„Fleischwolf“ Bachmut: Wie Wagner-Chef Prigoschin Sträflinge an der Front verheizte
Die Schlacht um Bachmut offenbarte das skrupellose Verhalten des ehemaligen Wagner-Chefs Prigoschin. Zehntausende begnadigte Sträflinge nutze er als Kanonenfutter.
Bachmut – Der Kampf um Bachmut war eine der brutalsten Schlachten im Ukraine-Krieg. Jetzt liegen dem unabhängigen russischen Medienunternehmen Media-Zona und der BBC Zahlen vor, wie viele Menschen für Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin dort gestorben sind – und wie viel die Söldnertruppe den Hinterbliebenen an Sterbegeld zahlen sollte.
Die Stadt im Donbass-Gebiet – und der Kampf um sie – wird von Experten unterschiedlich bewertet. Die Gesellschaft für Auswärtige Politik weist darauf hin, dass Bachmut aufgrund seiner starken Befestigungen ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im Donbass gewesen sei. Andere bewerten sie als „strategisch belanglos“, wie das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien. Auch vermuten einige, dass der Gründer der Wagner-Gruppe Jewgeni Prigoschin in Bachmut einfach einen politischen Erfolg erzielen wollte.
Denn Prigoschin strebte zur Zeit des Angriffs auf Bachmut nach mehr Einfluss – ein ehrgeiziges Ziel, das sich für den Kommandanten der Wagner-Gruppe als Schritt in Richtung persönlichem Untergang beweisen sollte. Am Ende war er tot.
In der blutigsten Zeit Bachmuts verlor Wagner-Chef Prigoschin mehr als 200 Mann am Tag
In den blutigsten Tagen verlor die Wagner-Gruppe mehr als 200 Menschen pro Tag. Insgesamt sollen 20.000 Söldner in den Jahren 2022 und 2023 in der Schlacht um Bachmut gefallen sein. 17.000 von ihnen waren laut aufgetauchten Wagner-Dokumenten von Wladimir Putin begnadigte Gefängnis-Insassen. „Prigoschin scherzte nicht, als er Mörder und Räuber in die Söldner-Truppe einlud“, schreibt Media-Zona. „Zwei Drittel der Strafkolonien, in denen wir Rekrutierungen für Wagner festgestellt haben, sind Kolonien mit maximaler Sicherheit.“ In russischen Strafkolonien mit maximaler Sicherheit verbüßen vor allem Mörder, Vergewaltiger und Täter schwerer Raubtaten ihre Strafe.
„Ein weißer Kleinbus fuhr auf das Gelände der Strafkolonie. Aus dem Fahrzeug stiegen acht Personen in Zivil. Vier von ihnen mit Taschen und Rucksäcken blieben in einiger Entfernung stehen, während die anderen vier zu den auf dem Exerzierplatz aufgereihten Sträflingen hinausgingen“, beschreibt ein Gefangener des IK-2 Lagers in Rybinsk seine Begegnung mit Prigoschin im Jahr 2022 gegenüber Media-Zona. Zu diesem Zeitpunkt war es den Wagner-Anhängern bereits gelungen, etwa zwei Dutzend Strafkolonien zu bereisen und Hunderte von Menschen aus ganz Zentralrussland für den Krieg anzuwerben.
Der Deal mit Prigoschin war denkbar einfach: Sechs Monate an der Front. Dafür würden die russischen Behörden das Strafregister löschen und die „Freiwilligen“ begnadigen. Außerdem würde man den Familien im Todesfall oder bei schwerer Verletzung eine Ausgleichszahlung zukommen lassen. Diese Zahlungen würden sich zum Ende der Kämpfe auf 5 Millionen Rubel addieren – 2022 waren das etwa 75.000 Euro.
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Wagner-Rekrutierung: Prigoschin lockte Insassen mit falschen Versprechungen
Wer die Idee zu der Anwerbung der Sträflinge hatte, ist unklar. Die als „Projekt 42174“ benannte Aktion war vielleicht sogar die Idee von Prigoschin selbst. Er verbüßte in den 1980er Jahren wegen Diebstahl und Raubes 13 Jahre im Gefängnis. Bei der Rekrutierung von Insassen für den Beitritt zur Wagner-Gruppe erwähnte er wiederholt seine eigene Gefängniserfahrung. Auf die eine oder andere Weise musste die Aufnahme von Insassen aber unbedingt mit Wladimir Putin abgestimmt werden – nur der russische Präsident hat die Befugnis, Begnadigungsdekrete zu unterzeichnen.
Das Vorgehen war dann denkbar einfach: Anwerber kamen in die Strafkolonien, mit oder ohne Prigoschin. Sie boten dann den Söldner-Deal den Insassen an. Alle, die zustimmten, kamen für angebliche Befragungen zusammen. Bei der Rekrutierung habe man großen Wert darauf gelegt, den Gefangenen klarzumachen, dass sie jetzt vollwertige Wagner-Söldner seien, wie die BBC berichtet. Zum einen, um die Moral der Rekrutierten zu stärken. Zum anderen, um das Image der „knallharten Söldnertruppe“ aufrechtzuerhalten.
