Hamburgs Traum von der Klimaneutralität ist ebenso teuer wie sinnlos

Hamburg hat am Sonntag in einem Volksentscheid ein sogenanntes „Klimaschutzverbesserungsgesetz“ angenommen, mit dem das Erreichen der Klimaneutralität von 2045 auf das Jahr 2040 vorgezogen wird. Vielleicht noch bedeutsamer als die kürzere Frist für das Erreichen der Netto-Null-Emission ist die neue Regelung, dass ab sofort jährliche Minderungsziele in Form zulässiger Jahresemissionsgesamtmengen einzuhalten sind. Diese gelten entsprechend auch für die einzelnen Sektoren. Um schneller auf Zielüberschreitungen reagieren zu können, soll in Zukunft außerdem bereits zum 30. Juni eine Schätzbilanz für das Vorjahr vorgelegt werden. Zeigt diese eine Abweichung vom Zielwert, ist der Senat verpflichtet, im Rahmen eines Sofortprogramms geeignete Maßnahmen für eine Minderung der Emissionen zu beschließen.

Hamburg muss Klima-Sofortprogramme umsetzen

Weiterhin wird in Zukunft bei der Erreichung der Klimaziele das Gebot der Sozialverträglichkeit gegenüber den Aspekten Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit priorisiert werden. Mit diesem „Zukunftsentscheid“ wird das Klimaschutzkorsett, in das alle öffentlichen, privaten und wirtschaftlichen Aktivitäten bereits durch das bisher gültige Hamburger Klimaschutzgesetz gepresst sind, noch enger geschnürt. Während man sich z.B. in Baden-Württemberg, wo ebenfalls bis 2040 Netto-Treibhausgasneutralität und ein Minderungsziel von 65 Prozent bis 2030 vorgesehen sind, angesichts absehbarer Zielverfehlungen beim Klimaziel für 2030 nicht auf weitere restriktive Maßnahmen geeinigt hat, legt der Hamburger Volksentscheid den Politikern die Daumenschrauben an. 

Die meisten Bundesländer haben ein Klimaschutzgesetz

Forderungen nach lokaler Klimaneutralität und entsprechende Beschlüsse politischer Gremien waren in den letzten Jahren zahlreich. Über 70 Städte in Deutschland haben den sogenannten „Klimanotstand“ ausgerufen. Vorreiter war Konstanz, wo bereits 2019 mit einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss alle Entscheidungen unter einen Klimavorbehalt gestellt wurden und Klimaneutralität bis 2035 verordnet wurde.

14 von 16 Bundesländern verfügen aktuell über ein Klimaschutzgesetz bzw. gesetzlich verankerte Klimaschutzstrategien. Auch wenn einzelne Bundesländer die Treibhausgasneutralität früher realisieren wollen, sieht das Bundesklimaschutzgesetz diese erst 2045 vor; bis 2030 ist auf Bundesebene eine Reduktion der Emissionen von 65 Prozent (gegenüber 1990) verbindlich.

Deutschland hat strengere Klimaziele als die EU

Auf EU-Ebene soll das Ziel der Klimaneutralität dagegen erst 2050 erreicht werden. Für 2030 wurde eine Reduktion von 55 Prozent gesetzlich verankert. Das Pariser Abkommen wiederum nennt kein exaktes Datum für die Erreichung der globalen Klimaneutralität, sondern formuliert als Ziel, die weltweiten Netto-Treibhausgasemissionen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf null zu senken. 

Klimaneutralität ist auf lokaler Ebene kein sinnvolles Konzept

Klimaneutralität 2040 für die Freie und Hansestadt Hamburg stellt unter diesen Rahmenbedingungen kein sinnvolles klimapolitisches Konzept dar, unabhängig von der Frage der Realisierbarkeit und den damit verbundenen Kosten und Nebenwirkungen. Entsprechend ist das zwar von einer knappen Mehrheit der Abstimmenden, aber nur rund 23 Prozent aller Stimmberechtigten angenommene Gesetz kein „Gesetz für besseren Klimaschutz“, sondern ein planwirtschaftlich-dirigistisches Programm für drastische Emissionsminderungen auf dem Weg zur intendierten lokalen CO2-Neutralität.

