„Riesige Angst vor dem Winter“ in der Ukraine: Weilheimer Helfer schildern drastische Zustände
Myroslava und Felix Schimke-Klubuk organisieren seit Kriegsausbruch in der Ukraine Hilfsaktionen. Sie schildern drastische Zustände. Der Winter bereitet ihnen weitere Sorgen.
Zum ersten Mal seit rund einem Jahr war das Weilheimer Ehepaar Myroslava und Felix Schimke-Klubuk, das lange Jahre in der Ukraine gelebt hat, wieder in dem von Krieg geplagten Land. Zwei Monate verbrachten sie vor Ort – und berichten erschüttert über die Lage: „Im Winter geht es dort nur ums Überleben“, sagt er.
Schon kurz nach Kriegsbeginn vor zweieinhalb Jahren, als sie es gerade noch aus dem Land geschafft hatten, hat das Ehepaar von Weilheim aus Hilfsaktionen gestartet und sich dabei auf medizinische Güter spezialisiert. Nachdem die Russen im Juli die Kiewer Okhmadit-Kinderklinik, in der Myroslava als Ärztin gearbeitet hatte, bombardiert hatten, wollten die Weilheimer jetzt vor Ort klären, wie sie weitermachen können. Und die Erkenntnisse sind drastisch: „Der Fokus liegt ganz klar auf Energie- und Wärmeversorgung. Medizinische Güter bringen nichts, wenn die Menschen im Krankenhaus erfrieren“, sagt Felix Schimke-Klubuk und muss selber schlucken, als er die Worte nachhallen lässt.
Die Russen hätten das Jahr über gezielt 60 bis 80 Prozent der ukrainischen Energieversorgung zerstört, schätzt Schimke-Klubuk. „Die Angst vor dem Winter ist bei den Leuten riesig“, hat er erfahren. Auf dem Land könne man sich noch mit Holzheizungen behelfen, „aber was machen die Bewohner eines 20-stöckigen Wohnhauses ohne Heizung bei Minus 20 Grad?“, fragt sich Schimke-Klubuk.
Die ständigen Stromausfälle seien zermürbend, doch das sei gar nicht einmal das Schlimmste. „Ich kann ohne Strom leben und ohne warmes Wasser, aber nicht mit den andauernden Explosionen“, sagt Myroslava Schimke-Klubuk. Tatsächlich seien auch in Kiew ständig solche Explosionen zu hören, wenn auch meist von der Flugabwehr, sagt ihr Mann. „Die ist rund um die Hauptstadt sehr erfolgreich, es kommt wenig durch. Auf dem Land ist das anders: Wenn da Alarm ist, schlägt es auch oft ein.“
Eine Woche Ruhe nach Zerstörung von russischer Munition
Er hat selbst erlebt, wie nachts durch einen Angriff das Zimmer taghell wurde, weil nur wenige hundert Meter entfernt eine Bombe eingeschlagen hatte. „Ein normales Leben ist dort eigentlich nicht möglich“, sagt Felix Schimke-Klubuk. Wobei sich selbst sie zwischendurch angepasst hatten und etwa bei einem Alarm nicht in den Luftschutzkeller eilten, sondern in die Dusche – „weil es gerade warmes Wasser gab“, wie er sagt. Wenn die Menschen in der Ukraine nicht deutlich mehr Hilfe bekommen, werde es eine Flüchtlingswelle geben, „die wir uns nicht vorstellen können“, prophezeit Schimke-Klubuk.
Uber die im Westen geführte Debatte zur ukrainischen Forderung, Raketen mit großer Reichweite einsetzen zu dürfen, hat er auch seine Erfahrungen gemacht: Nachdem die Ukraine am 18. September bei einem erfolgreichen Drohnenangriff im russischen Toropez so viel Munition zerstört hat, dass die Explosion sogar als Erdbeben der Stärke 2,7 gemessen wurde – laut Schimke-Klubuk war es mit 20 Kilotonnen sogar mehr reine Sprengkraft als die Atombombe in Hiroshima –, „gab es in Kiew eine Woche lang keinen Bombenalarm und es gab Strom.“ Für ihn eine sofortige Folge des erfolgreichen Angriffs auf das Munitionsdepot. Erst nach einer Woche hätten die Russen offenbar Ersatz beschaffen können und die Angriffe seien im früheren Rhythmus weitergegangen.
Invasion aus Belarus erwartet
Ebenso erschüttert war das Weilheimer Paar, als sie im Norden an der Grenze zu Belarus, wo Myroslava Verwandte hat, sich vor Ort über die Lage informierten. Weil sie Ärztin ist, durften sie das dortige Sperrgebiet mit medizinischen Einrichtungen unter unzähligen Kontrollen besichtigen – und trauten ihren Augen kaum: „Die Ukraine erwartet bald einen Invasion der Russen aus Belarus, dort werden seit längerem Truppen zusammengezogen. Deshalb wird die komplette Grenzregion befestigt“, so Felix Schimke-Klubuk.
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Bis zu 30 Kilometer ins Hinterland werden Schützengräben und Bunker angelegt, es gibt Fünf-Meter-Wälle mit Wassergräben, Panzersperren, Minensperren und vieles mehr. „So etwas habe ich noch nie gesehen, es schaut aus wie eine Chinesische Mauer 2.0. Ich wusste nicht, dass so viele Bagger auf einem Haufen sein können“, sagt er.
Die ehrliche Einschätzung von Felix Schimke-Klubuk nach zwei Monaten in der Ukraine: „Ich weiß nicht, ob das Land den Krieg militärisch gewinnen kann. Aber der Widerstand ist so groß, dass ich mir sicher bin, dass das auch den Russen nicht gelingen wird.
Ausstellung „Kunst im Krieg“
Am morgigen Samstag beginnt im Weilheimer Stadtmuseum eine Ausstellung „Kunst im Krieg“, die maßgeblich von Myroslava und Felix Schimke-Klubuk organisiert wird. „Es wird die erste Ausstellung dort mit Audio-Guide. Das funktioniert mit QR-Codes, es wurde extra Internet eingerichtet“, sagt Felix Schimke-Klubuk. Es werden Kunstwerke gezeigt, die im Krieg entstanden sind und zeigen sollen, wie radikal sich die Lebensbedingungen dort geändert haben. Vernissage ist am Samstag um 11 Uhr, die Ausstellung dauert bis 23. November und ist jeweils Dienstag bis Samstag von 10 bis 17 Uhr zu besichtigen.