Golden-Boy-Erfinder Franchi: „Spanien-Juwel Yamal hat keine Grenzen“

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Die EM ist auch die große Bühne der Talente. Tuttosport vergibt seit 2003 den begehrten Golden-Boy-Award. Erfinder Massimo Franchi im Interview.

München - Die Europameisterschaft ist auch die große Bühne der Talente. Einer der vielversprechendsten Newcomer der Endrunde in Deutschland ist Spaniens Lamine Yamal. Der Angreifer des FC Barcelona ist der Top-Favorit auf den diesjährigen Golden-Boy-Award.

Seit 2003 kürt die italienische Sportzeitung „Tuttosport“ mit dem begehrten Preis den besten U21-Spieler Europas. Anfang Juni wurde anhand des computergesteuerten Index von Datendienstleister Football Benchmark eine Rangliste, die derzeit Yamal anführt, veröffentlicht. „Die Liste wird anhand von drei Säulen erstellt: sportliche Leistung, Spielzeit und Größe des Vereins, in dem die talentierten Spieler – geboren am oder nach dem 1. Januar 2004 – spielen. Auch ihre Leistungen in der Nationalmannschaft und in europäischen Vereinswettbewerben werden berücksichtigt. Der Computer erstellt dann den Algorithmus und folglich die Rangliste. Sie ist vergleichbar mit der ATP-Rangliste im Tennis“, sagt Golden-Boy-Erfinder Massimo Franchi.

Ab November beginnt die entscheidende Wahl von 50 ausgewählten Journalisten, die den Gewinner, der Anfang Dezember in Turin gekürt wird, bestimmt. Auch die tz hat eine Stimme und hat sich mit Schirmherr Franchi über die größten Juwele Europas unterhalten.

Herr Franchi, wie bekannt ist der Golden-Boy-Award mittlerweile?

Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Ich war Anfang des Jahres beim Asien-Cup in Doha. Tadschikistan hat im Viertelfinale gegen Jordanien verloren. Der damalige Nationaltrainer, Petar Segrt, ein Deutsch-Kroate, schüttelte vor der Pressekonferenz vor dem Spiel allen die Hand. Seltsamerweise war nur ein Journalist aus Italien anwesend: ich. Ich ging danach zu einem tadschikischen Kollegen, stellte mich vor und sagte, dass ich für Tuttosport arbeite. Seine erste Antwort war: „Ah, Tuttosport, Golden Boy“. Das war unglaublich und ein weiterer Beweis dafür, dass unser Preis in der ganzen Welt bekannt ist. Fußball ist dort in den Steppen Zentralasiens nicht der Nationalsport und von der Hauptstadt Duschanbe bis Mailand sind es mehr als 5000 Kilometer...

Aktuell geht der Blick aber nach Deutschland. Jüngster EM-Spieler und jüngster Vorlagengeber gleich dazu – Lamine Yamal schrieb beim 3:0 gegen Kroatien EM-Geschichte. Herr Franchi, hat Sie das spanische Wunderkind überrascht?

Sein Rekorddebüt gegen Kroatien – mit nur 16 Jahren und 338 Tagen – bestätigt alle Erwartungen, die in ihn gesetzt werden. Er ist einfach ein Spieler ohne Grenzen. Ein einziges Spiel im Olympiastadion in Berlin genügte ihm, um endgültig zum neuen Star Spaniens zu werden.

Wo kann er sich noch verbessern?

Sein „Schwachpunkt“? Im Moment schießt er nicht so viele Tore im Verhältnis zu seiner enormen Klasse und seinem endlosen Repertoire an Fähigkeiten. Aber er ist erst 16 Jahre alt, bitte! Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, den man berücksichtigen muss. Denn wenn er im aktuellen, modernen, superschnellen und superintensiven Fußball auch viele Tore schießen würde, hey, dann wäre er zweifellos schon der neue Pelé

Wie lange wird der neue Barcelona-Trainer Hansi Flick noch Freude an Yamal haben?

