Ilse Aigner über Merz-Wahldebakel: „Das sind Handlanger der AfD“
Die Präsidentin des bayerischen Landtags, Ilse Aigner, war am Dienstag in Berlin zugegen, als der neue Bundeskanzler Friedrich Merz erst im zweiten Wahlgang erfolgreich war.
Berlin – Der Tag der Wahl des Bundeskanzlers ist eigentlich ein Festakt für die Demokratie – Friedrich Merz ist erst der zehnte Kanzler in der Geschichte. Aus der ganzen Republik waren sie in den Bundestag gekommen, um live dabei zu sein. Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) saß auf der Tribüne in der ersten Reihe – gleich neben Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, unter der Aigner als Ministerin in Berlin gearbeitet hatte. Dann fiel Merz durch. Ein Gespräch.
Frau Aigner, ganz ehrlich: Hätten Sie ein Scheitern im ersten Wahlgang für möglich gehalten?
Niemals! Ich war auch ehrlich entsetzt. Es gab lange und intensive Verhandlungen über diesen Koalitionsvertrag, der am Ende wirklich gut geworden ist. Die Signalwirkung nach außen war klar: Wir wagen einen echten Neustart. Und es steht auch vieles drin, mit dem die SPD als Juniorpartner zufrieden sein müsste.
Wie war der Moment, als das Ergebnis verkündet wurde?
Es hat keiner auf der Tribüne richtig fassen können.
Ilse Aigner über Ergebnis-Verkündung: „Wir waren alle entsetzt“
Sie saßen ja gleich neben Angela Merkel.
Ja, wir hatten uns vorher schon unterhalten. Rita Süssmuth war da, auch mein Nach-Nachfolger als Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Wir waren alle entsetzt darüber, dass es Abgeordnete gibt, die offenbar gar nicht wissen, was sie damit anrichten. Wer auch immer mit Nein gestimmt hat, hat sich zum Handlanger der AfD gemacht . . .
... die frohlockt und Neuwahlen fordert.
Die wird es aber nicht geben.
Ist das eine Staatskrise?
Nein, man kann das schon noch heilen. Aber so ein Verhalten am Beginn einer neuen Koalition ist einfach völlig verantwortungslos. Offenbar haben einige da die Lage nicht verstanden, in der sich Deutschland und Europa befinden. Es ist schlicht nicht die Zeit, um solche Denkzettel zu verteilen. Es geht jetzt nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um Verantwortung fürs Land!
Ilse Aigner im Interview: „Vermute, dass es ihn schon sehr getroffen hat“
Hätte man die Abstimmung besser vorbereiten müssen?
Nein, es gibt überall Zählappelle. Aber Sie können als Fraktionsführung vorher nicht verhindern, dass jemand in geheimer Abstimmung seine Stimme anders abgibt.
Sie kennen Friedrich Merz gut, sind seit vielen Jahren befreundet. Was macht das mit ihm?
Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen. Ich vermute, dass das für ihn – wie für uns alle – unerwartet kam und ihn schon sehr getroffen hat.
Wie groß ist der Schaden für ihn?
Das ist nichts, was sich nicht reparieren lässt. Gott sei Dank haben im zweiten Wahlgang dann fast alle Abgeordneten ihre Spielchen beendet. Jetzt kann Friedrich Merz als Kanzler alle Skeptiker überzeugen.
Aigner über Abweichler bei Merz-Wahl: „Wird schwierig herauszufinden, wer es war“
Aber das Bild Deutschlands in Europa nimmt Schaden.
Ich glaube, dass es in den anderen Hauptstädten große Fragezeichen gibt. Deutschland braucht dringend eine neue Regierung. Die außenpolitische Lage ist so schwierig, wie lange nicht. Aber auch unser Land wartet auf wirtschaftliche Reformen.
Aus der SPD heißt es, man habe geschlossen für Merz gestimmt. Legen Sie ihre Hand für jeden CSUler ins Feuer?
Auf jeden Fall! Und eigentlich auch für alle Abgeordneten aus der CDU. Aber es wird schwierig herauszufinden sein, wer es war.
Der erste Arbeitstag des Kanzlers
Der Start war denkbar holprig, aber jetzt will die Regierung rasch losregieren. Gleich am ersten Arbeitstag will Merz heute seine Antrittsbesuche in den Nachbarländern Frankreich und Polen absolvieren. Warschau ist alles andere als begeistert von den deutschen Plänen zur Kontrolle der Grenzen. Das dürfte Thema beim Treffen von Merz mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk sein. Zumal der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) bereits angekündigt hat, die ersten Entscheidungen gleich nach Amtsantritt zu treffen. „Dazu werden die Grenzkontrollen hochgefahren und die Zurückweisungen gesteigert“, kündigte Dobrindt an. Im Koalitionsvertrag heißt es eigentlich, dies erfolge erst in Absprache mit den Nachbarländern. Tusk wird genau auf die Reihenfolge achten.
Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wird Merz vor allem darüber sprechen, wie die europäische Souveränität gestärkt werden kann. Die Achse Berlin-Paris hatte zuletzt nicht richtig funktioniert. Merz will das ändern. In Paris beobachtete man die Ereignisse im Bundestag genau: „Es ist ein politischer Schock für Deutschland und Europa“, erklärte die Generalsekretärin der Regierungspartei Renaissance, Valérie Hayer, nach dem ersten Wahlgang.