Lieben wir den Kampf mehr als die Lösung?
Stellen Sie sich zwei Kinder vor, die sich um ein Spielzeug streiten. Keiner will nachgeben. Nicht, weil er das Spielzeug wirklich braucht, sondern weil es ums Prinzip geht. Das gehört mir! – Nein, mir! Irgendwann kommt ein Erwachsener und entscheidet: „Gib’s deinem Bruder!“ Das eine Kind ist triumphierend, das andere wütend. Der Konflikt scheint gelöst – ist er aber nicht.
Willkommen in der Welt der Erwachsenen, wo genau dieses Prinzip jeden Tag in Gerichtssälen, Chefetagen und Ehen zum Tragen kommt. Wir wollen gewinnen. Nicht verhandeln. Nicht teilen. Nicht einsehen, dass der andere vielleicht auch Recht hat. Und vor allem: Wir wollen das letzte Wort haben.
Mediation setzt voraus, dass man sich bewegen will. Dass man nicht darauf besteht, den anderen zu besiegen, sondern mit ihm zu einer Lösung kommt. Und genau hier liegt das Problem: Viele wollen keine Lösung, sie wollen Gerechtigkeit – und Gerechtigkeit bedeutet für sie: Der andere muss verlieren.
Das Rechtssystem unterstützt diese Logik. Gerichte entscheiden, wer im Recht ist und wer nicht. Ein Urteil ist schwarz-weiß. Klar, eindeutig, ein für alle Mal. Mediation dagegen ist grau. Sie verlangt, dass man auf den anderen zugeht, dass man sich selbst hinterfragt, dass man nicht nur fordert, sondern auch gibt. Und das ist für viele unvorstellbar.
Ist Mediation nur etwas für „Harmonie-Fanatiker“?
„Mediation? Das ist doch dieser Kuschelkurs, wo man sich gegenseitig seine Gefühle erzählt und dann alle Freunde sind.“ Ein weitverbreitetes, aber völlig falsches Bild. Mediation ist nicht „nett“. Sie ist keine Therapie, kein Wohlfühl-Workshop und kein Ort für rührselige Versöhnungsgeschichten. Mediation kann knallhart sein. Sie zwingt Menschen dazu, ihre Positionen zu durchdenken, ihre Interessen zu benennen und sich einer echten Lösung zu stellen.
Wer sich auf Mediation einlässt, muss bereit sein, Klartext zu reden. Keine juristischen Nebelkerzen, keine passiv-aggressiven Vorwürfe, keine Machtspielchen. Stattdessen: Was willst du? Warum willst du es? Und wie können wir beide damit leben?
Doch genau das ist unbequem. Sich zu verklagen ist leichter. Ein Gerichtsurteil erfordert keine Eigenverantwortung. Man reicht seine Sicht der Dinge ein und wartet darauf, dass jemand anderes entscheidet.
Mediation verlangt mehr. Sie verlangt Mut. Sie verlangt, sich mit dem „Feind“ an einen Tisch zu setzen. Sie verlangt, dass man Dinge akzeptiert, die man nicht hören will. Und vor allem verlangt sie, dass man nicht nur auf sein eigenes Recht pocht, sondern die Perspektive des anderen mitdenkt. Und das liegt uns nicht gerade im Blut.
Warum gibt es keine einheitliche Ausbildung für Mediatoren?
In Deutschland gibt es eine Approbation für Ärzte, eine Meisterprüfung für Handwerker, eine staatliche Zulassung für Steuerberater – aber für Mediatoren? Nichts. Jeder kann sich so nennen.
Das bedeutet: Während einige Mediatoren exzellente Fachleute sind, die jahrelange Ausbildung und Erfahrung mitbringen, gibt es auch solche, die nach einem Wochenendkurs glauben, sie könnten jetzt jedes Konfliktgespräch moderieren.
Was passiert also? Menschen haben eine schlechte Erfahrung mit Mediation, weil sie an den Falschen geraten. Und was tut unser Gehirn dann? Es verallgemeinert. „Mediation bringt nichts!“ heißt es dann – und das Verfahren hat verloren, bevor es überhaupt eine Chance hatte.
Ein Beruf, der darauf basiert, Menschen durch die schwierigsten Gespräche ihres Lebens zu führen, sollte eine fundierte Ausbildung verlangen. Und zwar eine, die über Rhetorik-Workshops und Selbstfindungstrips hinausgeht.
Warum drängen sich Juristen als Mediatoren auf – und warum ist das ein Problem?
Anwälte sind geschult, das Gesetz zu kennen, Schlupflöcher zu finden, Argumente aufzubauen und ihre Mandanten zu „gewinnen“ zu führen. Aber Mediation hat mit Gewinnen nichts zu tun.
Trotzdem gibt es eine regelrechte Schwemme an „Rechtsanwälten mit Mediationsausbildung“. Es klingt lukrativ, denn viele Unternehmen suchen „Mediatoren mit juristischem Hintergrund“. Die Frage ist nur: Ist juristisches Denken für Mediation wirklich hilfreich?
In einem Gerichtsprozess geht es um Fakten, Beweise und Gesetze. In einer Mediation geht es um Interessen, Bedürfnisse und Kommunikation. Zwei völlig unterschiedliche Welten.
Natürlich gibt es exzellente Juristen, die sich zu brillanten Mediatoren entwickelt haben. Doch es gibt ebenso viele, die in ihrem gewohnten Mindset bleiben: „Recht haben“ statt „verstehen“. Und das ist definitiv für eine echte Mediation.