Wahlkampf in Indonesien: Die „letzte Schlacht der Titanen“ beginnt
Im kommenden Jahr wählt Indonesien einen neuen Präsidenten, jetzt beginnt der Wahlkampf. Es könnte ein letztes Aufbäumen der alten Eliten werden.
Wie sich Dinge doch ändern können. Ende der 1990-er Jahre, als das Regime von Indonesiens Langzeitdiktator Suharto in den letzten Zügen lag, ließ Prabowo Subianto, Suhartos Schwiegersohn und damals hochrangiger General, Jagd auf Demokratieaktivisten machen. Menschenrechtler warfen ihm und seinen Truppen Folter, Entführung und Mord vor, die USA verweigerten ihm jahrelang die Einreise. Heute ist Prabowo ein Star auf TikTok, seine kurzen Videos werden Hunderttausende Male geklickt. Meist sieht man den 72-Jährigen beim Tanzen, wie er etwas ungelenk vor seinen Anhängern steht und hüftsteif zur Musik wackelt. „Happy Dance“ nennt er das, und weil Indonesiens Bevölkerung sehr jung ist und die Erinnerung an den blutigen Übergang von der Diktatur zur Demokratie langsam schwindet, könnte sich der einstige Militär trotz dunkler Vergangenheit im kommenden Jahr ins Präsidentenamt tanzen.
Indonesien ist ein Land der Superlative: Mit mehr als 17.000 Inseln ist es der größte Inselstaat der Welt, mit fast 280 Millionen Menschen das Land mit der viertgrößten Bevölkerung und mit den meisten Muslimen. Rund 205 Millionen Menschen stimmen Mitte Februar kommenden Jahres über einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament ab. Es werden die größten demokratischen Wahlen der Welt, die an einem einzigen Tag stattfinden. In Indien, der weltgrößten Demokratie, dauern Wahlen für gewöhnlich mehrere Wochen.
Wahlkampf in Indonesien: Präsident Joko Widodo mischt weiter mit
Diese Woche begann der Wahlkampf. Prabowo Subianto, der tanzende Ex-General, geht als Favorit ins Rennen, sein Team ließ am Dienstag in neun Städten kostenlose Mahlzeiten an Schulen verteilen. Prabowo führt in allen Umfragen mit rund 40 Prozent. Auch eine mögliche Stichwahl, die für Ende Juni angesetzt ist, dürfte er für sich entscheiden. Bereits 2009 wollte er Vizepräsident werden, später dann zweimal Präsident. Beide Male unterlag er Joko Widodo, dem beim Volk beliebten derzeitigen Amtsinhaber. Widodo war der erste Präsident seit Indonesiens demokratischer Revolution im Jahr 1998, der ganz ohne die alten Eliten regieren wollte; schnell aber musste er einsehen, dass das ein aussichtsloses Unterfangen ist. Also band er die Eliten ein; seinen erbitterten Rivalen Prabowo machte er schließlich zum Verteidigungsminister.
Beobachter gehen daher davon aus, dass Prabowo, sollte er im kommenden Jahr Präsident werden, Widodos Politik fortsetzen wird. Widodo dürfte ihn sogar unterstützen, denn ganz aus der Politik will er sich nicht zurückziehen – nachdem sein Versuch, die Verfassung zu ändern, um für eine dritte Amtszeit kandidieren zu können, gescheitert war. Es sei seine „moralische Verpflichtung“, den Übergang im kommenden Jahr zu begleiten, um Schaden von der Nation abzuwenden, so Widodo.
So oder so dürfte die Macht in der Familie bleiben, zumindest ein bisschen: Prabowo machte unlängst Widodos Sohn Gibran Rakabuming Raka zu seinem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Zuvor hatte das Oberste Gericht des Landes extra dafür die Verfassung geändert, denn eigentlich ist der 36-jährige Raka zu jung für das Amt. Besonders pikant daran: Widodos Schwiegervater saß dem Gericht vor, als die Entscheidung fiel.
Indonesien an der „Schwelle zu einem bevorstehenden Generationswechsel“
Wichtigster Herausforderer von Prabowo ist Ganjar Pranowo (55), ehemaliger Provinzgouverneur von Zentral-Java und eigentlich Kandidat von Widodos Regierungspartei. Dessen Versuche, sich eine dritte Amtszeit zu sichern, hatte Ganjar empört als undemokratisch zurückgewiesen. Auch er aber will Widodos Politik weitgehend fortführen. Den Wahlkampf begann er in Süd-Papua, der ärmsten Provinz Indonesiens, wo er sich am Dienstag Beschwerden von Bürgern über eine schlechte Gesundheitsversorgung und kaputte Straßen anhörte. Anies Baswedan (54), der dritte und Umfragen zufolge chancenlose Kandidat, machte in einem Slum der Hauptstadt Jakarta Wahlkampf, deren Gouverneur er einst war. Anies umwarb früher religiöse Hardliner, heute verspricht er den gemäßigten Muslimen „perubahan“ – einen Wandel. Die Armen müssten reicher werden, ohne dass die Reichen ärmer würden, sagt er.
Im Zentrum des indonesischen Wahlkampfs stehen Themen wie die hohe Arbeitslosigkeit, die noch immer weit verbreitete Armut und der Ausbau der Infrastruktur. Auch geht es um die Frage, ob sich das Land künftig mehr in Richtung China oder USA orientieren soll. Die Volksrepublik ist der größte Handelspartner von Indonesien; immer wieder aber kommt es im Südchinesischen Meer zu Zusammenstößen zwischen Marineschiffen beider Länder.
Für Sana Jaffrey von der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace geht es aber auch darum, welchen Einfluss die alten Eliten in Zukunft in Indonesien haben werden. Die Wahl bringe das Land an die „Schwelle zu einem bevorstehenden Generationswechsel“ und sei womöglich „die letzte Schlacht der Titanen“, also der alten Männer, die das Schicksal des Landes über Jahrzehnte bestimmten. Dass sich allzu viel ändert im Land, bezweifelt die Indonesien-Expertin aber: „Die Taktiken, mit denen die Politik in der drittgrößten Demokratie der Welt in den letzten zwei Jahrzehnten dominiert wurde, könnten die ursprünglichen Taktiker überdauern.“