Kriegschaos in Kursk: Russen-Kommandeur fordert Gefangene zum „Selbstmord“ auf
Russlands Soldaten finden keine Gnade. Von Kommandeuren in den Tod getrieben, sollen sie jetzt auch noch als Kriegsgefangene den Freitod wählen.
Kursk – „Einige werden durch Schikanen, Drohungen und ein Gefühl völliger Hoffnungslosigkeit bewusst zu einem solchen Schritt getrieben“, schreibt die Kyiv Post unter Bezug auf eine anonyme Quelle aus dem ukrainischen Geheimdienst. Der Quelle zufolge werde in der Armee Wladimir Putins das Leben gewöhnlicher Russen äußerst gering geschätzt und deren Suizid provoziert. In Kursk habe die Ukraine der Invasionsarmee Russlands vorerst ihre Grenzen aufgezeigt. Das veranlasst einen Kommandeur in russischen Diensten offenbar, seine gefangenen Soldaten zum Selbstmord sogar aufzurufen.
Kriegsgefangene hätten „das Leben nicht verdient“, sagte der tschetschenische Kommandeur des Achmat-Freiwilligenverbands, Apti Alaudinow, wie jetzt das Institute for the Study of War (ISW) unter Bezugnahme eines Posts auf Telegram berichtet. Achmat-Kämpfer sollten keinesfalls in ukrainische Gefangenschaft gehen, habe Alaudinow gewarnt. „Tschetschenen ergeben sich nicht. Aufgeben ist die größte Schande“, wie das ISW über Alaudinows Äußerungen schreibt. Der Tschetschenen-Führer habe geraten, „dass tschetschenische Soldaten das ukrainische Personal, das sie bewachte, hätten angreifen sollen, um ukrainische Streitkräfte zu provozieren, sie zu töten“.
Putins Offiziere offensichtlich unfähig – viele Verluste durch Fehlentscheidungen
Das Nachrichtenportal t-online theoretisiert, Alaudinow fordere seine Soldaten damit zum Suizid auf. Treffender ist möglicherweise, dass er gewollt hat, seine Einheit hätte bis zum letzten Mann gekämpft – diese Formulierung scheint vermutlich unabdingbar zum Despoten-Sprachschatz zu gehören. Was aus dem Zweiten Weltkrieg hinlänglich bekannt ist, hat der Spiegel Mitte Januar 1991 erneut reportiert: Demnach soll der irakische Despot Saddam Hussein nach seiner Annexion Kuwaits und dem darauf folgenden Aufmarsch der anglo-amerikanischen Allianz seine Truppen befragt haben, ob sie Angst vor Präsident Bush hätten. Als Erwiderung notierte das Nachrichtenmagazin: „Wir schwören bei Gott, nein, o Herr. Wir werden gegen ihn kämpfen, bis zum letzten Mann.“
„Indem das russische Kommando Spezialisten jeglicher Art als zusätzliche Einheiten für Frontalangriffe einsetzt, verpasst es die Gelegenheit, die Spezialisierungen, die es in seine jeweiligen Einheiten integrieren könnte, richtig einzusetzen, was ein weiterer Beweis dafür ist, dass die meisten russischen Fronttruppen auf unterbesetzte und qualitativ minderwertige motorisierte Schützeneinheiten reduziert wurden“
Die russischen Truppen seien in Kursk offenbar neben dem Überraschungseffekt auch wegen der Unfähigkeit vieler Offiziere in Bedrängnis geraten. Die prekäre Situation der Russen spiegele sich nach Berichten des ukrainischen Militärbeobachters Kostyantyn Mashovets darin wider, dass offenbar Kräfte aus etwa 61 verschiedenen russischen Einheiten unterschiedlicher Größe mit insgesamt etwa 35.500 russischen Soldaten in Kursk zusammengewürfelt seien, schreibt er auf seinem Telegram-Kanal.
Das ISW berichtet zudem von zwei gegenläufigen Tendenzen an den verschiedenen Fronten, die den zermürbten Zustand der russischen Armee charakterisieren. Einige russische Kommandeure sollen weiterhin weitgehend auf infanteristische Frontalangriffe setzen, obwohl Kommando-Unternehmen weniger verlustreich beziehungsweise erfolgreicher verlaufen könnten – Untergebene, die diese Fehlentscheidungen kritisierten, würden trotz ihrer Spezialausbildungen, wie etwa als Maschinengewehr-Schütze oder Cyber-Spezialist, zu Himmelfahrtskommandos abkommandiert werden – zwei Drohnen-Piloten hatten wohl vor ihrem tödlichen Einsatz kritische Videos gedreht und ins Netz gestellt – vermutlich aufgrund einer persönlichen Animosität ihres Offiziers.
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Putin scheint unfähigen Offizieren jetzt an den Kragen gehen zu wollen
Offenbar hat diese Aktion auch Widerhall gefunden, wie das ISW in seinen täglichen Berichten notiert. Demnach sollen die Umstände des Todes jetzt aufgeklärt werden. Die beiden Soldaten hatten offenbar zum 87. Selbständigen Schützenregiment der 1. „Slawischen“ motorisierten Schützenbrigade gehört. Verschiedene russische Militärblogger hätten, laut ISW, am 13. September berichtet, dass die beiden bei Kämpfen nahe Pokrowsk ums Leben gekommen seien, nachdem sie von ihrem Feldkommandeur als Strafe für ihre Kritik an der Führung in eine Angriffsabteilung gesteckt worden sein sollen.
