In guten Monaten verdient Karina Kipp ein Gehalt im Gegenwert eines Kleinwagens. In schlechten Monaten wie eine Minijobberin. Genauer will die gebürtige Lettin in der WDR-Reportreihe „Wer kann das bezahlen?“ ihren Verdienst nicht beziffern. Doch eins ist ihr wichtig: Dass sie hart arbeitet für ihr Geld.
Karina Kipp ist Influencerin, eine von knapp 590 000 in Deutschland. Auf TikTok oder Instagram schauen fast Millionen Menschen zu, wenn „Karina2you“ abgedrehte Fashion- oder Kosmetiktrends parodiert.
Jeden Tag Content entwickeln, drehen und schneiden – das bedeutet für die dreifache Mutter ein 12-Stunden-Tag mit dem Handy als Arbeitsplatz. Drei von vier Influencern können allerdings nicht von ihrem Job leben.
Tabuthema Geld: Wer verdient, was er verdient?
Wer verdient wie viel in Deutschland – und wer verdient tatsächlich auch das, was er verdient? Für die Folge „Arbeit! Was wir verdienen“ innerhalb der WDR-Reihe „Wer kann das bezahlen?“ (abrufbar in der ARD-Mediathek) spricht WDR-Journalistin Anna Planken mit Menschen über das Thema, bei dem in Deutschland lieber beredt geschwiegen wird.
Dabei gehört dieses Thema dringend auf den Tisch. Denn unser Einkommen ist nicht nur privat. Es geht dabei immer auch um Einkommenssteuer, um Sozialabgaben. Darum, wie sich der Staat finanziert – und wie viel Geld er einfach liegen lässt, als habe er es nicht nötig. Nach dieser Folge „Wer kann das bezahlen?“ fragt man sich, wie lange sich der deutsche Staat derlei finanzielle Fahrlässigkeit noch leisten will. Oder kann.
Bei dem Millionär macht jetzt das Geld die Arbeit
Da ist beispielsweise Josef Rick, ein Mehrfachmillionär aus der Immobilienbranche. Sein Arbeitsalltag so aus: „Ich schiebe das Geld von links nach rechts.“ Oder anders gesagt: „Ich verdiene mein Geld damit, dass mein Geld Geld verdient.“ Klingt schon ganz anders als 12 Stunden pro Tag Content kreieren.
Ricks wundersame Kreislaufwirtschaft wird vom Staat subventioniert: Er kauft gebrauchte Immobilien, renoviert sie teuer, setzt die Investitionen als Werbungskosten ab und verkauft die Immobilie dann nach zehn Jahren und einem Tag.
Denn nach diesem Zeitraum will der Staat allen Ernstes nicht mehr beteiligt werden an dem von ihm ermöglichten Gewinn. Aus Sicht der Immobilienentwickler, so Rick, sind Aktionäre dumme Leute. Weil sie sich vom Staat 25 Prozent auf den Aktiengewinn wieder abnehmen lassen.
Was wäre, wenn die Reichen die Hauptlast tragen?
Als Beleg zeigt Josef Rick seinen Steuerbescheid aus dem Jahr 1998: Sein Jahresverdienst lag bei über einer Million Mark – und trotzdem zahlte er keine Steuern. Was Rick übrigens selbst als ungerecht empfindet.
Weshalb sich der Millionär bei „Tax me now“ engagiert, einer Initiative für mehr Steuergerechtigkeit. Sein Vorschlag: Die gesellschaftlichen Kosten sollten vorwiegend getragen werden von den oberen zehn Prozent. Das, glaubt der Immobilienmann, würde die Gesellschaftsschichten endlich wieder miteinander versöhnen.
33 Prozent Einkommenssteuer für Reiche – ohne die Möglichkeit von Steuerschlupflöchern – sei absolut tragbar, findet er. Aber nur, wenn damit die echten Leistungsträger dieser Gesellschaft entlastet würden. Handwerker zum Beispiel. Also diejenigen, die seine Immobilien aktuell renovieren.
Die angeblich perfekte Lösung: Den Lohn gibt’s bar auf die Hand
Dass es Exitstrategien aus der Solidargemeinschaft gibt, die sich nur Superreiche leisten können, ist ärgerlich. Denn derlei Zweiklassen-Besteuerung ist schlicht nicht mehr zeitgemäß.
Doch auch an einer anderen Front verzichtet das Finanzamt auf jede Menge Geld: Auf 766 Millionen Euro lässt sich der finanzielle Schaden durch Schwarzarbeit im Jahr 2024 beziffern. Geld, das offiziell nie verdient wurde. Und dadurch nicht nur dem Steuersäckel, sondern auch den Sozialkassen fehlt.
Die WDR-Redaktion holt einen Mann vor die Kamera, der seit zehn Monaten Pakete von A nach B fährt. Sein Auftraggeber sei ein Subunternehmer eines großen deutschen Finanzkonzerns, sagt er. Seinen Lohn erhält er bar auf die Hand und damit am Finanzamt vorbei. Was er prinzipiell zwar moralisch fragwürdig findet, aber in seiner aktuellen Situation „einfach perfekt“ sei für ihn. Brutto gleich netto: Für wen wäre das nicht eine perfekte Lösung?
Den Schwarzarbeiter vor der Kamera hofiert
Planken führt das Interview im leicht amüsierten Ton und freundlichem Lächeln. Und das weist auf ein ganz eklatantes Problem hin: Schwarzarbeit scheint immer noch eine Art Kavaliersdelikt zu sein.
Sich am Finanzamt vorbeizudrücken, gilt immer noch als smarte Strategie. Und nicht als Diebstahl an der Allgemeinheit, als Betrug am Sozialstaat. Denn für jeden Euro, der nicht versteuert und für den keine Sozialabgaben gezahlt werden, muss letztendlich derjenige blechen, der nicht so „smart“ ist. Und immer noch an seine Bürgerpflichten glaubt.
Josef Rick ist es ein Rätsel, warum sich so viele Menschen das aktuelle Steuersystem immer noch gefallen lassen. Doch was wäre die Alternative? Aus Protest zum Schwarzarbeiter werden? Die Linken wählen?
Auf Demos vor dem Bundestag mit Schildchen wedeln? Gefordert ist ein Staat, der sich endlich nach jedem Cent bückt, den er derzeit noch auf der Straße liegen lässt. Anstatt weiter die Mittelschicht für seine Nachlässigkeiten buckeln zu lassen.