Es würde mich nicht wundern, wenn eines Tages – vielleicht am 31. August – die Zeitungen verkünden, dass er der Ersatz für Kylian Mbappé bei Paris Saint-Germain wird. Möglicherweise sogar zu einem Preis, der die bisherige Rekordablösesumme von 222 Millionen Euro übersteigt, die PSG für Neymar gezahlt hat. Vielleicht bekommt der französische Klub Yamal für 250 Millionen Euro. Das ist etwas, das mir im Kopf herumgeistert.

Glauben Sie wirklich, dass Paris für einen noch nicht einmal 17-Jährigen so tief in die Tasche greifen wird?

Wenn ich an einen zukünftigen Superstar denke, kann ich nur an Lamine Yamal denken. Seine Ausstiegsklausel beim FC Barcelona beträgt eine Milliarde Euro. Aber Barca hat finanzielle Probleme. Ich habe Nasser Al-Khelaifi kürzlich gefragt, wen er als nächstes verpflichten möchte. Er sagte, dass der einzige Topstar der nächsten Saison Trainer Luis Enrique sein wird. Aber in diesem Fall glaube ich ihm nicht. PSG hat zu viel Geld. Die Versuchung ist zu groß, es zu nutzen. Und ich glaube, dass die Versuchung am Ende siegen wird. Wie in einem berühmten Aphorismus von Oscar Wilde: „Ich kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung.“

Aleksandar Pavlovic vom FC Bayern liegt derzeit auf Platz neun der Golden-Boy-Rangliste. Wie finden Sie ihn?

Ich liebe ihn. Er ist sehr gut. Letztes Jahr stand Jamal Musiala lange an der Spitze des Golden Boy und wurde Zweiter. Diesmal ist Pavlovic ein Außenseiter. Dass er nun leider doch nicht für Deutschland bei der EM dabei ist, wird ein kleines Handicap für die Auszeichnung sein.

Golden-Boy-Erfinder Massimo Franchi von Tuttosport.
Golden-Boy-Erfinder Massimo Franchi von Tuttosport. © Nicolo Campo/LaPresse via www.imago-images.de

Mit wem würden Sie ihn vergleichen?

Er ist ein echter Mittelfeldspieler. Er hat die deutsche Mentalität, aber seine Eltern sind aus Serbien. Deshalb hat er die Fantasie in seinem Spiel, die die großen Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien auszeichnet. Wenn ich ihn mit einem Spieler vergleichen sollte, dann wäre es Rainer Bonhof. Aber der war mit Deutschland Welt- und Europameister. Deshalb kann man noch nicht sagen, dass er der neue Bonhof sein wird. Aber Pavlovic kann auf jeden Fall ein besonderer Spieler werden.

Welches Bundesliga-Juwel fasziniert Sie noch?

Mathys Tel. Ich mag ihn sehr, aber es ist schwierig für ihn, seinen Platz beim FC Bayern zu finden. Vielleicht setzt er sich zu sehr unter Druck. Momentan ist er Elfter in der Rangliste, aber das kann sich noch ändern. Auch hier stehen wir erst am Anfang. Die Konkurrenz ist groß. Schauen wir uns zum Beispiel Kingsley Coman an: Er spielt gut für den FC Bayern und die französische Nationalmannschaft. Aber er ist noch ein paar Schritte vom Paradies, von ganz oben, entfernt. Auf jeden Fall ist Mathys noch sehr jung und er muss kämpfen. Er muss Stammspieler werden, um den Golden-Boy-Award zu gewinnen.

Auch Tels Landsmann Warren Zaire-Emery von Paris Saint-Germain ist vorne dabei. Aktuell liegt er auf Platz vier der Rangliste.