„Gesprengte Ketten“ – von der Pflicht zu Flucht
Die Pflicht zur Flucht aus der Kriegsgefangenschaft wird unter Historikern kontrovers diskutiert. Der Film „Gesprengte Ketten“ von 1963 unter der Regie von John Sturges beruht auf einer wahren Begebenheit. Die dargestellte Flucht alliierter Kriegsgefangener ereignete sich in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1944 im Stammlager „Stalag Luft III“ im niederschlesischen Sagan südöstlich von Berlin.
Hintergrund des Handelns vor allem der US-Amerikaner ist die im Zweiten Weltkrieg bereits geltende und 1955 unter Präsident Dwight D. Eisenhower erneut erlassene Executive Order 10631 – der Verhaltenskodex für Angehörige der Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Das dritte Kapitel lautet: „Wenn ich gefangen genommen werde, werde ich mit allen verfügbaren Mitteln weiterhin Widerstand leisten. Ich werde alles daran setzen, zu entkommen und anderen bei der Flucht zu helfen. Ich werde weder Bewährung noch besondere Vergünstigungen vom Feind annehmen.“
Quelle: US National Archives and Records Administration
„Der Tod der Drohnenpiloten löste unter russischen ultranationalistischen Militärbloggern große Empörung über die mangelnde Disziplin der Führung aus und das russische Verteidigungsministerium scheint zu versuchen, dieser Empörung umgehend zu begegnen, indem es innerhalb von 24 Stunden eine Erklärung zu der Angelegenheit herausgab“, schreibt das ISW jetzt. Offenbar ist diese Verhalten russischer Offiziere aber gängige Praxis, wie Militärblogger weiter berichten: Ein Offizier im Bezirk Donezk sollen einen „begabten Cyberhacker zu einer Angriffseinheit geschickt haben, weil dieser mit dem Kommando nicht einverstanden war, woraufhin der Hacker im Kampf starb“, schreiben die Quellen.
Russlands Blutzoll unermesslich – verlustreiche Offensiven durch infanteristisches Gestümpere
In den Foren kursieren daraufhin Diskussionen, wonach dieses Verhalten den Mangel an Führungsdisziplin unter den Offizieren verdeutliche und die Moral der russischen Armee weiterhin untergrabe. Die Analysten des Thinktank ISW schlussfolgern weiter, dass sich Russlands stetige aber vergebliche Bemühungen um ein effizientes Vorankommen leicht erklären lässt: mit der fehlenden Führungsfähigkeit der russischen Offizieren, dem menschenverachtenden Umgang mit eigenen Kräften und der scheinbar alternativlosen russischen Taktik.
„Indem das russische Kommando Spezialisten jeglicher Art als zusätzliche Einheiten für Frontalangriffe einsetzt, verpasst es die Gelegenheit, die Spezialisierungen, die es in seine jeweiligen Einheiten integrieren könnte, richtig einzusetzen, was ein weiterer Beweis dafür ist, dass die meisten russischen Fronttruppen auf unterbesetzte und qualitativ minderwertige motorisierte Schützeneinheiten reduziert wurden“, schreibt das ISW. Auch das mag womöglich zur Gefangennahme der Achmat-Spezialeinheit beigetragen haben, obwohl deren Befehlshaber vor einigen Tagen noch guter Dinge war.
Putin-Vasall Alaudinow schwört Russland und Tschetschenien auf weitere Verluste ein
Generalmajor Apti Alaudinow, der die in Kursk kämpfenden tschetschenischen Achmat-Spezialeinheiten befehligt, sagte gegenüber der russischen Nachrichtenagentur TASS, die russischen Truppen seien in die Offensive gegangen und hätten die Kontrolle über etwa zehn Siedlungen in Kursk zurückerobert. „Die Lage ist gut für uns“, sagte Alaudinow, der zugleich stellvertretender Leiter der militärisch-politischen Abteilung des russischen Verteidigungsministeriums ist, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Die Deutsche Welle (DW) fragt aktuell ob sich Alaudinow als „Propagandist oder Moskaus neuer Politstar“ positionieren möchte. Im Mai dieses Jahres wurde breit diskutiert über den Gesundheitszustand des Tschetschenen-Führers Ramsan Kadyrow, der möglicherweise einen Nachfolger benötigt. Neben den Kindern Kadyrows gilt Alaudinow als aussichtsreiche Option. Er kommandiert die Achmat-Kämpfer und hat die Reste der nach dem Putsch verstreuten Wagner-Söldner unter sein Kommando genommen – mit dem Segen des Kreml-Chefs. Er sammelt also militärische Macht.
Von Moskau habe Alaudinow für seine Dienste den Titel „Held Russlands“ bekommen, berichtet die DW. Im April 2024 sei er zudem zum stellvertretenden Leiter der Abteilung für militärpolitische Arbeit im russischen Verteidigungsministerium ernannt worden; dort organisiert er die „militärpolitische Propaganda und Agitation“.
Die Herabwürdigung seiner in Gefangenschaft geratenen tschetschenischen Soldaten als Schande gilt der Deutschen Welle als starkes Signal nach innen, um die Gesellschaft weiter auf diesen Krieg einzuschwören, und „die tschetschenischen Streitkräfte als Elite darzustellen, die im Krieg extreme Opfer bringen“, wie die DW schreibt. Demnach habe er zwischenzeitlich auch Beschimpfungen gerichtet auf Verwandte von Wehrpflichtigen, weil die an der Front in Kursk in eine kriegerische Auseinandersetzung verwickelt würden. Die Botschaft geht insofern nach innen nach Tschetschenien, sowie gleichermaßen nach innen nach Russland.