Als die Menschen in Orten wie Kfar Aza, Be’eri und Nir Oz heute vor einem Jahr aufwachten, hatte die Hölle sie längst eingeschlossen. Terroristen der Hamas und des Islamischen Djihad waren in den frühen Morgenstunden über den Süden Israels hergefallen und ergötzten sich an einem Gewalt-Exzess, der fast einen Tag andauern sollte.
Sie verstümmelten Eltern vor den Augen ihrer Kinder, zwangen Väter und Mütter dazu, hilflos die Ermordung ihrer Babys anzusehen, streamten ihr Morden – und noch Schlimmeres – live über die Facebook-Accounts der Getöteten. Dann bedienten sie sich, kurze Pause vom Blutbad, am Kühlschrank der Überfallenen. Sofern sie die Häuser nicht schon in Brand gesetzt hatten, die Schreie der Verbrennenden genossen oder die fliehenden Bewohner erschossen. Sie schändeten Leichen, brachten Sprengfallen an den leblosen Körpern an, entführten sogar Kleinkinder.
Es ist menschlich, sich dieser Realität entziehen zu wollen. Sie ist unerträglich in ihrer Grausamkeit, von den Tätern über Body-Cams festgehalten oder triumphierend nach Hause gemeldet: „Vater, ich rufe Dich vom Handy einer Jüdin an. Ich habe ihren Mann und sie umgebracht. Ich habe zehn getötet. Mit meinen eigenen Händen. Zehn! Dein Sohn ist ein Held.“ Antwort: „Möge Gott Dich schützen.“
Ein Staat, der seine Feinde nicht abschreckt, ist bald kein Staat mehr
Es ist ebenso menschlich, bei den Bildern der Opfer und der Zerstörung in Gaza und im Libanon Mitleid zu empfinden. „Die armen Kinder”, sagte der Bruder einer von der Hamas ermordeten Studentin zu mir, als wir im Juli in Kfar Aza die Schusswechsel aus Gaza hörten. Wie die meisten Israelis wünscht er sich, der Krieg möge enden. Doch in Israel wissen selbst die schärfsten Kritiker von Benjamin Netanjahu und seiner Extremisten-Koalition: Ein Staat, der seine Feinde nicht abschreckt, ist bald kein Staat mehr.
Israel muss sich militärisch verteidigen. Besiegen wird es – trotz aller Geheimdienst-Erfolge der letzten Wochen – den Terror nicht. Ein echter Sieg wäre nur, wenn die Palästinenser endlich den Staat Israel anerkennen würden.
Der Glaube daran, an ein friedliches Mit- oder zumindest Nebeneinander, wurde am 7. Oktober vernichtet, für sehr lange Zeit.
Damit ist das Kalkül der Hamas voll aufgegangen: das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust zu verüben und fast zeitgleich, weltweit, den Hass auf Juden zu schüren. Die jungen Besucher des Nova-Festivals, so das vielstimmige Urteil auf Social Media, hätten eben nicht auf „besetztem Land” tanzen sollen. Selbst schuld, wer da vergewaltigt, abgeschlachtet oder entführt wurde. Und schnell noch drei Wassermelonen-Emojis hinterher gepostet.
Egal, dass es kein besetztes Land war. Egal, dass die UN versagt und die EU weggeschaut hat, als Hilfsgelder in die Terror-Tunnel flossen. Egal, dass Hamas die Zivilisten in Gaza bewusst für die antisemitische Sache opfert. Egal, dass Israel Entscheidungen über Leben und Tod treffen muss, die Deutschland – hoffentlich – für immer erspart bleiben.
Wir haben den Luxus, dass der 7. Oktober für uns ein Jahr her ist.
Für Israel dauert er an.
Dieser Text stammt aus dem neuen Morgennewsletter FOCUS Briefing, Sie können ihn hier abonnieren.