20 Horror-Abwürfe am Tag: Putins Bomber überziehen Ukraine mit neuen Gleitbomben

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Das fliegende Auge: Mit zwei Saab ASC 890 will die schwedische Regierung der Ukraine die Hoheit über ihren eigenen Luftraum zurückgewinnen helfen. Russland steigert die Produktion von Gleitbomben längerer Reichweite. © IMAGO Avalon.red

Wladimir Putin kurbelt die Rüstungsproduktion an – der Terror geht weiter. Die F-16 könnten ein wirksames Mittel gegen Russlands Gleitbomben werden.

Moskau – „Es gibt keine Worte, um die Folgen eines Gleitbombenangriffs zu beschreiben. Man kommt an und sieht Menschen, die dort liegen, zerfetzt“, sagt Oleksii Kharkivsky. Der Polizeichef von Wowtschansk hatte die Auswirkungen von Gleitbomben aus nächster Nähe gesehen und der britischen BBC davon berichtet.

Die verheernde Wirkung der Waffe scheinen Russland zu gefallen: Denn jetzt legt Wladimir Putin offenbar nach und will gegen die Ukraine die Produktion der UMPB D-30SN-Gleitbombe (Unified / Universal Gliding and Correction Module, zu Deutsch: Einheitliches Gleit- und Korrektur-Modul) auf 600 Einheiten monatlich steigern.

Nach Beobachtungen des Defense Express belegten Seriennummern auf den Wrackteilen der Munition, dass Russland die Produktion dieser Waffe hochgefahren haben könnte. Das Magazin bezieht sich auf einen Telegram-Kanal der ukrainischen Luftwaffe. „Trotz der Tatsache, dass die Besatzer erst im März 2024 mit der aktiven Nutzung dieser speziellen Waffe begonnen haben, ist eine recht schnelle Steigerung der Produktion zu beobachten“, schreibt Defense Express über die Gleitbombe UMPB D-30SN mit einer Reichweite von 90 Kilometern. 

Russland schiebt Gleitbomben nach: Bis zu 20 Stück davon pro Tag

Im Mai hatte das Medium erstmals die Reichweite dieser neuen Waffe angegeben, wobei das Kürzel UMPB D-30SN im Prinzip lediglich die Zusatzausrüstung bezeichnet. Dieses Kit verwandelt eine frei fallende Bombe in eine Waffe, die statt eines vertikalen Weges einen horizontalen zurücklegen kann. Dadurch kann sie getragen werden von Flugzeugen, die die Waffe auslösen, ohne in den feindlichen Luftraum einzudringen. Angesichts der beinahe ungehinderten Einsatzmöglichkeiten dieser neu entwickelten Munition, scheint logisch, dass Russland mehr davon wird produzieren müssen.

„Eine Gleitbombe kann bei einem Ausfall der Satellitennavigation auf ein Trägheitsnavigationssystem zurückgreifen, dieses ist jedoch für eine präzise Zielerfassung weniger präzise. Die Fehler nehmen zu, je weiter die Bombe ohne Satellitenführung fliegt.“

Nach den neuesten Schätzungen der ukrainischen Luftwaffe würde Wladimir Putins Rüstung 20 Stück davon pro Tag herstellen. Defense Express allerdings geht davon aus, dass diese Prognose weit übertrieben sein dürfte. Das Gewicht der Bombe beträgt 250 Kilogramm, rund 100 Kilo davon würden Sprengstoff sein. Sie soll außer von Flugzeugen auch durch den Mehrfachraketenwerfer BM-30 Smerch (zu Deutsch: Wirbelwind) gestartet werden können. Defense Express verweist auf Quellen, nach denen die Waffe über ein Strahltriebwerk oder einen Raketenbooster verfüge; der soll dann diese Reichweite erlauben. Belege allerdings fehlen.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet, habe Russland den Einsatz von Lenkbomben erstmals Anfang des Jahres zur Vorbereitung der Einnahme der inzwischen zerstörten Stadt Awdijiwka verstärkt. Im weiteren Verlauf des Ukraine-Krieges hätte die Munition für die grenzüberschreitende Offensive in der nordöstlichen Region Charkiw eine entscheidende Rolle gespielt. Laut der BBC geht der Thinktank Center for European Policy Analysis (CEPA) davon aus, dass Russland ohne Gleitbomben-Terror in den Gefechten um Awdijiwka keine Chance gehabt hätte.

Putins Billig-Waffe: Gleitbomben spielten in Awdijiwka und Charkiw die Hauptrolle

Die Ukraine habe bisher Mühe gehabt, sich dagegen zu wehren – in Awdijiwka sowie in Charkiw. Gleitbomben sind billig. Russland visiert mit ihnen wöchentlich Hunderte Ziele auf ukrainischer Seite an. Diese Bomben sind klein und hinterlassen kaum Spuren auf Radar-Schirmen. Aufgrund ihres fehlenden Antriebs sind kaum Wärmesignaturen zu orten. Russische Flugzeuge werfen Gleitbomben ohnehin Dutzende von Kilometern hinter der Frontlinie ab; in relativer Sicherheit. Diese Bomben sind beispielsweise deutlicher günstiger als jede andere Waffe mit ähnlicher Zerstörungskraft, weshalb sie für die russische Rüstungsindustrie von unschätzbarem Wert sind.