Körperlich ist er eine Maschine. Warren kann etwas ganz Besonderes werden. Ein paar Leute haben mir erzählt, dass sein Spitzname „Black Mamba“ ist. Die Basketball-Legende Kobe Bryant, der auf so tragische Weise ums Leben kam, wurde auch so genannt. Wenn man von der Schwarzen Mamba gebissen wird und nicht schnell ein Gegengift injiziert, stirbt man innerhalb weniger Minuten an ihrem Gift. Meiner Meinung nach ist Zaire-Emery ein ernstzunehmender Konkurrent für Yamal.

Welchen Geheimtipp haben Sie noch auf Ihrer Liste?

Adam Wharton von Crystal Palace ist ein guter Spieler. Er ist sehr stark. Ein Mittelfeldspieler, der derzeit auf Platz 14 steht, aber noch weiter nach oben kommen kann. Ich finde auch Leny Yoro von Lille großartig. Er wird bereits als der neue Varane bezeichnet. Viele große Vereine kämpfen um ihn. Er könnte sicherlich bei PSG oder Real Madrid unterschreiben.

Spanien-Juwel Lamine Yamal umkurvt Kroatiens Verteidiger bei der EM in Deutschland.
Spanien-Juwel Lamine Yamal umkurvt Kroatiens Verteidiger bei der EM in Deutschland. © IMAGO/Tilo Wiedensohler

Golden Boy: Jude Bellingham schwärmt von Türkei-Juwel Arda Güler

Letztes Jahr wurde Jude Bellingham mit dem Golden Boy Award ausgezeichnet. Wer ist sein Favorit für seine Nachfolge?

Damals erzählte er mir, dass sein Bruder Jobe, der für Sunderland spielt, einer der Favoriten für den Preis 2024 sein könnte. Er ist ein großes Talent, aber das war natürlich nur ein Scherz, denn Jobe spielt noch nicht für einen Premier-League-Verein und ist daher nach den Golden-Boy-Regeln von der aktuellen Rangliste ausgeschlossen. Jude erzählte mir im Dezember letzten Jahres außerdem, dass Real Madrid einen fantastischen jungen Spieler hat, der vielleicht sogar ein bisschen besser ist als er: der Türke Arda Güler, der ein überragendes Tor gegen Albanien erzielt hat. Laut Bellingham würde er im Training unglaubliche Dinge zeigen. Güler ist erst 19 Jahre alt.

Viele große Talente werden schnell hochgejubelt, verschwinden dann aber genauso schnell wieder von der Bildfläche.

So ist das nun mal. Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit Bojan Krkic, der jetzt in der Jugendabteilung des FC Barcelona arbeitet. Er erinnerte mich daran, dass er 2008 den vierten Platz beim Golden-Boy-Wettbewerb belegte. Er begann seine Karriere bei Barca, wechselte dann zur AS Roma und zum AC Mailand. Gute Vereine, aber am Ende war seine Karriere nicht herausragend. Er war ein ewiges Talent. Er war wie ein heller Stern, der dann von der Bildfläche verschwand. Wie Alexandre Pato. Der Brasilianer war 2009 der Golden Boy. Doch danach war er schnell von der großen Bühne verschwunden. Anstatt seine Karriere mit einer Zehn bewerten zu können, war es nur eine 5,5. Arrivederci und Auf Wiedersehen.

Von den Golden-Boy-Gewinnern hat nur einer auch den Ballon d‘Or gewonnen: Lionel Messi.

Aber das ist ja auch das Spannende daran. Es ist wie bei der Ernte. Ich kann mich an ein biblisches Gleichnis erinnern. Ein Sämann begann mit der Aussaat, aber einige Körner landeten auf der Straße und wurden von den Vögeln gefressen. Andere landen in der Nähe der Felsen und wurden von der Sonne verbrannt. Wieder andere landeten in der Nähe von Brombeersträuchern und wurden von den Dornen erstickt. Nur sehr wenige werden wie gewünscht wachsen. Interview: Philipp Kessler

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