Berichte über Wagner-Verluste bei Bachmut – „60 Prozent meiner Leute sind Sturmtruppen“
„60 Prozent meiner Leute sind Sturmtruppen, und sie werden einer von ihnen sein“, behauptete Prigoschin auf dem Exerzierplatz der Strafkolonie IK-6 in Mari El gegenüber Insassen. „Bei ihnen wird es nicht anders sein als bei uns. Sie haben die gleiche, manchmal sogar loyalere Haltung als diejenigen, die seit vielen Jahren an meiner Seite kämpfen und dutzende von Kriegen durchgemacht haben.“ Die Lüge, dass es den kriminellen Wagner-Söldnern in den Kämpfen um Bachmut gleich gut wie anderen Söldnern ergehe, war nötig, um den Ruf der Wagner-Truppe aufrechtzuerhalten.
Nach den Befragungen haben die Rekrutierer die Insassen auf ihre körperliche und geistige Fitness untersucht – angeblich sollten nur wehrtaugliche Männer ausgesucht werden. Tatsächlich liegen Media-Zona und der BBC aber Unterlagen vor, die das Gegenteil beweisen. Häftlinge mit HIV, AIDS und Hepatitis seien für den Krieg verpflichtet worden. Aus ihnen machte man eine separate Truppe namens „Umbrella“. Der Name spielt auf die Resident-Evil-Spiele und Filme an. In ihnen existiert eine Firma mit dem Namen Umbrella, welche biologische Waffen herstellte.
Angehörige der verstorbenen Insassen wissen oft nicht, was mit ihnen passiert ist
Angehörige der 17.000 toten Gefängnis-Söldner wissen in der Regel fast nichts über deren Verbleib. Wie die BBC berichtet, waren die Kontakte meist knapp: Häufig rief ein geliebter inhaftierter Mensch die Familie an und sagte, dass er die Kolonie mit Wagner verlassen würde. Wenn die Angehörigen Glück hatten, kam noch ein Anruf aus dem Trainingslager, bevor es an die Front ging. Dann überwiegend eine Todesnachricht von Wagner-Vertretern. Häufig versuchten die Verwandten nach dem Tod ihres Familienmitglieds dann in Telegram-Chats Kameraden des Toten zu finden – um mehr über deren Verbleib zu erfahren. Oder um herauszufinden, wie der Sohn, Bruder und Vater gestorben sind.
Prigoschin scheute nicht davor, seine Gefängnis-Söldner in Bachmut vor allem für Selbstmordkommandos zu nutzen. Die Grundlage der Wagner-Taktik war der wellenartige Angriff in kleinen Gruppen. An der Spitze der Attacke die ehemaligen Insassen. „Abteilungen aus Gefangenen wurden zunächst zu ukrainischen Stellungen geschickt. Sie griffen an und veranlassten die ukrainischen Streitkräfte, das Feuer zu erwidern“, erklärt der britische Militärexperte Samuel Cranny-Evans gegenüber der BBC. Die erste Welle aus Insassen überlebte so gut wie nie.
Der Einsatz von Gefangenen diente einzig und allein dem Erhalt des kompetenten Kerns ehemaliger Militärangehöriger, die für Wagner kämpfen, sagt Cranny-Evans. „Diese Taktik der Wagner-Gruppe führte zu zwei Ergebnissen: Erstens haben sie die Stärke des ukrainischen Militärs geschwächt, und zweitens haben sie die ukrainischen Streitkräfte gezwungen, mehr Geld für Munition auszugeben – die immer nicht ausreicht.“

Ukrainische Streitkräfte erschrocken und zeitgleich erstaunt über Prigoschins Manöver
„Russische Angriffsgruppen ziehen sich nicht ohne Befehl zurück. Der unbefugte Rückzug einer Abteilung oder der Rückzug ohne Verletzung wird mit Hinrichtung auf der Stelle geahndet“, heißt es in einem ukrainischen Geheimdienstbericht vom Dezember 2022, den CNN einsehen konnte.
„Ich werde ehrlich sein: Das war genial. Eine grausame, unmoralische, aber wirklich wirksame Taktik. Es hat funktioniert“, sagte ein ukrainische Militärangehöriger gegenüber der BBC. Er verteidigte Bachmut während der Schlacht um die Stadt und berichtete der britischen Rundfunkanstalt seine Erfahrungen mit Wellenangriffen von Wagner-Gefangenen.
Nächstes Ziel nach der Einnahme Bachmuts war dann Tschassiw Jar in der Nähe Bachmuts. In der Stadt kämpfen ukrainische und russische Truppen seit dem 4. April 2024 um die Kontrolle. Bei einem Sieg Russlands, könnte Putin von dort aus in der Lage sein, die wichtigsten Logistikzentren der ukrainischen Verteidigung im Donbass zu attackieren.