1440 Lehrerstellen über 20 Jahre lang unbesetzt – heftige Reaktionen: „Bildungspolitischer Super-GAU“
Eine schwere IT-Panne erschüttert das Bildungssystem in Baden-Württemberg: 1440 geplante Lehrerstellen sind seit 2005 nicht besetzt worden. Es hagelt Kritik.
Stuttgart – Ein Softwarefehler, der zwei Jahrzehnte unentdeckt blieb, sorgt für massive Empörung in der Bildungslandschaft. 1.440 eigentlich geplante Lehrerstellen in Baden-Württemberg sind dadurch versehentlich nicht besetzt worden. Der Fehler, der bis auf das Jahr 2005 zurückgeht, sei über all die Jahre unbemerkt geblieben, hatten das Kultusministerium und das Finanzministerium am Mittwoch eingeräumt. Die Reaktionen auf die Panne fallen heftig aus

Elternbeirat sieht in der IT-Panne den „größten Bildungsskandal seit Jahrzehnten“
Während der Landesschülerbeirat von „Geisterlehrkräften“ spricht, sieht der Elternbeirat darin den „größten Bildungsskandal seit Jahrzehnten“. Der Verein für Gemeinschaftsschulen wirft der Kultusverwaltung eine „einzigartige Mischung aus Unvermögen, Achtlosigkeit und Desinteresse“ vor.
Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert eine sofortige Besetzung aller 1.440 Stellen bis zum Schulstart am 15. September. „Jeder Euro, der in den vergangenen Jahren auf Kosten der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Lehrkräfte nicht an die Schulen geflossen ist, muss für die dringend nötigen Investitionen wie Ganztagsausbau, Inklusion und bessere Förderung zurückgezahlt werden“, erklärte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein.
CDU vermutet „strukturelles Problem im Kultusministerium, der Schulverwaltung und im Finanzministerium“
Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Andreas Sturm, sieht mehr als nur einen einfachen Fehler: „Das ist nicht einfach nur eine Ungereimtheit. Vieles deutet auf ein strukturelles Problem im Kultusministerium, der Schulverwaltung und im Finanzministerium hin.“ Sturm fordert eine umfassende Aufarbeitung: „Wie kann es sein, dass ein solcher Fehler so lange weder im Kultusministerium noch im Finanzministerium auffällt?“
Der CDU-Politiker verlangt eine Taskforce, die nicht nur die Ursachen aufklärt, sondern auch Lösungen entwickelt, um die entstandenen Lücken zu schließen. Besonders wichtig sei die Frage, was mit den eingeplanten Mitteln passiert sei und ob diese unbemerkt an das Finanzministerium zurückgeflossen seien.
FDP spricht von „bildungspolitischem Super-GAU“
Die schärfste Kritik kommt von der FDP. Fraktionsvorsitzender Hans-Ulrich Rülke bezeichnet die Panne als „bildungspolitischen Super-GAU verursacht durch eine grüne Kultusministerin, die ihr eigenes Haus nicht im Griff hat“. Es sei „schlichtweg unglaublich, dass das Kultusministerium bereits zwanzig Jahre lang mit Stellen plant, die gar nicht existieren“.

Rülke wirft der Landesregierung vor, Schüler, Eltern und Schulleitungen mit einer „fiktiven Unterrichtsversorgung“ zu täuschen. Das sei „kein Versehen mehr, sondern das Resultat von systematischer Planlosigkeit und mangelnder Kontrolle durch das grüne Führungspersonal“. Der bildungspolitische Sprecher Dr. Timm Kern fordert eine Entschuldigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei den Lehrkräften: „1.440 Lehrkräfte, die in der Planung auftauchen, aber faktisch nie vorhanden waren, sind keine Petitesse, sondern eine planerische Katastrophe.“
Kultusministerin Theresa Schopper kündigt „Volldampf“-Aufarbeitung an
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) zeigte sich persönlich betroffen von der Panne. „Ich war genauso schockiert und war auch wirklich erschrocken“, sagte sie dem SWR. Sie kündigte eine rasche Aufklärung mit „Volldampf“ an, räumte aber ein, dass die Aufarbeitung nicht so einfach sei wie in der Krimiserie Tatort.
Mit 4.500 Schulen im Land und 130.000 Köpfen, die sich auf 95.000 Stellen verteilten, sei die Situation komplex. Die Ministerin bedauerte: „Natürlich tut es mir leid, dass wir da nicht in die Unterrichtsversorgung schon früher hätten einsteigen können.“ Gleichzeitig stellte sie die Frage, ob man die freien Stellen in der Vergangenheit aufgrund des Bewerbermangels überhaupt hätte besetzen können. „Jetzt haben wir Gott sei Dank auch Leute.“

Der Fehler geht auf das Jahr 2005 zurück, als die Kultusverwaltung das Programm zur Personal- und Stellenverwaltung der Lehrkräfte wechselte. Dieser Fehler blieb über all die Jahre unbemerkt. Die 1.440 freien Stellen sollen nun zügig besetzt werden – sie sollen alle der Unterrichtsversorgung zugutekommen.