Ergebnisse im Detail - Die Wahl-Lehren: Grüne haben Links-Problem - und der Merz-Plan eine verblüffende Folge

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JENS SCHLUETER/AFP Linke-Spitzenkandidatin Heidi Reichinekk freut sich bei der Wahlparty der Partei in Berlin am Sonntag nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen
Sonntag, 23.02.2025, 20:18

Die SPD geht mit ihrem Kanzler unter. Das riskante Manöver von Friedrich Merz klappt – aber anders als gedacht. Und die Linke wird für die Grünen zum ernsthaften Problem. Die drei größten Lehren dieser Bundestagswahl.

Die Ampel ist Geschichte, die deutschen Wählerinnen und Wähler haben sich für einen Politikwechsel entschieden. Abseits des klaren Wahlsieges von CDU-Chef Friedrich Merz hält der Wahlabend aber noch einige Überraschungen und spannende Erkenntnisse bereit. Die drei wichtigsten Lehren im Überblick: 

1. Die SPD hat kein Thema mehr – und geht mit ihrem Kanzler unter

Eine Überraschung war es nicht: Die SPD ist nur noch die drittstärkste Kraft im deutschen Parlament. Nur noch 16 Prozent der Wähler gaben den Sozialdemokraten laut der ersten Hochrechnungen ihre Stimme, das sind 9,7 Prozent weniger als noch beim Wahlsieg 2021. 

Erste Daten weisen darauf hin, dass der SPD gleich zwei Probleme zum Verhängnis wurden. Das größte Problem war der Kanzler: Olaf Scholz. Nach Daten des ARD-Deutschlandtrends fuhr Scholz in den Tagen vor der Wahl eine Zustimmungsrate von nur noch 26 Prozent ein – vor dreieinhalb Jahren waren es noch 56 Prozent. Nur noch 30 Prozent der Deutschen trauen Scholz das Kanzleramt zu, verglichen mit 66 Prozent bei der Wahl 2021.

ARD/Infratest Dimap

Nicht nur die Person Olaf Scholz wurde für die SPD zum Problem, sondern auch sein Arbeitsnachweis der letzten Jahre. Mit der Performance der von ihm geführten Ampel-Regierung zeigten sich nur 17 Prozent der Wählerinnen und Wähler zufrieden – ein historisch schlechter Wert. Selbst 67 Prozent der SPD-Wähler stellten der Ampel ein schlechtes Zeugnis aus. 

Zudem verpuffte bei dieser Wahl genau jener Bonus, der der SPD im Jahr 2021 noch zu einer großen Aufholjagd verholfen hatte. Mit ihrem „Respekt“-Wahlkampf, der auf Themen wie Renten und Lohngerechtigkeit setzte, zogen die Sozialdemokraten damals in den letzten Wochen vor der Wahl noch an der Union vorbei.

Doch das Thema „Respekt“ verorteten die Wählerinnen und Wähler bei dieser Wahl eher bei anderen Parteien. Zum Beispiel bei der AfD: Unter Arbeiterinnen und Arbeitern holten die Rechtsnationalen satte 38 Prozent der Stimmen. Die SPD performte in dieser Wählerschicht mit zwölf Prozent sogar schlechter als in ihrem Gesamtergebnis von 16 Prozent. Unter Wählerinnen und Wählern, die ihre eigene finanzielle Lage als „schlecht“ einordnen, sehen die Zahlen exakt gleich aus.

ARD/Infratest dimap
 

Die einfachen Arbeiterinnen und Arbeiter, die gerne sozial aufsteigen würden, setzen im Jahr 2025 eben nicht mehr ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten. Nur noch 26 Prozent der Wählerinnen und Wähler hält die SPD bei der sozialen Gerechtigkeit für die kompetenteste Partei, ein historisch schlechter Wert. Mehr als 50 Prozent der Deutschen stimmten außerdem in den Nachwahlumfragen jeweils folgenden Thesen zu: Die SPD kümmere sich nicht genug um die Anliegen einfacher Arbeitnehmer – und blicke stattdessen zu sehr auf Bürgergeld-Empfänger. Die Einführung des Bürgergeldes plus die anschließende große Debatte haben der Partei geschadet.

