Deutschland wird den Kohleausstieg bis 2030 nicht schaffen, sagen Experten

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Die Ampel-Koalition wollte eigentlich den Kohleausstieg bis 2030 schaffen. Doch Experten sind sich mittlerweile sicher: Vor 2038 ist es kaum möglich.

Berlin – Es war von Anfang an ein ambitioniertes Ziel, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen. Die Ampel-Koalition hat sich aber im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass das „idealerweise“ passieren würde. Im Kohleausstiegsgesetz ist verankert, dass ab 2038 kein Strom mehr aus Kohle erzeugt wird – ein Ziel, das einer neuen Studie zufolge gerade so noch geschafft werden kann.

Ampel will bis 2030 aus der Kohle aussteigen

Die Studie wurde in Auftrag gegeben von der britischen Beratungsfirma Cornwall Insights, die Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien unterstützt. Der Bericht trägt den Titel „Is Germany going green?“ [Wird Deutschland grüner?] und ist der zweite Bericht in dieser Reihe. Die Ergebnisse dürften der Ampel einen Dämpfer verpassen.

Denn den Analysten zufolge wird es Deutschland nicht gelingen, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Dafür gebe es zwei wichtige Gründe: der neue Haushalt, der deutlich weniger Ausgaben vorsieht, und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine.

So hatte die Ampel-Koalition nach der Wahl 2021 den Plan geschmiedet, die Kohle früher mit neuen Gas-Kraftwerken zu ersetzen, die schrittweise auf Wasserstoff umgebaut würden. Man wollte also massiv in den Ausbau dieser Kraftwerke investieren, um so acht Jahre früher als geplant aus der Kohle auszusteigen.

Kein Gas aus Russland und keine Kraftwerksstrategie belasten Kohleausstieg

Diese Strategie beruhte natürlich darauf, dass es viel billiges Erdgas aus Russland geben würde, bis man endlich mit (grünem) Wasserstoff arbeiten könnte. Dieser Plan fand mit dem Aus der Gaslieferungen aus Moskau ein abruptes Ende. Statt weniger Kohle zu verstromen, hat Deutschland 2022 und 2023 wieder mehr Kohle verbrauchen müssen, um den Wegfall von Erdgas zu kompensieren.

Noch dazu ist nicht klar, ob die Bundesregierung in den nächsten Jahren das nötige Geld für den Aufbau einer Kraftwerksstrategie bereitstellen wird. Die im vergangenen Jahr angekündigten Pläne stehen nämlich noch immer aus.

Kohleausstieg
Industriepräsident Siegfried Russwurm hält einen früheren Kohleausstieg fast nicht mehr für möglich. © Rolf Vennenbernd/dpa

Unternehmen warten seit langem auf eine Kraftwerkstrategie von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die eigentlich bereits im Sommer vorgelegt werden sollte. Neue Gaskraftwerke sollen in „Dunkelflauten“ - wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint - als „Backup“ einspringen, um die Stromnachfrage zu decken. Sie sollen zunächst mit Erdgas und später mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden. Energieunternehmen scheuen aber bisher Investitionen, weil sich die neuen Kraftwerke bisher nicht rechnen.

Habeck hatte staatliche Förderungen angekündigt, die sich im Milliardenbereich bewegen. Möglich ist ein Anreizsystem, mit dem es honoriert wird, dass Betreiber Kraftwerkskapazitäten vorhalten. Die Bundesregierung muss allerdings nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Milliardenlöcher im Haushalt für 2024 sowie im Klima- und Transformationsfonds stopfen.

Analyse: Kohleausstieg nicht vor 2038

Das kritisiert ganz aktuell auch der Chef des Energieunternehmens Uniper, Michael Lewis: „Ohne festen Rahmen wird niemand in Deutschland in neue Gaskraftwerke investieren“, sagte er Mitte Januar der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung Düsseldorf (WPV).  „Die regierungsinternen Vorarbeiten dauern noch an“, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters. Die Kraftwerkstrategie solle demnächst vorgestellt werden. Zu den Details könne man sich derzeit nicht äußern.

Die neuen Projektionen von Cornwall Insight zeigen genau diese Probleme auf: Nach aktuellem Stand kann Deutschland frühestens 2039 auf Kohle gänzlich verzichten.

Prognose für den Kohleausstieg in Deutschland: Nicht vor 2038.
Prognose für den Kohleausstieg © Cornwall Insight North West Europe’s Benchmark Power Curve

Zwar prognostizieren die Forschenden einen stetigen Rückgang der Kohleverstromung in Deutschland; doch von einer gänzlichen Abkehr sind wir noch weit entfernt – es sei denn, es wird plötzlich massiv investiert und sehr schnell umgesetzt.

Ampel trifft auf die Realität

Dennoch hat Tom Masker, Modellleiter für Cornwall Insight, auch Lob auszusprechen: „Deutschland macht riesige Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität, wir haben einen starken Ausbau von Wind- und Solarenergie an Land gesehen.“ Doch es gebe noch zahlreiche Barrieren, die den Kohleausstieg behindern. „Gerade stellen viele Menschen fest – darunter auch Regierungspolitiker – dass es mit dem Kohleausstieg in Deutschland doch noch etwas länger dauern wird“, so Masker einer Mitteilung zufolge weiter. Die Ampel-Koalition sehe sich aktuell mit der „harten Realität“ konfrontiert und wird sich, seiner Meinung nach, eingestehen müssen, dass ein vorgezogener Kohleausstieg nicht erreichbar ist.

Damit steht Masker auch nicht alleine da. Industriepräsident Siegfried Russwurm sagte Ende Dezember, dass er es mittlerweile nicht mehr für möglich hält, bis 2030 auf Kohle zu verzichten. „Es ist höchst ärgerlich, dass wir in die Situation kommen könnten, Kohlekraftwerke länger weiterbetreiben zu müssen, weil es keine ausreichenden anderen Reservekapazitäten gibt.“

Die Bundesregierung setzt beim Umbau des Stromsystems auf erneuerbare Energien aus Wind und Sonne. Ziel ist es, dass 80 Prozent des verbrauchten Stroms in Deutschland im Jahr 2030 aus erneuerbaren Quellen kommt. Derzeit ist es etwas mehr als die Hälfte.

Mit Material von Reuters und dpa

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