„Hätten mehr tun können“: Scheidender Nato-Chef macht Eingeständnisse bei Ukraine-Krieg

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht über den Ukraine-Krieg und räumt Fehler in der Vorbereitung ein: Vieles wurde richtig gemacht, vieles aber auch nicht.

Brüssel – Zehn Jahre verbrachte Jens Stoltenberg als Generalsekretär an der Spitze der Nato. Nun gibt er sein Amt im Oktober ab und soll Berichten des Portals Politico und des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) zufolge die Chefposition der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) übernehmen. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht Stoltenberg über den Ukraine-Krieg und macht Eingeständnisse darüber, was hätte besser laufen können.

Im Interview nennt er den 24. Februar 2022, der Tag, an dem Russland die Ukraine überfiel, den schlimmsten Tag während seiner Zeit als Nato-Generalsekretär. Es sei bereits durch Geheimdienste bekannt gewesen, dass der Einmarsch passieren wird. Der Krieg habe schon 2014 mit der Annexion der Krim und Abspaltung von Teilen des Donbass angefangen. Die Situation sei jedoch lange Zeit „statisch“ geblieben. Bis es im Frühjahr 2021 „einen bedeutsamen russischen Aufmarsch nahe der Grenze zur Ukraine“ gab.

Jens Stoltenberg, Generalsekretär der Nato
Zehn Jahre stand Jens Stoltenberg als Generalsekretär an der Spitze der Nato. © IMAGO/Thomas Fure/NTB

Nato-Chef Stoltenberg bedauert Situation in der Ukraine: Verbündete hätten mehr tun können

Stoltenberg erzählt, dass die russischen Intentionen bereits aus Geheimdienstinformationen hervorgegangen seien. „Wir haben daraufhin alles unternommen, um Russland auf diplomatischem Wege von einer Invasion abzubringen“, erklärte Stoltenberg im Gespräch mit der FAZ. Es dann aber passieren zu sehen, habe ihn trotzdem schockiert. „Mir wurde klar, dass das ein Wendepunkt in unserer Geschichte war: Es gibt ein Europa vor diesem Tag und ein anderes Europa nach diesem Tag.“

Zuvor kam es im Januar 2022 zu einem Treffen des Nato-Russland-Rats in Brüssel. Dabei wurde der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze erfolglos diskutiert, wie das RND berichtet. Von Seiten Moskaus wurden Pläne eines Einmarsches in den Osten der Ukraine zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde gefordert, dass es zu keiner weiteren Osterweiterung der Nato kommen soll sowie der Abzug ihrer Truppen aus den osteuropäischen Nato-Staaten. Diese Forderungen lehnte die Nato ab.

Auf den Krieg vorbereitet: Vorkehrungen wurden im Vorfeld getroffen

Stoltenberg erklärt, dass die beiden stellvertretenden Außen- und Verteidigungsminister Russlands behaupteten, das Land würde von der Ukraine bedroht. „Sie zeigten Landkarten, wohl um zu belegen, wie Russland von der Nato umzingelt sei. Doch sogar diese Karten waren falsch.“

Als der Einmarsch dann begann, sei die Nato vorbereitet gewesen – und zwar schon seit 2014. Im Vorfeld, nachdem Informationen zu den russischen Plänen bekannt wurden, seien Vorkehrungen getroffen worden. Die Nato-Verteidigungspläne wurden aktiviert und der Ukraine die Unterstützung der Nato zugesichert, erzählt der 65-Jährige. Es galt vor allem, die Ukraine zu unterstützen und einen Krieg zwischen Russland und der Nato zu verhindern.

„Wir hätten sehr viel mehr leisten können“: Stoltenberg glaubt an den Dialog mit Russland

Dennoch: Trotz Vorbereitungen gebe es Dinge, die Stoltenberg bedauere. Darunter, dass nicht mehr getan wurde, um die Ukraine früher zu stärken. „Wenn die Ukraine militärisch stärker gewesen wäre, wäre die Schwelle zum Angriff für Russland höher gewesen.“ Der Generalsekretär berichtet von seinem Besuch in der Ukraine 2015. „Die USA, Kanada und das Vereinigte Königreich haben da Soldaten ausgebildet, wir als Nato haben das nicht getan. Insgesamt waren unsere Ausbildung und Ausrüstung ziemlich begrenzt. Wir hätten sehr viel mehr leisten können.“

Waffenlieferungen an die Ukraine

In einer Mitteilung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2022 werden die Waffenlieferungen aus den westlichen Ländern an die Ukraine vor Beginn des Ukraine-Krieges 2022 und danach dargestellt. Demnach lieferten unter den EU-Staaten Frankreich für 1,6 Milliarden Euro, Polen für 657 Millionen Euro, Dänemark für 222 Millionen Euro und die Tschechische Republik für 166 Millionen Euro am meisten Waffen im Zeitraum von 2014 bis 2020. Lieferungen aus Deutschland beliefen sich auf 44 Millionen Euro. Zusammengenommen ergaben die Lieferungen der EU laut Mitteilung 2,9 Milliarden Euro. Die USA lieferten von 2014 bis Februar 2022 Waffen im Wert von 2,7 Milliarden US-Dollar.

Stand August 2024 hat Deutschland insgesamt Militärhilfen in Höhe von etwa 28 Milliarden Euro für die Unterstützung der Ukraine zur Verfügung gestellt, teilt die Bundesregierung auf ihrer Website mit. (gel)

Gerade in Sachen Ausrüstung äußere der 65-Jährige Reue. Die Ukraine hätte früher militärisch gestärkt werden sollen. „Jetzt rüsten wir die Ukraine im Krieg aus, damals hätten wir die Ukraine ausrüsten können, um einen Krieg zu verhindern.“ Um dem Krieg nun ein Ende setzen zu können, brauche es wieder einen Dialog mit Russland „in Verbindung mit Verteidigung und Abschreckung“. Dieses Mal jedoch mit einer starken Ukraine.

Währenddessen spitzt sich die aktuelle Lage im Ukraine-Krieg immer weiter zu. Es steht die Frage, ob die Ukraine russisches Territorium mit West-Waffen angreifen darf, im Raum. Russland macht derweil stetig Verluste, bei dem Versuch, mehr Land zu besetzen. (gel)

Auch interessant

Kommentare