Ex-Grünen-Chefin - Ricarda Lang offen: Ihre eigene Familie kann Anti-AfD-Gerede nicht mehr hören

Frau Lang, Sie haben ein turbulentes Jahr erlebt. Wie würden Sie es in drei Worten zusammenfassen?

Herausfordernd, traurig und wunderschön.

Und jetzt bitte etwas ausführlicher

Das Jahr war wahrscheinlich das größte Achterbahnjahr, das ich je erlebt habe: Politisch unfassbar herausfordernd mit den vielen Wahlen und der schwelenden Krise des demokratischen Parteiensystems. Für mich war es natürlich traurig, den Bundesvorsitz abzugeben. Das war ein weitgehender Schritt, der wehtut. Aber es war privat auch das schönste Jahr meines Lebens: Ich habe geheiratet. Also insgesamt ein Hin und Her der Gefühle.

Bleiben wir bei den Herausforderungen – welchen sind Sie nicht gerecht geworden?

Auf der einen Seite habe ich den Eindruck, dass wir uns als Partei in eine strategische Sackgasse begeben haben. Wir haben ein paar Fehler in der Regierung gemacht, die es anderen leicht gemacht hat, uns in eine ideologische Ecke zu schieben. Und dann standen wir da und haben uns nur noch dafür entschuldigt und dadurch ein Stück weit die Deutungshoheit über uns selbst verloren. Das hat sich getroffen mit einer Zeit, in der viele Wahlen stattgefunden haben, die herausfordernd für alle demokratischen Parteien waren.

"Eigentlich konkurrieren wir nur noch darum, wer das beste Argument gegen die AfD hat"

Die Ergebnisse waren für die „etablierten“ Parteien überwiegend schlecht. Was ist da schief gelaufen?

Eigentlich konkurrieren wir nur noch darum, wer das beste Argument gegen die AfD hat. Das begeistert niemanden für Demokratie. Auch meine eigene Familie hat mir das zurückgespiegelt. Der Tenor: Wir wollen nicht von euch moralisch hören, warum wir nicht die AfD zu wählen haben. Wir wollen wissen, wie ihr unser Leben besser machen wollt.

Was haben Sie selbst falsch gemacht?

Das Amt der Bundesvorsitzenden ist eine riesige Ehre, aber auch eines, bei dem man schnell das Gefühl hat, es allen recht machen zu müssen. Manchmal habe ich Dinge gesagt, die ich mir selbst nur halb geglaubt habe. Der Rücktritt war auch für mich persönlich ein Befreiungsschlag. Ich fühle mich wieder mehr bei mir selbst und rede offener und ehrlicher.

Ricarda Lang: "Wir haben eine klare Idee, wie wir es anders machen wollen"

Blicken wir nach vorne. Es gibt demnächst eine Wahl. Kriegen die Grünen es bis dahin noch hin, die Menschen zu überzeugen, dass sie es in der nächsten Legislaturperiode anders machen?

Ja, ich glaube schon, wir spüren: da dreht sich was. Zwei Dinge stehen auf unserer Seite: Robert Habeck, der für Team und Zukunft steht. Und unsere Fähigkeit aus Fehlern zu lernen und diese auch zu benennen, statt mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Wir haben eine klare Idee, wie wir es anders machen wollen.

Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Für eine absolute Mehrheit der Grünen wird es nicht reichen. Wer soll(en) der (die) Partner werden?

Ich glaube, die Zeit für Lieblingspartner ist leider vorbei.

"Nicht wirklich vorstellbar wäre ein Bündnis mit dem Bündnis Sarah Wagenknecht"

Was halten Sie für realistisch?

Natürlich bleibt es für mich dabei, dass die Sozialdemokraten uns bei sehr vielen Projekten sehr nahe stehen. Es kann aber am Ende auch zu Schwarz-Grün kommen. Nochmal eine Ampel, muss ich ehrlich sagen, kann ich mir kaum vorstellen – zumindest in der selben Personalbesetzung. Am Ende müssen wir für alle Koalitionen offen bleiben, weil Demokraten in der Lage sein müssen, regierungsfähige Koalitionen hinzubekommen. Ansonsten gewinnen die Feinde der Demokratie.

Sie schließen niemanden aus?

Doch, eine Koalition mit der AfD.

"Vor einem Diktator zu kuschen, würde das genaue Gegenteil von Frieden bedeuten"

Sonst noch jemand?

Nicht in dem Maße. Aber nicht wirklich vorstellbar wäre ein Bündnis mit dem Bündnis Sarah Wagenknecht. Denn die verwechseln immer wieder tatsächlichen langfristigen Frieden mit sich vor Putin auf den Boden zu werfen. Vor einem Diktator zu kuschen, würde das genaue Gegenteil von Frieden bedeuten.

Auch Sie bewerben sich erneut. Reicht Ihnen ein einfaches Mandat aus?

Für jetzt gerade ist das eine schöne Perspektive. Ich hätte mehr Zeit, Parlamentsarbeit zu machen und mehr Möglichkeiten für längerfristige Debatten. In der Wahlkreisarbeit möchte ich neue Formate des Dialogs und Zuhören ausprobieren.

Wenn Sie morgen ganz ohne Termindruck in den Tag starten könnten – wie würden Sie ihn am liebsten verbringen?

Ausschlafen. Das habe ich in den vergangenen Jahren sehr, sehr wenig getan. Langsam mit meinem Mann in Tag starten. Und dann lesen.

Von Frank Rodenhausen

Das Original zu diesem Beitrag "Ricarda Lang zieht Bilanz -„Manche Angriffe auf die Grünen waren korrekt“" stammt von Stuttgarter Zeitung.