Jahrhundert-Sommer oder Wirtschaftskrise: Warum Prognosen oft daneben liegen

Der Sommer 2025 hat mich kuriert. Noch im Mai verkündeten Meteorologen einen „zu warmen bis heißen Sommer“. Medien phantasierten vom nächsten Jahrhundertsommer, Politiker diskutierten schon über neue Hitzeschutzverordnungen – und was kam? Regen. Viel Regen. Matschige Festivals. Grillabende unter Pavillons. Und die einzige Hitzewelle fand in der Kommentarspalte statt.

Danke, Langfristprognose – war nett gemeint.

Als Change- und Managementberater sehe ich darin mehr als nur nasse Füße. Denn genau wie beim Wetter verlassen sich auch Unternehmen, Analysten und Politiker auf langfristige Vorhersagen – und liegen dabei regelmäßig grandios daneben. Die Frage ist: Warum tun wir so, als könnten wir die Zukunft vorhersagen, obwohl sie uns immer wieder eines Besseren belehrt?

Warum der Sommer baden ging

Langfristige Wetterprognosen funktionieren so: Man füttert Supercomputer mit Millionen Datenpunkten – Luftdruck, Windmuster, Meerestemperaturen – und lässt sie 30 bis 50 Varianten der Zukunft simulieren. Wenn viele Modelle in dieselbe Richtung zeigen, spricht man von einer „Tendenz“.

Aber: Schon kleine Fehler am Anfang führen zu riesigen Abweichungen am Ende. Das nennt man den Schmetterlingseffekt: Ein Flügelschlag in Brasilien – und du brauchst einen Schirm in Berlin.

Saisonprognosen wie „der Sommer wird heiß“ sind deshalb eher mutige Vermutungen als gesicherte Aussagen. Laut Deutschem Wetterdienst liegt die Trefferquote für solche langfristigen Regen- oder Hitzetrends teils unter 50 %. Trotzdem drucken Medien die Kurven, als wären sie göttliche Offenbarungen – ähnlich wie bei Wirtschaftsprognosen.

Der Schwarze Schwan im Garten

Der verregnete Sommer 2025 war ein klassischer Schwarzer Schwan – ein seltenes, völlig unerwartetes Ereignis mit erheblicher Wirkung. Der Begriff stammt vom Wirtschaftsphilosophen Nassim Taleb und geht auf eine historische Denkfalle zurück: Über Jahrhunderte glaubte man in Europa, alle Schwäne seien weiß – bis man in Australien auf schwarze stieß. Ein einziges Beobachtungsereignis reichte aus, um ein ganzes Weltbild zum Einsturz zu bringen.

So ist es auch in der Wirtschaft: Ein Ereignis – Krieg, KI-Hype, TikTok-Trend oder Konjunktureinbruch – trifft überraschend ein. Und kaum ist es da, tun alle so, als hätten sie es kommen sehen. Rückblickend ist eben jeder ein Prophet – vorausblickend eher selten.

Predictive Modelling: Viel Rechenleistung, wenig Demut

Auch in der Wirtschaft lieben wir Prognosen. Analysten wälzen Daten, Data Scientists und KI basteln Prognosemodelle, Politiker lassen Zukunftsszenarien simulieren. Und dann steht da irgendwo: „92 % Prognosegenauigkeit“. Klingt gut. Und fühlt sich sicher an. Wir ignorieren nur die 8 % Ungenauigkeit – dabei liegt genau dort oft die Katastrophe. Schon meine Oma wusste: Der Teufel liegt im Detail.

Und plötzlich ist die Gewinnwarnung da. Der Fachkräftemangel schlimmer als gedacht. Oder das Wirtschaftswachstum plötzlich verschwunden. Das Problem ist nur, dass wir genau auf diesen Modellen die Zukunft von Unternehmen, unseres Landes und unserer Wirtschaft bauen. Nicht gerade der belastbarste Untergrund.

Warum wir trotzdem daran glauben

Wir sind autoritätsgläubig – besonders, wenn Prognosen im Anzug, mit Titel und Mikrofon daherkommen. Selbsternannte Crash-Propheten wie Dirk Müller („Mr. Dax“) oder Max Otte genießen hohes Ansehen, weil sie einmal richtig lagen – und seither dauerhaft auf Katastrophe setzen. Ihre Fonds? Schneiden langfristig eher unterdurchschnittlich ab. Was eigentlich nicht sein dürfte, wenn sie wirklich wüssten, wann es kracht.

Auch Nobelpreisträger sind davor nicht gefeit: Paul Krugman, einer der bekanntesten Ökonomen der Welt, prophezeite 1998, das Internet werde wirtschaftlich kaum mehr als das Faxgerät bewirken. Francis Fukuyama wiederum verkündete 1992 das „Ende der Geschichte“ – ein paar Jahre, bevor Jugoslawien zerbrach und China erst richtig durchstartete.

Trotzdem glauben wir solchen Stimmen. Warum? Weil sie Selbstsicherheit ausstrahlen. Weil sie so wirken, als hätten sie den Nebel der Zukunft durchdrungen. Und weil wir – besonders in unsicheren Zeiten – verzweifelt nach Orientierung suchen.

Drei Denkfehler, die wir bei Prognosen immer wieder machen:

1. Modelle sind nur so gut wie ihre Annahmen

Wenn sich Märkte, Menschen oder geopolitische Lagen plötzlich ändern – war’s das mit der Treffsicherheit. Dann sitzt du da mit deinem Forecast und schaust auf einen ganzen Schwarm schwarzer Schwäne.

2. Der Autoritäts-Bias

Je klüger jemand wirkt – je mehr Titel, Studien oder Fernsehauftritte er vorzuweisen hat – desto eher glauben wir ihm, wenn er eine Prognose abgibt. Dabei verwechseln wir oft rhetorische Sicherheit mit inhaltlicher Präzision. Und übersehen, dass auch Experten nur mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten – und gelegentlich glorifiziert danebenliegen.

3. Die Illusion von Kontrolle

Je präziser eine Prognose klingt, desto mehr glauben wir ihr – auch wenn sie auf Sand gebaut ist. Beim Wetter reicht eine 70%-Chance auf Sonne, und wir cremen uns ein. Und wenn’s dann gießt, sind wir überrascht. In der Wirtschaft ist es genauso: Wahrscheinlichkeiten werden zu Garantien verklärt – und der Regenschirm bleibt im Auto.

Was uns der verregnete Sommer 2025 wirklich gezeigt hat

Vielleicht war dieser Sommer genau das, was wir gebraucht haben. Nicht zum Baden – aber zum Nachdenken. Er hat uns daran erinnert, wie limitiert unsere Vorhersagekraft ist. Dass auch KI-Supercomputer keine Glaskugeln und Experten keine Wahrsager sind. Und dass wir besser fahren, wenn wir mit Unsicherheit leben lernen – statt sie zu verdrängen.

Denn wenn schon die Wetter-App für nächste Woche danebenliegt – warum sollte ich dann dem Business-Plan für 2026 oder der Wirtschaftsprognose für 2027 trauen?

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.