Sozialbehörde knickt ein - Anwohner in Hamburger Nobel-Gegend verhindern Unterkunft für queere Geflüchtete

Die schöne alte Villa an der Sierichstraße steht schon länger leer und gehört dem städtischen Träger Fördern& Wohnen. Die Sozialbehörde plant bereits seit einem Jahr, dort in Einzel- und Doppelzimmern 38 geflüchtete Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTIQ) vorübergehend unterzubringen. Inklusive Betreuern, die ihnen beratend zur Seite stehen sollten.

Doch jetzt sind die Pläne plötzlich verworfen, der Bauantrag wurde zurückgezogen. Seitens der Sozialbehörde heißt es auf MOPO-Nachfrage, vorausgegangen seien „mehrere, konstruktive Gespräche mit der unmittelbaren Nachbarschaft“. Im Ergebnis verzichte man auf die Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Unterkunft. Als erstes berichtete das „Abendblatt“.

Anwohner drohten offenbar mit Klage

Die MOPO hakte nochmals nach, warum die Behörde denn plötzlich einknickt, nachdem sie zuerst darauf beharrt hatte, dass der Standort geeignet sei, sogar ein Bauantrag eingereicht worden war und die Bezirksversammlung sich schon mit der Unterkunft beschäftigt hatte.

Da hört sich die Antwort von Behördensprecher Wolfgang Arnhold ganz anders an. Offenbar saßen bei den „konstruktiven Gesprächen“ immer die Anwälte der Nachbarn mit am Tisch und machten klar, dass sie gegen die Einrichtung klagen würden. 

Arnhold: „Wir wollten uns nicht auf eine längere rechtliche Auseinandersetzung einlassen.“ Das hätte bis zur Klärung für viel Unsicherheit am Standort gesorgt. Man sei seitens der Behörde auch rechtlich gar nicht erst in die Detailprüfung gegangen.

Behörde knickt ein und macht neuen Deal

Aufhorchen lässt, dass in der Villa an der Sierichstraße – die früher als Unterkunft für angehende Polizeibeamte genutzt wurde – nun trotzdem Geflüchtete untergebracht werden. Es sollen Wohnungen für 20 alleinerziehende Frauen mit Kindern geschaffen werden. 

Unterm Strich könnte die Zahl der Bewohner also die gleiche sein wie bei der ersten Planung. Nur dass die Zusammensetzung eine andere ist, mit vornehmlich geflüchteten Frauen mit Kindern statt Lesben, Schwulen oder trans Personen. Darauf konnte sich die Behörde mit den Nachbarn verständigen. Sie lehnten offenbar ganz gezielt die Unterbringung von queeren Menschen ab.

Und die Behörde knickte ein und machte einen Deal, damit dort überhaupt etwas realisiert werden kann, ohne dass die Nachbarn klagen. Auf Nachfrage rechtfertigt Arnhold diese Entscheidung. 

„Wir haben ja auch den Platzbedarf für schutzwürdige Frauen mit Kindern.“ Insgesamt würden in dem Gebäude nun acht größere Wohnungen vorrangig für alleinstehende Frauen mit Kindern oder als Wohngemeinschaften für Frauen genutzt werden. Ein entsprechender Bauantrag wird in Kürze gestellt werden.

Queere Geflüchtete sollen per Verteilungskonzept untergebracht werden

Und die queeren Menschen? Die sollen mit einem „dezentralen Verteilungskonzept“ untergebracht werden. In Flüchtlingseinrichtungen sind queere Menschen besonders ausgeliefert und daher schutzbedürftig, da sie dort Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. 

Hier haben sie kaum die Möglichkeit, sich in die geschützten eigenen vier Wände zurückzuziehen und anderen aus dem Weg zu gehen. Denn untergebracht sind Geflüchtete meist in Gemeinschaftsunterkünften mit Mehrbettzimmern und gemeinsamen Sanitärräumen.

Linken-Frau: „Es ist ein Trauerspiel“ 

Carola Ensslen von den Linken spricht von einem faulen Kompromiss. „Es ist ein Trauerspiel! Die Sozialbehörde hat von Anfang an den Fehler gemacht, die Sierichstraße mit genauer Adresse als Unterkunft für queere Geflüchtete publik zu machen. Schon das ein Fauxpas angesichts der Schutzbedürftigkeit dieser Menschen.“ 

Leute, die sich Anwälte leisten können, hätten ein leichtes Spiel, weil die Behörde vorab Fehler bei der Information mache. „Natürlich ist es gut, dass jetzt Wohnungen für Frauen mit Kindern geschaffen werden, die auch dringend gebraucht werden. Aber es bleibt der fade Beigeschmack, dass die Nachbar*innen wohl Wohnraum für queere Geflüchtete erfolgreich verhindert haben.“

Von Sandra Schäfer

Das Original zu diesem Beitrag "In teurer Gegend: Anwohner verhindern Unterkunft für queere Geflüchtete" stammt von Hamburger Morgenpost.