Santorini-Urlauber sitzen „praktisch auf dem Kraterrand“: Experte warnt vor beängstigendem Szenario
Die Erdbeben in Santorini scheinen sich beruhigt zu haben. Hoteliers werben schon wieder um Touristen. Doch ein Experte warnt vor kolossalen Gefahren.
Santorini - Geht es nach den Seismografen, den Messgeräten der Erdbebenforscher, scheint sich die Lage auf und um die griechische Kykladeninsel Santorini beruhigt zu haben. Über 550 Erdbeben hatten sich im Januar und Februar auf und um die mondäne Ferieninsel ereignet. Bevölkerung und Touristen flüchteten von der Insel. Aus Angst vor einem heftigen Beben oder gar einem Vulkan-Ausbruch. Seit einer guten Woche haben sich die Beben wieder beruhigt, aber ein Experte sieht darin alles andere als einen Grund zur Entwarnung.
Erdbeben nehmen ab und Hoteliers und Vermieter auf Santorini werben schon wieder um Touristen
Nachdem sich die Lage in Santorini etwas beruhigt hat, kehren die Einheimischen kehren allmählich zurück. Die Schulen bleiben jedoch noch geschlossen, sie müssen auf Schäden kontrolliert werden.
Und auch viele Hoteliers auf der Insel wünschen sich, wieder zur Tagesordnung überzugehen: „Die Beben haben sich gelegt und wir sind mehr als bereit, eine neue Saison voller Sonne, Abenteuer und unvergesslicher Momente zu begrüßen!“, postet ein Vermieter von Luxussuiten bei Facebook. Viele Hoteliers teilen malerische Bilder, Videos und Sonderangebot, ohne die Schreckensnachrichten der vergangenen Tage zu erwähnen. Sie sollen Lust auf einen Urlaub in Griechenland machen.
Forscher sieht in Abnahme der Beben keinen Grund zur Entwarnung – Könnte auf Magmakammer hindeuten
Einen Urlaub auf der „Instagram-Insel“ zu buchen, scheint aber in dieser Saison alles andere als eine gute Idee zu sein. Marco Bohnhoff, ein führender Experte für Geomechanik und wissenschaftliche Bohrungen am Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) erklärt in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „Die aktuelle seismische Krise dort ist besonders stark und sehr ungewöhnlich. So etwas haben wir seit Beginn der Aufzeichnungen nur etwa ein halbes dutzendmal gesehen – und in der Hälfte der Fälle führte das zu einem Vulkanausbruch.“
Das Nachlassen der Beben sei alles andere als ein Entwarnungssignal: „Seit Mitte Februar sehen wir, dass die Bebentätigkeit in der Region stark abnimmt. Wenn dieser Trend anhält, dann hat sich wahrscheinlich eine Magmakammer weiter gefüllt, die aber nicht so unter Druck steht, dass es zu einer Eruption kommt“, erklärt der Experte in dem Interview.
Das könne dazu führen, dass sich das Magma innerhalb weniger Tage einen Weg bahnt, den Meeresboden erreicht oder sogar an die Erdoberfläche dringt. Im Moment sehe es nicht danach aus, aber es könne jederzeit passieren. Bohnhoff spricht von „Millionen Kubikmeter Magmavolumen“, das sich offenbar im Untergrund bewegt habe.
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Deutscher Erdbeben-Experte richtet eindringliche Warnung an Santorini-Touristen
Was ihn am meisten beunruhigt: „Während die Aktivität insgesamt abgenommen hat, haben wir nun am Freitag vergangener Woche erstmals Signale direkt unter Santorini in Form von Bebenschwärmen und sogenannten Tremoren beobachtet.“ Tremore sind ein leichtes Zittern, das auf die Bewegung von Lava im Erdinneren hindeuten kann. Bislang habe sich die Aktivität auf ein Gebiet nordöstlich der Insel rund um den dortigen Unterwasservulkan Kolumbos beschränkt, wo bereits mit dem Entstehen neuer Vulkane gerechnet wird.

Über Santorini sagt der Forscher: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass es früher oder später zu einer großen Eruption, wie etwa der Minoischen Eruption vor rund 3500 Jahren kommen wird.“ Diese riesige Eruption hatte mit einem heftigen Tsunami offenbar die damalige minoische Kultur in der Ägäis durch eine riesige Flutwelle so stark getroffen, dass sie in den folgenden Jahrhunderten unterging. Die heutige halbmondförmige Insel mit den gegenüberliegenden kleinen Inseln Antithira und Aspronisi sind Überbleibsel der bei der Eruption eingestürzten Caldera mit einem Durchmesser von 15 Kilometern.
Wann es wieder zu einer solchen Eruption kommt? „Das wissen wir nicht“, erklärt Bohnhoff. „Aber es gab vulkantektonische Beben in großer Zahl. Und es scheint einen Zusammenhang mit den Aktivitäten der letzten Wochen zu geben.“ Bohnhoff warnt die Santorini-Fans: „Jeder Besucher sollte wissen, dass er buchstäblich auf einem Vulkan sitzt. Man lebt, wandelt und shoppt praktisch auf dem Kraterrand.“
Forscher warnt vor 40 Meter hohen Tsunamis und griechischer Seismologe legt sich mit Santorini-Hoteliers an
Doch die Gefahr geht dem Erdbebenforscher zufolge weit über Santorin hinaus. Beim letzten großen Beben vor Santorini 1956 raste ein bis zu 20 Meter Tsunami durch die Ägäis. Das könnte sich jetzt wiederholen, der Forscher spricht bei einem Vulkanausbruch sogar von bis zu 40 Meter hohen Wellen und einer Vorwarnzeit von nur wenigen Minuten. Im Gegensatz zum Pazifik, wo die Tsunami-Wellen oft erst nach Stunden das Festland erreichen.
Ein Tsunami-Frühwarnsystem im Mittelmeerraum sei aber erst im Aufbau begriffen. Darüber hinaus warnt der Forscher, dass der gesamte Mittelmeerraum, vor allem in der östlichen Hälfte, aber auch Italien, jederzeit von heftigen Erdbeben heimgesucht werden könne. Es gibt dazu historische Beispiele: Das Erdbeben von Messina 1908 wurde von einem heftigen Tsunami begleitet, der viele Städte auf Sizilien und am italienischen Festland zerstörte, 110.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Andere Forscher warnen auch vor giftigen Aschewolken, die bei einem Vulkanausbruch freigesetzt werden könnten.
In Griechenland wird derweil über die Gefahr am Vulkankrater von Santorini heftig gestritten: Der Seismologe Akis Tselentis, der über die Gefahren in den Hotels warnte, die offenbar ohne Rücksicht auf die geologischen Verhältnisse errichtet wurden, liegt mit dem Präsidenten des Verbandes der Tourismusunternehmen der Insel, Vasilis Kasimatis, mächtig im Clinch. Obwohl es keine offizielle Gegendarstellung von anderen Wissenschaftlern oder Regierungsstellen gibt, hat Kasimatis ihn beschuldigt, „Fehlinformationen“ zu verbreiten. In einem Interview deutete er sogar mögliche rechtliche Schritte an und argumentierte, dass ein angesehener Wissenschaftler solche kritischen Themen nicht öffentlich diskutieren sollte, wenn sie Unmut erregen.