2. Der riskante Merz-Plan ging anders auf als gedacht

Stimmen der AfD in Kauf zu nehmen, um einen umstrittenen Migrations-Antrag durchzubringen – war das in den letzten Wochen des Wahlkampfs eine gute Strategie von Friedrich Merz?

Die ersten Daten legen nahe: Jein. Der Merz-Schachzug im Bundestag hat zumindest nicht dazu geführt, dass die Union von der AfD Stimmen abwerben konnte. Im Gegenteil verloren CDU und CSU im Vergleich zur letzten Wahl 2021 netto 830.000 Wähler an die AfD – und damals war das Ergebnis der Union wesentlich schlechter. Andererseits ist natürlich möglich, dass der Abgang zur AfD ohne den Migrations-Plan noch größer ausgefallen wäre.  

Die Zugewinne der Merz-Partei kamen stattdessen von anderen Quellen: Der SPD, der FDP – und von Nichtwählern. Jeweils mehr als eine Million Menschen konnte die Union jeweils von diesen drei Lagern abwerben.

Screenshot ARD

Die Daten zeigen: Die klare Kante des CDU-Kandidaten in der Migrationsfrage kam bei den Wählerinnen und Wählern gut an. Insgesamt 92 Prozent der neu hinzugekommenen Unions-Wähler gaben in einer Nachwahlumfrage an, es zu befürworten, wie sich Merz beim Thema Migration positioniert. Offenbar konnte Merz mit dieser Botschaft die Anhänger anderer Parteien der Mitte sowie desillusionierte Nichtwähler erreichen – nicht jedoch die Wähler der AfD. 

3. Das große Linken-Comeback wird für die Grünen zum Problem

Möglich ist außerdem, dass die Merz-Strategie ungeplant einer weiteren Partei zum Höhenflug verhalf: Der Linken. Zwischen 8 und 9 Prozent wird die Linkspartei aller Voraussicht nach erhalten – ein wundersames Comeback für eine Partei, die vor einem Jahr in den Umfragen noch bei zwei Prozent lag. 

Zwei Trends sind bei der Linkspartei bemerkenswert: Die Partei konnte vor allem in den letzten Wochen Zugewinne erzielen, und sie tat das vor allem bei jungen Wählerinnen und Wählern. Unter den 18- bis 24-Jährigen ist die Linke mit einem Anteil von 25 Prozent sogar die stärkste Kraft. Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek erzielte mit pointierten Auftritten im Bundestag gegen den Merz-Plan gewaltige Reichweiten auf Plattformen wie Tiktok und Instagram.

ARD/Infratest Dimap
 

Als ungeplante Profiteurin wird die Linke vor allem für die Grünen zum Problem. Das sieht auch deren Spitzenkandidat Robert Habeck so. Nach der Merz-Abstimmung mit der AfD „haben sehr viele Leute, die uns in Sympathie zugeneigt waren, gesagt: jetzt aber Schluss, nicht mit der Union“, sagte Habeck am Abend in der ARD. „Und das können wir aber nicht. Das, was die Linke gemacht hat, hat sich als Weg für uns nicht aufgetan.“ 

Kompromisslosigkeit als Pluspunkt? Zumindest bei dieser Wahl, in der Themen wie der Klimaschutz eher nach hinten gerückt sind, hat die Linke in ähnlichen Wählerschichten gefischt wie die Grünen: Links, jung, gebildet, eher weiblich als männlich. Insgesamt 92 Prozent der Linken-Wähler gaben an, die Partei sei eine gute Alternative zu SPD und Grünen. 86 Prozent begrüßten wiederum den Kurs der Partei in der Asyl- und MIgrationspolitik. 

Für die Grünen könnte das zum Problem werden: Bereits bei der Europawahl hatte die Partei empfindliche Stimmanteile an Gruppierungen wie Volt verloren. Ein Comeback der Linken würde das Stück vom Kuchen noch viel kleiner machen.