Nach Festnahme von Imamoglu: Türkischer Börse droht schon bald der Crash – Währung stürzt ab

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Türken weltweit sind in Aufruhr wegen der Verhaftung des Oppositionellen und Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu. Die Währung stürzt ab, die Börse steht kurz vor einem Crash, fürchten Staatsmänner.

Istanbul – Die politischen Turbulenzen in der Türkei könnten sich negativ auf die Wirtschaft des Landes auswirken. Nachdem der Erdogan-Rivale und Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu (CHP) am Sonntag verhaftet wurde, gehen seither Menschen in der einstigen Hauptstadt auf die Barrikaden. Die Proteste beunruhigen Präsident Recep Tayyip Erdoğan zunehmend. Denn die türkische Währung stürzte seit der Festnahme des Oppositionellen ab. Die Sorge um einen Börsencrash wächst.

Imamoğlu und hundert weitere Menschen wurden wegen mitunter Verdachts auf die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und Korruption festgenommen, wie es seitens der staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft hieß. Die Opposition sprach von einem „Staatsstreich“ und möchte mit dezentralen Kundgebungen in Istanbul die Proteste aufrechterhalten. 

Abwertung der türkischen Lira und Börsensturz: Unruhen nach Imamoğlu-Festnahme verunsichern Investoren

In der vergangenen Woche sackte die Landeswährung auf ein Rekordtief von 40 Türkische Lira (TL) gegenüber einem USD ab – der härteste Sturz seit der Krise 2023. Daraufhin griff die Zentralbank ein und verkaufte rund acht Milliarden US-Dollar zur Kursstabilisierung. Innerhalb von drei Tagen habe sie etwa 80 Prozent der dreijährig angelegten Devisen verkauft, wie verschiedene Medien berichteten.

Gleichzeitig erlebte der Leitindex Borsa Istanbul 100 einen Einbruch um fast sieben Prozent; Bankaktien trafen die Unruhen noch härter. Die Istanbuler Börse musste den Handel zeitweise stoppen, um die dramatischen Kursverluste abzufedern. Die politischen Unsicherheiten brachten Anleger dazu, ihr Kapital zurückziehen. „Türkische Vermögenswerte stehen unter starkem Verkaufsdruck“, sagte Piotr Matys, Währungsanalyst bei In Touch Capital Markets der Tagesschau.

Erdoğans unorthodoxe Wirtschaftspolitik: Inflation belastet türkische Verbraucher

Die Türkei hat sich die Gunst der Investoren in den vergangenen Jahren hart zurückerobern müssen. Präsident Erdogan führt 2021 „neues Wirtschaftsmodell“ („Yeni Ekonomi Modeli“) ein, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Teil davon waren Zinssenkungen und die Förderung des Exports durch günstige Finanzierungen für Ausfuhrunternehmen. Die Inflation im Lande stieg weiter, trotzdem senkte die Zentralbank infolge politischen Drucks den Leitzins ab.

Proteste nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters
Die Proteste nach der Verhaftung von İmamoğlu belasten die Währung und die Börse der Türkei. © Khalil Hamra/AP/dpa

Die Türkei kämpft seit der Corona-Krise mit einer explodierenden Teuerungsrate. Im Jahr 2024 lag die durchschnittliche Jahresinflation bei 53,5 Prozent, im Jahr darauf erreichte sie einen Rekordstand von 85,5 Prozent – ähnlich der Größenordnung der Hyperinflation in den 1990er Jahren. Laut Ökonomen führte die lockere Geldpolitik und Kreditausweitung zur Vergrößerung der Geldmenge, was die Teuerungsrate weiter anheizte.

Das Land ist zudem stark von Importen abhängig, besonders bei Energie und Rohstoffen. Die geopolitischen Unsicherheiten belasten die Verbraucherpreise zusätzlich. Durch die Entwertung der türkischen Lira in den vergangenen Jahren kam es zur Erhöhung der Importpreise. Die Produktionskosten zogen daraufhin an, was auch Verbraucher durch Preissteigerungen spürten.

Kurswechsel durch Finanzminister Şimşek: Türkische Wirtschaft auf dem Weg zur Stabilisierung

Mit dem Kurswechsel des türkischen Finanzministers Mehmet Şimşek deuteten Wirtschaftsdaten auf eine Stabilisierung des Landes hin. Er wendete sich von der zuvor unorthodoxen Wirtschaftspolitik ab und versuchte seit seiner Ernennung 2023 durch Maßnahmen wie Ausgabendisziplin, Steuererhöhungen und restriktiver Kreditvergabe die Währungsabwertung und Inflation in den Griff zu bekommen, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schrieb.

Die Maßnahmen blieben nicht wirkungslos: Die Teuerungsrate sank wieder auf 48 Prozent im Oktober 2024 ab. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg trotzdem um 3,2 Prozent, die Arbeitslosenquote erreichte ein Zwölfjahrestief von 8,7 Prozent, so teilte es das nationale Statistikamt Turkstat mit. Vor allem sollte durch die Kurswende das Vertrauen von Investoren zurückgewonnen werden. Die Bekämpfung der Inflation sowie die Stabilisierung der Wirtschaft sind darüber hinaus entscheidende Faktoren für weitere Wahlerfolge von Präsident Erdoğans Partei AKP.

Erdoğan unter Druck: Opposition plant weitere Proteste

Erdoğan und seine Partei stehen seit den verlorenen Kommunalwahlen massiv unter Druck. Die oppositionelle Partei CHP holte im März 2024 einen historischen Sieg mit starken Zuwächsen in den Großstädten sowie auch in ländlicheren Gegenden und verdrängte zum ersten Mal die AKP bei landesweiten Wahlen vom Spitzenrang. In der Türkei leben rund 85 Millionen Menschen, davon 16 Millionen allein in Istanbul. Die Stadt trägt rund ein Drittel zur türkischen Wirtschaftsleitung bei.

Die jüngsten Entwicklungen hätten nur „begrenztes Ausmaß“, wie Simsek Tagesspiegel-Berichten zufolge bei einem Treffen mit Vertretern des Bankensektors mitteilte. CHP-Chef Özgür Özel sagte, Simsek sei frustriert, dass die Regierung seine Bemühungen um finanzpolitische Stabilität erschwere und mit einem Rücktritt spielen würde. Simsek dementierte dies laut Tagesspiegel. Erdogan rechnet bis Ende des Fastenmonats Ramadan mit Entspannung der Lage.

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