Mit neuem General: Ändert sich jetzt der Ton der SPD gegenüber der Union?
Auf Kevin Kühnert folgt mit Matthias Miersch ein weiterer Niedersachse auf einen Spitzenjob – und erneut ein Vertreter des linken Flügels. Was heißt das für den Wahlkampf im nächsten Jahr?
München – Als Matthias Miersch sein Statement beendet, geschieht etwas, das auf Pressekonferenzen höchst selten ist. Beifall erhebt sich. Nicht unter den Journalisten, sondern bei den Mitarbeitern im Willy-Brandt-Haus, die sich auf den verschiedenen Stockwerken mit Blick ins Atrium versammelt haben. „Ich werde alles geben“, hat der neue Generalsekretär mit Blick zu ihnen versprochen. Etwas, wozu sein Vorgänger Kevin Kühnert keine Kraft mehr hatte.

Kühnert-Nachfolge geklärt: SPD-General Miersch stellt sich „verdammt großer Verantwortung“
Es sind aufwühlende Tage für die Genossen. Kühnerts Abgang hat viele schockiert. Miersch ist nun der Neue und in gewisser Weise das Gegenmodell zu Kühnert: Der Vorgänger hatte schon als Juso-Vorsitzender das Rampenlicht gesucht, keine Talkshow ausgelassen. Miersch dagegen sitzt seit 19 Jahren im Bundestag, dürfte aber vielen Wählern noch unbekannt sein. Am Wochenende hatten ihn die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken gefragt, ob er sich das Amt vorstellen könne. Der 55-Jährige überlegte. Sagte dann zu. Aber jetzt, „nach zweimal schlafen“, stelle er fest: „Das ist ne verdammt große Verantwortung.“
Wer ist dieser Mann, der die Partei künftig organisieren soll? Wie Kühnert kommt er vom linken Parteiflügel. In der Fraktion kümmerte er sich vor allem um die Themen Energie und Umwelt. Und sein erster Auftritt am Dienstagmittag macht deutlich, dass er seine Überzeugungen im neuen Amt nicht aufgeben will. „Olaf Scholz wird sich auf mich hundertprozentig verlassen können“, betont der Bundestagsabgeordnete aus Hannover. Aber: „Ich werde nicht bequem und ein einfacher Ja-Sager sein.“
Matthias Miersch: Wie viel linkes Profil kann sich der neue SPD-General bewahren?
Die Liste der Themen, bei denen Miersch von der Kanzlerlinie abweicht, ist lang. Vom Industriestrompreis bis zur Stationierung von Atomwaffen in Deutschland. Schon bei der Einführung der Schuldenbremse stimmte er gegen seine Partei, heute wirbt er für die Abschaffung. „Wenn wir Infrastruktur der Zukunft gestalten wollen, brauchen wir einen starken, einen handlungsfähigen Staat, der investiert.“ Man darf gespannt sein, wie viel linkes Profil Miersch sich in seiner neuen Position bewahren kann. Kühnert, der 2019 noch davon geträumt hatte, BMW zu kollektivieren, hatte sich im Amt von solchen Positionen verabschiedet.
Die Personalie Miersch ist jedenfalls eng mit dem Kanzler abgesprochen. „Wichtig ist für uns gewesen, eine Person zu finden, die sofort einsatzfähig ist“, sagt Klingbeil, der wie Miersch aus Niedersachsen kommt. Man kann den Genossen nicht vorwerfen, ihre Posten nach Regionalproporz zu besetzen. Während man Bayern in den Führungszirkeln vergeblich sucht, stammen auch Hubertus Heil und Boris Pistorius aus Niedersachsen. Die Dominanz hat Tradition: Früher hießen die prominentesten Figuren Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel.
