94 Euro zu wenig: Wie oft Wohnkosten beim Bürgergeld gekürzt werden

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Bürgergeldemfänger brauchen sich keine Gedanken über die Höhe ihrer Miete machen, weil sie sowieso übernommen wird? Das stimmt nicht so ganz. © Monika Skolimowska/dpa

Nicht immer bekommen Bürgergeldempfänger ihre gesamte Miete bezahlt. Das liegt auch daran, dass Jobcenter die Mietsituation in Städten verkennen, sagt Linkenpolitikerin Susanne Ferschl.

Seit 1. Januar bekommen Bürgergeldempfänger mehr Geld, im Schnitt sind es zwölf Prozent. Dem voraus ging eine lange Diskussion um einen womöglich ausufernden Sozialstaat und vermeintlich faule Langzeitarbeitslose. Im Kern steht und stand die Frage: Ist das Bürgergeld zu hoch und setzt eher einen Anreiz, nicht zu arbeiten? CSU-Generalsekretär Martin Huber nennt das Bürgergeld „Murks“, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagt, dass ein Unionskanzler es „in dieser Form wieder abschaffen“ würde, und CSU-Chef Söder findet, dass es „den Praxistest nicht bestanden“ habe.

Kurz vor dem Jahreswechsel setzte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dann ein Zeichen. Er kündigte an, dass Totalverweigerern der Regelsatz für zwei Monate komplett gestrichen werde. Von 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfängern sind es allerdings gerade einmal 23.400 Personen, die wegen mangelhafter Kooperation sanktioniert werden.

Wohnkostenlücke beim Bürgergeld beträgt 13 Prozent

Die Wohnkosten sollen auch in diesen Fällen weiter übernommen werden. Kritikern des Bürgergelds sind sie schon länger ein Dorn im Auge – egal wie gut jemand mit dem Jobcenter zusammenarbeitet. Sofern die Wohnkosten angemessen sind, bezahlt sie der Staat. Allerdings gibt es Ausnahmen, wie aus einer Kleinen Anfrage der Linkenpolitikerin Susanne Ferschl hervorgeht, die IPPEN.MEDIA vorliegt. Sie wollte wissen, ob Wohnkosten tatsächlich immer und in voller Höhe bezahlt werden. Das Ergebnis: Bürgergeldempfänger müssen teilweise selbst drauflegen.

Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2022 und damit auf ein Jahr, in dem das Bürgergeld noch gar nicht eingeführt war. Allerdings wurden in Folge der Corona-Pandemie auch beim Bürgergeld-Vorgänger Hartz IV meistens die Wohnkosten übernommen. 2022 gab es in Deutschland laut Bundesagentur für Arbeit 2,5 Millionen sogenannte Bedarfsgemeinschaften, deren Kosten für Miete und Heizung der Staat bezahlte. Bei über 300.000 davon, das sind 13 Prozent, bestand eine Lücke zwischen den tatsächlichen und den anerkannten Wohnkosten. Im Schnitt bekamen die Empfänger 94 Euro zu wenig. Zum Vergleich: 2021 bestand bei 15 Prozent eine Differenz, 2020 waren es 17 Prozent. Insofern wird die Lücke kleiner.

Bürgergeld: Ein Jahr Schonfrist für die Wohnung

In absoluten Zahlen wird die Lücke jedoch größer, von 86 Euro im Jahr 2020 über 91 Euro im Jahr 2021 auf 94 Euro im Jahr 2022. Dabei dürften die insgesamt steigenden Wohnkosten eine Rolle spielen. Betrachtet man Miete und Heizkosten getrennt, dann liegt die Lücke bei den Mietkosten in absoluten Zahlen höher, nämlich bei 101 Euro. Bei den Heizkosten lag sie bei 41 Euro. Betroffen davon waren mehr als 70.000 Haushalte.

Im ersten Bezugsjahr übernimmt das Jobcenter die Kosten der bisherigen Wohnung – auch wenn die Miete höher ist als die am Ort zulässige Grenze. Nach zwölf Monaten kommt dann die Aufforderung, sich eine günstigere Wohnung zu suchen. Klappt das nicht, werden die Wohnkosten auf die Höchstgrenze gekürzt.

Wenn das Bürgergeld nicht für das Existenzminimum reicht

Ganz praktisch bedeutet das: Betroffene müssen einen Teil ihrer Miete aus Ersparnissen zahlen, sofern es welche gibt. Oder sie nehmen einen Teil des Regelbedarfs, der eigentlich für andere Dinge vorgesehen ist. Ein Ausweg wäre ein Umzug, der allerdings gerade für Bürgergeldempfänger schwierig ist. Zudem spricht gerade in Städten nicht gerade viel dafür, dass die Miete nach einem Umzug günstiger ist als vorher. „Durch die hohen Mieten, insbesondere in den großen Städten, zahlen Menschen im Bürgergeld häufig drauf. Besonders betroffen sind Paare mit Kindern“, sagte Linkenpolitikerin Ferschl unserer Redaktion. „Die Erstattung der Kosten der Unterkunft ist zu niedrig, das führt dazu, dass am knappen Regelsatz nochmals gespart werden muss oder man umziehen muss.“

Wenn die Wohnkosten gekürzt werden, kann das Existenzminimum unterschritten werden. Dabei ist das Bürgergeld gerade dafür gedacht, dass das Existenzminimum von Bedürftigen gesichert wird, so hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden. Daran kann eigentlich nicht gerüttelt werden, weil andernfalls der Schutz der Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip angegriffen würden. Beide Grundgesetzartikel können nicht verändert werden, nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit. Dennoch stellen Sozialgerichte immer wieder fest, dass kommunale Konzepte rechtswidrig – also zu niedrig bemessen – waren. Insofern würden Bürgergeldempfänger alleine gelassen, sagt Ferschl. Denn gerade in Städten „gibt es bezahlbaren Wohnraum quasi nicht“.

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