Und für die Ukraine eine nie versiegende Quelle der Bedrohung darstellen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte gegenüber seinen westlichen Verbündeten immer wieder darauf gedrängt, der Gefahr der Gleitbomben und ihren Trägern mittels Patriot-Abwehrraketen zu Leibe rücken zu können – aber das wäre für die Nato-Partner schon allein eine finanzielle Katastrophe. Der Verzicht allerdings bedeutet eine menschliche Tragöde und käme einer militärischen Kapitulation gleich.

Den Terror eindämmen: Abschreckende Fernwirkung der F-16 ist die Hoffnung der Ukraine

Russland verfügt inzwischen auch über eine Drei-Tonnen-Gleitbombe. „Es ist schwer, sich ein Ziel vorzustellen, das von einer Fliegerbombe dieser Größe nicht zerstört werden würde“, soll ein anonymer russischer Pilot beim Start der Bomben gesagt haben, so die Financial Times (FT). „Sie sind sehr furchterregend und tödlich. „Selbst aus einem Kilometer Entfernung reißt die Explosion die Türen von Gebäuden aus den Angeln“, sagte gegenüber der (FT) der ukrainische Soldat Bohdan. Das war im April, als die Invasoren angefangen hatten, mit Bomben um sich zu werfen, mit einem Gewicht zwischen 500 und 1.500 Kilogramm Sprengstoff.

Drei Wege sieht John Hoehn zur Entschärfung der Gefahr. Auf der einen Seite möchte der Militär-Analyst des US-Thinktank RAND die Luftabwehr der Ukraine weiter ausbauen und setzt daneben auch auf die abschreckende Fernwirkung der F-16 gegen die russischen Gleitbomben-Plattformen. Drittens soll die Elektronische Kriegführung verstärkt werden. Hoehn sieht eine Chance darin, die Gleitbomben vom Weg abzubringen, indem ihre GLONASS (zu Deutsch: Globales Satellitennavigationssystem) oder GPS-Satellitennavigationssysteme verwirrt würden.

Der Terror nimmt Fahrt auf: Steigerung der Gleitbomben-Abwürfe um das 16-fache

„Eine Gleitbombe kann bei einem Ausfall der Satellitennavigation auf ein Trägheitsnavigationssystem zurückgreifen, dieses ist jedoch für eine präzise Zielerfassung weniger präzise. Die Fehler nehmen zu, je weiter die Bombe ohne Satellitenführung fliegt“, schreibt Hoehn. Dadurch würde der Terror eingedämmt werden, aber die grundsätzliche Gefahr würde bleiben.

Die Financial Times (FT) zitiert ukrainische Militärs, wonach die Russen allein von diesem Jahresanfang an bis April mit rund 3.500 solcher gelenkter verschiedenen Kalibers Fliegerbomben angegriffen hätten, das sei eine 16-fache Steigerung gegenüber 2023, wie die FT schreibt und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dahingehend zitiert, allein in der dritten Märzwoche habe Russland „über 700 gelenkte Fliegerbomben abgefeuert“, wie er gesagt hat.

Auch kleinere, mit UMBD ausgerüstete Freifallbomben hätten mit Ungenauigkeiten zu kämpfen, sagt John Hardie. Der Analyst des Thinktank Foundation for Defense for Democracies geht davon aus, dass Russland aus diesem Grund tatsächlich darauf setzen werde, die Masse an kleineren Bomben zu steigern, anstatt die Sprengkraft einzelner Bomben zu erhöhen: „Wenn aber eine Su-34 beispielsweise vier mit UMBD ausgerüstete FAB-500 abwirft, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass zumindest einige davon das Ziel treffen“, wie sagt.

Nato zeigt verstärkte Präsenz: Seit 2022 regelmäßige Patrouillen über Osteuropa und der Ostsee

Bezüglich der über lange Strecken gleitenden UMPB D-30SN sei vorrangig das Ziel, deren Genauigkeit im Vergleich zu den anderen Modellen zu erhöhen. In der Vergangenheit hätten russische Su-34 ihre Last normalerweise etwa 35 bis 50 Kilometer hinter der Frontlinie abgeworfen. Das neue Gleitbomben-Kit brächte ein Plus an Sicherheit – auch gegen die anfliegenden F-16. Wie das britischen Defense Journal im Juni berichtet hatte, hat die Nato inzwischen die Überwachung des Luftraumes über der Ukraine verstärkt.

Demnach habe das Verteidigungsbündnis weitere Flugzeuge des Airborne Warning and Control Systems (AWACS) im Luftraum über Polen stationiert: „Seit Februar 2022 führten AWACS-Systeme der Nato regelmäßige Patrouillen über Osteuropa und der Ostseeregion durch, um russische Kampfflugzeuge in der Nähe der Nato-Grenzen aufzuspüren, so das Defense Journal. Aus Schweden sind zwei luftgestützte Überwachungs- und Kontrollflugzeuge vom Typ ASC 890 an die Ukraine übergeben worden.

Defense Express sah darin ein historisches Ereignis für die Ukraine; nach Angaben des Magazin, strebten die ukrainischen Streitkräfte seit 33 Jahren ihrer Unabhängigkeit nach eigenen Radarüberwachungsflugzeugen. Gegenüber dem Magazin The New Voice of Ukraine äußerte ein ehemaliger Offizier der britischen Royal Air Force (RAF): „Westliche Geheimdienstdaten bieten der Ukraine die Möglichkeit, ein kleines bisschen schneller zu reagieren.“

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