Der nächste Niedersachse in der SPD – das verbindet Miersch mit Schröder und Gabriel
Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass sich um diese beiden zwei Geschichten ranken, die Miersch Schlagzeilen bescherten. Die Episode mit Gabriel stammt von 2019, als sich die beiden vor Reportern wegen des Kohleausstiegs fetzten. Immer wieder widersprach Umweltpolitiker Miersch dem ehemaligen Wirtschaftsminister Gabriel öffentlich. „Ich glaube, ich könnte heute noch leidenschaftlich mit ihm streiten“, sagt er. Für ihn ist klar, dass Umwelt- und Wirtschaftspolitik zusammengehören. „Die SPD ist die Kraft, die sagt, dass Ökologie, wirtschaftliche Vernunft und sozialer Zusammenhalt zusammen gedacht werden müssen.“
Meine news
Die Schröder-Episode liegt kürzer zurück und brachte Miersch einigen Ärger ein. Der Alt-Kanzler ist in seiner Partei wegen seiner Putin-Nähe in Ungnade gefallen. Miersch aber ehrte ihn als Bezirksvorsitzender im vergangenen Jahr für 60 Jahre Parteimitgliedschaft. In einer Stellungnahme verteidigte er sein Vorgehen und würdigte die Verdienste von Schröder als Kanzler. Kurios: Die Agenda 2010 erwähnte der Parteilinke nicht. Gestern stellt Miersch noch einmal klar, dass er die Position Schröders zu Russland in keiner Weise teile. Aber er findet es wichtig, auch andere Meinungen zu erlauben: „Diese Partei muss auch miteinander ringen und streiten. Es wäre völlig falsch, wenn wir hier alle stromlinienförmig auftreten.“
Experte für Wirtschaft und Klimaschutz – SPD geht mit Miersch in den Wahlkampf
Der 55-Jährige war schon länger für höhere Ämter gehandelt worden – auch als Fraktionschef. Dies scheiterte dann am eher konservativen Seeheimer Kreis. Seit 1990 ist er in der Partei, seit 2005 sitzt er im Parlament. Wie Kühnert ist er schwul, sein Mann stammt aus Oberbayern. Miersch sei ein „absoluter Experte in den wahlentscheidenden Themen: Wirtschaft, Arbeitsplätze und Klimaschutz“, findet der Münchner Abgeordnete Sebastian Roloff. „Das gepaart mit seiner guten Vernetzung in die Partei, seinen Fähigkeiten als Redner und seiner Erfahrung in der Organisation machen ihn zu einer sehr guten Besetzung. Er wird einen starken Wahlkampf für die SPD organisieren.“ Am Wochenende trifft sich die SPD zur Vorstandsklausur. Es geht um Strategie und Inhalte für den Wahlkampf. Der neue Generalsekretär hat gleich einen Haufen Arbeit.
Miersch auf Konfrontationskurs: „Merz-CDU verkörpert alles, wofür ich nicht stehe“
Klar scheint, dass mit Miersch ein härterer Ton gegenüber der Union ins Willy-Brandt-Haus einzieht. „Diese Merz-CDU verkörpert alles, wofür ich nicht stehe.“ Neulich habe Friedrich Merz für mehr Respekt gegenüber Besserverdienenden geworben, echauffiert sich der neue Generalsekretär. Man darf gespannt sein, wie das in die Koalitionsplanungen nach der Wahl passt. Nicht nur CSU-Chef Markus Söder rechnet fest mit einer Koalition aus Union und SPD. Miersch dagegen klingt ganz wie der alte Kühnert. Dessen Motto als Juso-Vorsitzender lautete: „Nie wieder GroKo!“
Miersch selbst hatte im Jahr 2017 übrigens eine ganz andere Idee. Er dachte laut über eine „Kooperationsvereinbarung“ statt eines Koalitionsvertrags nach. Sprich: von Vereinbarungen zwischen Parteien in Kernfragen wie Europa- und Haushaltspolitik. Dann könne man gemeinsam ein Kabinett bilden, müsse aber nicht immer starr gemeinsam abstimmen. Er nannte das einen „vierten Weg“. Was wohl der vom ewigen Ampel-Streit genervte Bundeskanzler davon hält?