Über den Gastautoren

Prof. Dr. Alexander Eisenkopf hat den Zeppelin-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen inne.

Es macht allerdings keinen Sinn, wenn Deutschland, einzelne Bundesländer oder gar Städte kleinteilige oder strengere Klimaschutzvorgaben erlassen, weil diese Maßnahmen im globalen Kontext weitestgehend irrelevant, oft ineffizient und viel zu teuer sind. Das Klima kann auf der Ebene eines Stadtstaates wie Hamburg nicht wirksam „geschützt“ werden, denn Klimaschutz ist ein globales, nicht ausschließbares Gemeinschaftsgut, d.h. eine Allmende. Dies bedeutet, dass von einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen in einem Land zwar weltweit alle profitieren, aber kein Land Anreize hat, selbst durch eigene Maßnahmen dazu beizutragen.

Einfache Rechnung zeigt den Klima-Fehler der Hamburger

Hierzu kann man ein einfaches Gedankenexperiment machen:

  • Gibt Deutschland 100 Euro für Maßnahmen zur Emissionsminderung aus, profitieren wir am Ende davon nur mit 1,50 Euro, da der deutsche Anteil an den globalen CO2-Emissionen nur rund 1,5 Prozent ausmacht.
  • Dies ist ein enttäuschendes Ergebnis; angesichts der noch viel geringeren Relevanz Hamburgs für das Weltklima bleibt die dort unter absehbar extrem hohen Kosten angestrebte Klimaneutralität mangels Wirksamkeit vollends symbolisch.

 

Klimaschutz ist nur dann effektiv, wenn er international koordiniert erfolgt, da globale Problemnatur und nationale Problemlösungskompetenz auseinanderfallen. Gelingen kann er nur über internationale Kooperation und weltweit wirksame Instrumente wie einen möglichst einheitlichen CO2-Preis bzw. die Kooperation z. B. im Rahmen eines "Klimaclubs". Maßnahmen einzelner Staaten allein lösen das Problem nicht. Das hat der Nobelpreisträger William Nordhaus überzeugend aufgezeigt.

Ist Klimaneutralität 2040 überhaupt realistisch?

Angesichts der Langlebigkeit der vorhandenen Infrastrukturen (Gebäude, Verkehr und Energieversorgung) und der Trägheit des Status quo bestehen berechtigte Zweifel, ob die beabsichtigte Klimaneutralität 2040 für Hamburg überhaupt irgendwie realistisch umsetzbar ist. Es stellt sich sogar die grundsätzliche Frage, wie ein klimaneutrales Land bzw. eine klimaneutrale Stadt überhaupt funktionieren und existieren kann, denn der Begriff „Klimaneutralität“ ist ein verschleiernder Euphemismus. 

Auf den Punkt gebracht heißt Klimaneutralität, das 2040 nichts mehr verbrannt werden darf, weder Heizöl noch Erdgas, Benzin oder Diesel und auch kein Müll. Bis dahin müssten der gesamte Wohnungsbestand saniert und auf erneuerbare Energieträger umgestellt sowie die fossile Mobilität ersetzt worden sein.

Private Autofahrten? Bald deutlich seltener erlaubt

Ein Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung, das sich mit den dafür notwendigen Maßnahmen beschäftigt, stellt lapidar fest, dass mit deutlichen Einschränkungen für die Wirtschaft und die Bürger zu rechnen sei:

  • Alle Öl- und Gasheizungen in Gebäuden müssten bis 2040 ausgetauscht und das Gasnetz stillgelegt werden.
  • Für den Sektor Verkehr sind ein stadtweites Tempolimit von 30 km/h und eine deutliche Reduktion des Individualverkehrs angesagt.
  • Darüber hinaus bedürfe es der Einrichtung von Umweltzonen im Hafen.
  • In der Industrie wäre ein vollständiger Umstieg von fossilen Brennstoffen auf Wasserstoff und e-Fuels erforderlich, die allerdings derzeit noch nicht zur Verfügung stünden.
  • Gleiches gelte für die komplette Elektrifizierung der Mobilität und sonstiger Prozesse. Hamburg als klimaneutrale Stadt müsste seinen gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energien decken, die bereits für den heutigen Strombedarf nicht ausreichen. Es ist sehr fraglich, ob der angestrebte massive Ausbau von Wind- und Solarenergie ausreicht, um die zukünftige Nachfrage zu befriedigen. 

