterschiedlichen, nicht immer verständlichen Besteuerungen.
Mehrwertsteuer-Wahnsinn: Sieben Prozent für Hörgeräte, 19 Prozent für Brillen
Hier ein paar Beispiele: Kuhmilch wird beispielsweise als Grundnahrungsmittel definiert und nur zu sieben Prozent versteuert – Hafermilch aber nicht, dort gelten 19 Prozent. Und: Laut SWR fallen bei Trüffel – wohl kaum das Grundnahrungsmittel der meisten Deutschen – nur sieben Prozent an, bei Süßkartoffeln sind es zum Beispiel aber 19 Prozent. Auch auf Hörgeräte kommen nur sieben Prozent Mehrwertsteuer, aber 19 Prozent gelten bei Brillen.
Bei den Dienstleistungen wird es nicht besser: Wenn im Restaurant Essen und Getränke „To Go“ – also zum Mitnehmen – bestellt werden, gilt ein Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent – wenn in der Gaststätte gegessen wird, sind es aber 19 Prozent. Und eine Fahrt mit dem Skilift ist wieder bei sieben Prozent, aber auf ein Kindersitz kommen 19 Prozent Mehrwertsteuer. Diese Liste könnte unendlich weiter fortgesetzt werden.
Fuest: „Ökonomisch richtet dieser Flickenteppich bei der Mehrwertsteuer nur Schaden an“
Top-Ökonom Fuest sagt der SZ mit Blick auf das bisherige Modell: „Ökonomisch richtet dieser Flickenteppich bei der Mehrwertsteuer nur Schaden an.“ Es gebe riesige Abgrenzungsprobleme und durch die vielen Ausnahmen werde der Lobbyarbeit Tür und Tor geöffnet, mahnt er. „Wenn die Politik einer Interessengruppe nachgegeben hat, stehen gleich die nächsten auf der Matte.“ Mit seiner Meinung steht Fuest nicht alleine da: Auch der Bundesrechnungshof hält eine Reform der Umsatzsteuer in einem Bericht für „lange überfällig“.
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Allerdings schreckt die Politik bisher davor zurück, die Mehrwertsteuer anzufassen. Ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz von 16 Prozent, wie Fuest ihn vorschlägt, würde wahrscheinlich erst einmal zu einem Aufschrei führen. Denn dann würden zwar viele Dinge etwas billiger, aber auch häufig gekaufte Nahrungsmittel deutlich teurer werden.
„Natürlich gibt es da den Verteilungseffekt. Wenn man die Mehrwertsteuer senkt, profitieren die Reichen und die Armen, und wenn die Mehrwertsteuer bei jetzt mit sieben Prozent besteuerten Waren auf 16 Prozent angehoben wird, werden die Haushalte mit weniger Einkommen stärker belastet“, sagt Fuest dazu der Zeitung. Das müsse der Staat dann durch Geldtransfers ausgleichen. „Empfänger von Bürgergeld erhalten für die dann teureren Lebensmittel automatisch einen Ausgleich, weil rechtlich gesehen das Existenzminimum stets abgedeckt sein muss. Bei den Einkommen darüber könnte eine leichte Einkommensteuersenkung helfen.“
Bei der Mehrwertsteuer geht es um sehr viel Geld. Laut Finanzministerium ist sie die zweitgrößte Einnahmequelle des Bundes mit rund 99,7 Milliarden Euro im Jahr 2022.
Mit Material der AFP