Was treibt einen Menschen an, 448 Kilometer in 67 Stunden zu laufen?
Es klingt wie ein Irrsinnsprojekt – und ist doch eine faszinierende Parabel aufs Leben. Ultraläufer wie Kim Gottwald, der beim „Last Soul Ultra“ ganze 448 Kilometer in 67 Stunden gelaufen ist, sind keine Muskelpakete auf Adrenalin, sondern Strategen auf zwei Beinen.
Wer solche Distanzen bewältigt, läuft nicht einfach los. Schlaf, Ernährung, Tempo, Schmerzmanagement – alles wird geplant, dosiert und mental verpackt. Jeder Schritt ist Berechnung, jede Pause eine Investition in das Weiterlaufen.
„Kim versetzte verdammte Berge. Die härteste Arbeit. Die schwerste Last. Diejenigen, die es wissen, wissen es. Respekt an alle, die ihm den Rücken gestärkt haben. Respekt an alle, die ihm Respekt entgegengebracht haben,“ stand unter einem Beitrag der von Gottwald gegründeten Laufmarke "rappid" bei Instagram.
Kurz gesagt: Im Ultralauf geht es nicht darum, andere zu besiegen, sondern die eigene Psyche zu überlisten.
Ist das noch Sport oder schon Überlebenskunst?
Eindeutig Letzteres. Der Körper gibt nach, der Geist übernimmt. Jenseits der 100 Kilometer laufen keine Muskeln mehr – sondern Entscheidungen. Wer sich verzettelt, zu früh zu viel will oder sich nicht auf wechselnde Bedingungen einstellt, scheitert.
„Survival of the fittest“ – der Satz, den viele mit roher Stärke verbinden – meint in Wahrheit genau das Gegenteil. „Fittest“ heißt eben nicht „der Stärkste“, sondern „der am besten Angepasste“.
Der, der erkennt, wann er die Richtung ändern muss. Der, der rechtzeitig trinkt, statt durchzuziehen. Und der, der weiß: Der Schmerz ist kein Feind, sondern ein Feedbacksystem.
Was hat das mit moderner Arbeitswelt zu tun?
Alles. Die moderne Karriere ist ein Ultramarathon in Anzug und Bluse. Es gibt keine Ziellinie, nur Etappen. Projekte ziehen sich, Teams wechseln, Märkte kippen, Strategien müssen neu gedacht werden.
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Bildquelle: Christoph Maria Michalski
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Viele Menschen laufen Ultra, ohne es zu merken: Sie kämpfen sich durch Meetings, Krisen und E-Mail-Fluten – oft ohne Plan, ohne Pause, aber mit dem festen Willen, irgendwie durchzuhalten.
Doch genau das ist der Fehler. Wer nur auf Kraft setzt, verbrennt sich. Wer dagegen auf Anpassung, Pausen und Prioritäten achtet, bleibt im Rennen. Im Büro wie im Ultramarathon gilt: Die Energie, die du dir am Anfang sparst, rettet dich am Ende.
Wo liegt die wahre Stärke im Ultramarathon – und im Job?
Nicht im Sprint, sondern im System. Die Besten laufen konstant – nicht spektakulär, aber strategisch. Sie wissen, wann sie einbrechen, und planen das ein.
Ich erinnere mich gut an meinen ersten Marathon 2018 in Berlin. Ich startete im letzten Block, ganz hinten. Nach fünf Kilometern fühlte ich mich wie der letzte Mensch im Feld. Alle zogen an mir vorbei – bunt, euphorisch, laut. Ich blieb bei meinem Tempo.
Nach 42 Kilometern hatte ich rund 20.000 Läufer überholt. Nicht, weil ich stärker war, sondern weil ich länger durchhielt. Viele, die zu Beginn glänzten, saßen später erschöpft am Straßenrand.
Im Beruf ist das genauso: Wer zu schnell losrennt, brennt aus. Wer konstant bleibt, zieht am Ende leise vorbei. Erfolg hat selten etwas mit Explosivität zu tun, aber sehr viel mit Rhythmus.
Warum wird „Survival of the fittest“ so oft falsch verstanden?
Weil wir Stärke immer mit Lautstärke, Kraft oder Härte verwechseln. Dabei ist wahre Stärke still – sie zeigt sich in kluger Anpassung. In der Fähigkeit, Muster zu erkennen und Strategien zu ändern, bevor sie scheitern.
Darwin meinte mit „fittest“ den, der am besten passt, nicht den, der andere besiegt. In der Natur überlebt nicht der Löwe, der brüllt – sondern der, der merkt, wann Regenzeit kommt und wann es Zeit ist, die Richtung zu ändern.
Diese Logik gilt auch in der Arbeitswelt: Wer sich an alte Strukturen klammert, weil sie einst funktioniert haben, verliert. Wer offen bleibt für Neues, wer Fehler nicht als Niederlage, sondern als Rückmeldung sieht, entwickelt sich weiter. Anpassung ist kein Zeichen von Schwäche – sie ist die höchste Form von Intelligenz.
Welche Lehren können wir fürs Berufsleben ziehen?
Erstens: Strategisch pausieren. Wer immer Vollgas gibt, verliert irgendwann das Ziel aus dem Blick. Pausen sind keine Faulheit, sondern Regeneration.
Zweitens: Anpassen statt anbeißen. Wenn der Markt sich verändert oder das Team kippt, ist nicht Starrsinn gefragt, sondern Flexibilität. Ein Kurswechsel rettet Energie – und Reputation.
Drittens: Mentale Stärke trainieren. Sie entsteht nicht im Erfolg, sondern im Rückschlag. Wer lernt, mit Frust umzugehen, gewinnt Ausdauer.
Und viertens: Humor behalten. Wer über sich selbst lachen kann, spart Kraft. Ein Lächeln ist oft der letzte Energieschub, wenn sonst nichts mehr geht.
Kurz gesagt: Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf mit Köpfchen. Und wer rechtzeitig merkt, wann er das Tempo drosseln oder den Kurs ändern muss, läuft am Ende ganz vorne – auch wenn er hinten gestartet ist.
Der Ultramarathon ist das ehrlichste Sinnbild moderner Karrieren: kein Kampf gegen andere, sondern ein Dialog mit sich selbst. Es geht nicht um Sieg, sondern um Selbsterkenntnis.
„Survival of the fittest“ bedeutet nicht, sich durchzubeißen, sondern sich weiterzuentwickeln. Wer Anpassung als Stärke begreift, Humor als Treibstoff nutzt und sein Tempo kennt, läuft im Leben weiter als jeder Sprinter.
Und das Zielband? Das ist nicht am Ende der Strecke – sondern in jedem Schritt, den man bewusst setzt.
Christoph Maria Michalski, bekannt als „Der Konfliktnavigator“, ist ein angesehener Streit- und Führungsexperte. Mit klarem Blick auf Lösungen, ordnet er gesellschaftliche, politische und persönliche Konflikte verständlich ein. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.