Auf dem Weg in den „Klimastaat“ - Industrie bleibt nur der Wegzug

Um trotzdem auf dem Weg zur Klimaneutralität 2040 voranzukommen, ist mit dem Klimaschutzverbesserungsgesetz der Weg in eine dirigistische klimapolitische Mikrosteuerung geebnet worden. Man könnte es auch einen „Klimastaat“ nennen. Wirtschaft und Bürgern bleibt keine Wahl, als sich zähneknirschend diesen Vorgaben zu unterwerfen oder mit ihren wertschöpfenden Aktivitäten abzuwandern. Kommt es zu dem zu befürchtenden Exodus der Industrie, werden die Emissionen einfach woandershin verlagert. Angesichts von geschätzten Kosten in Höhe von 40 Mrd. Euro allein für die energetische Sanierung des Gebäudebestandes wird zudem die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes zumindest teilweise ausgehöhlt. Nimmt man die propagierte Sozialverträglichkeit ernst, muss die Stadt in Zukunft hohe Summen in die Hand nehmen, um Mieter und Wohnungseigentümer zu unterstützen und den öffentlichen Nahverkehr auszubauen – bei absehbar geringerer Steuerbasis aufgrund schrumpfender Wertschöpfung. Heute steht Hamburg dank des Hafens und einer prosperierenden Industrie noch an der Spitze des BIP pro-Kopf Rankings der Bundesländer und glaubt sich das alles leisten zu können. Das dürfte aber nicht so bleiben.

Hamburger Hafen schafft Wohlstand -aber nicht mehr lange

Sollte in Zukunft tatsächlich Sozialverträglichkeit gegenüber Effizienz und Sparsamkeit als Kriterium zur Beurteilung klimapolitischer Maßnahmen priorisiert werden, sind einer überbordenden Klimabürokratie nebst wuchernder Subventionsmaschinerie Tür- und Tor geöffnet. Außerdem ist mit Klagen einschlägiger Klima- und Umweltlobbys zu rechnen, die rigoros auf der Einhaltung der gesetzlichen Jahresziele beharren, und damit Wirtschaft und Verkehr lahmlegen werden. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat bereits durchblicken lassen, Städte zu sogenannten "Nullemissions-Zonen" zwingen zu wollen.

Diese Form von Klimapolitik bewirkt aber außer einem guten Gewissen der Akteure und einer moralischen Dividende leider nichts Relevantes für das Klima. Offenbar zählen bei den klimapolitischen Akteuren hinter dem Zukunftsentscheid nicht die tatsächlichen Folgen des Handelns, sondern die gute Absicht. Die moralische Gesinnung der Protagonisten klimapolitischer Maßnahmen wird zum Maßstab der Bewertung, nicht der nachweisbare Erfolg der Maßnahmen oder die kontraproduktiven Nebenwirkungen.

Für das Weltklima spielt Hamburg keine Rolle

Um es zusammenzufassen: Klimaneutralität auf Ebene eines Stadtstaates ist kein nachhaltiges Konzept. Sie ist weder sinnvoll abgrenzbar bzw.  operationalisierbar noch eine geeignete Orientierungsgröße rationaler Klimaschutzpolitik. Dies sollten allein marktwirtschaftliche Instrumente wie der Emissionshandel sein. Auf regionaler Ebene besteht die politische Herausforderung nicht in einer Vorreiterrolle bei der Minderung von Emissionen, sondern in der Klimaanpassung, d.h. dem verantwortungsvollen Umgang mit den absehbar negativen Folgen des Klimawandels. Für das Weltklima spielt es keine Rolle, ob eine Stadt wie Hamburg 2040 klimaneutral werden möchte.