Erster formeller Schritt zur Bundestagswahl: Scholz reicht Vertrauensfrage ein

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Heute reicht Bundeskanzler Olaf Scholz einen entsprechenden Antrag für die Vertrauensfrage ein – mit dem Ziel, am Ende zu scheitern.

Berlin – Es ist der erste formelle Schritt auf dem Weg zur vorgezogenen Bundestagswahl: Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird heute unter Berufung auf Artikel 68 des Grundgesetzes bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) beantragen, dass das Parlament ihm das Vertrauen ausspricht. Sein Ziel ist aber, dass die Abgeordneten bei der Abstimmung am Montag genau das Gegenteil tun.

Klingt absurd, was soll das? Scholz will nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Christian Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition erreichen, dass der Bundestag etwa sieben Monate früher als ursprünglich geplant neu gewählt wird – am 23. Februar. Derzeit führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Bundestag keine Mehrheit mehr hat und deswegen ohne Unterstützung aus der Opposition nichts mehr durchsetzen kann. Ein Scheitern bei der Vertrauensfrage ist für den Kanzler eine Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen.

Vertrauensfrage vor Bundestagswahl: Kanzler Scholz reicht jetzt Antrag ein – wann stimmt Bundestag ab?

Der Bundestag wird am kommenden Montag über den Antrag abstimmen. Scholz wird den Abgeordneten seine Gründe für die Vertrauensfrage in einer Rede erläutern. Anschließend wird es eine etwa 90-minütige Aussprache geben. Danach entscheidet der Bundestag voraussichtlich in namentlicher Abstimmung. Das bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten mit etwas Verzögerung veröffentlicht wird. Es kann sich also kein Parlamentarier anonym für oder gegen Scholz aussprechen.

Olaf Scholz beantragt am Mittwoch die Vertrauensfrage, die er am Montag (16. Dezember) im Bundestag stellen will.
Olaf Scholz beantragt am Mittwoch die Vertrauensfrage, die er am Montag (16. Dezember) im Bundestag stellen will. © Christoph Reichwein / dpa

Dabei ist es ziemlich sicher, dass Scholz bei der Vertrauensfrage keine Mehrheit bekommt. Auch wenn es einen Unsicherheitsfaktor gibt. Dem Bundestag gehören 733 Abgeordnete an. Um das Vertrauen des Parlaments zu bekommen, müsste Scholz 367 Stimmen erhalten – die absolute Mehrheit aller Parlamentarier, auch „Kanzlermehrheit“ genannt. Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Die Grünen, der noch in der Regierung verbliebene Juniorpartner der SPD, haben sich noch nicht entschieden. Ihre Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann hatte zwar kurz nach dem Ampel-Aus verkündet, dass die Grünen ebenfalls für Scholz stimmen würden. Inzwischen ist aber auch eine Enthaltung im Gespräch.

Erster Schritt für die Bundestagswahl: Vertrauensfrage kommt im Bundestag an – Wie entscheiden die Grünen?

Warum schwanken die Grünen noch bei der Vertrauensfrage? Das liegt an der AfD. Sollten SPD und Grüne geschlossen für Scholz stimmen, wären das zusammen schon 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Die AfD hat 76 Abgeordnete und könnte theoretisch Scholz zu einer Mehrheit verhelfen. Das wäre zwar irrational, weil die Partei die rot-grüne Minderheitsregierung ja eigentlich loswerden will. Aber mit Jürgen Pohl hat schon ein AfD-Abgeordneter angekündigt, für Scholz stimmen zu wollen, weil er für ihn verglichen mit dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz das kleinere Übel sei. Es ist also gut möglich, dass die Grünen auf Nummer sicher gehen und mit der SPD vereinbaren, dass sie sich enthalten.

AfD-Chef Tino Chrupalla sieht indes keinen Widerspruch darin, dass manche Abgeordnete seiner Partei Scholz das Vertrauen aussprechen könnten. Es gebe keinen Fraktionszwang, es sei eine „Gewissensfrage“ der einzelnen Abgeordneten, betonte der AfD-Fraktionsvorsitzende im rbb-Inforadio.

„Aber ich denke, dass zu sehr großen Teilen der Fraktion Herrn Scholz nicht das Vertrauen ausgesprochen wird“, sagte Chrupalla weiter. Dass Friedrich Merz als Bundeskanzler das „schlimmere Übel“ gegenüber Olaf Scholz sei, vor allem mit Blick auf die Taurus-Lieferungen an die Ukraine, sei kein abwegiges Argument, betonte Chrupalla. „Wir wollen natürlich auch verhindern, dass ein Friedrich Merz relativ schnell ein Bundeskanzler wird“, sagte er weiter.

Olaf Scholz verliert Vertrauensfrage: Wie geht es weiter?

Wenn Olaf Scholz die Vertrauensfrage verliert, wird er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen, wozu der dann drei Wochen Zeit hat, also bis zum 6. Januar. Wenn Steinmeier sich dafür entscheidet, muss die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen stattfinden.

Steinmeier kann aber auch theoretisch anders entscheiden. Denn in Artikel 68 steht nur, dass der Bundespräsident den Bundestag auflösen kann – nicht, dass er ihn auflösen muss. Dass Steinmeier die Auflösung verweigert, ist aber praktisch ausgeschlossen. Er hat bereits wissen lassen, dass er den angestrebten Neuwahltermin am 23. Februar für realistisch hält. Und er hat erklärt, nach welchem Maßstab er entscheiden werde: „Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung.“ Dies ist seit dem Ampel-Crash am 6. November nicht mehr gegeben.

Bundestagswahl im März: Scholz reicht Vertrauensfrage ein – Bleibt Bundestag verhandlungsfähig?

„Der ‚alte‘ Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen“, heißt es in einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Das Parlament kann jederzeit wieder zusammentreten, es kann weiter Gesetze beschließen, auch seine Gremien wie Untersuchungsausschüsse bestehen bis zum Ende der Wahlperiode fort. Dieses Ende ist mit dem ersten Zusammentreten des neu gewählten Bundestages erreicht.

Auch die Bundesregierung ist weiterhin im Amt – und zwar im vollen Umfang und nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestages endet laut Artikel 69 des Grundgesetzes das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Sie bekommen dann vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunden überreicht.

Der neue Bundestag tritt nach Artikel 39 Grundgesetz spätestens am 30. Tag nach seiner Wahl zusammen. Wegen der sich oft in die Länge ziehenden Koalitionsverhandlungen ist es üblich, dass die neue Regierung zu diesem Zeitpunkt noch nicht steht. Dann kann der Bundespräsident den Kanzler ersuchen, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. Dazu ist dieser dann verpflichtet. Gleiches gilt für Ministerinnen und Minister. (bb/dpa)

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