Tierische Erste Hilfe - Wie Mäuse ihren Artgenossen in Not helfen
Soziale Erste Hilfe bei Mäusen
Sozialer Impuls? Nicht nur wir Menschen leisten medizinische Erste Hilfe, auch Mäuse helfen anderen Mäusen in Not, wie Biologen durch Zufall entdeckt haben. Demnach wenden die Nagetiere sogar ähnliche Formen von Erste-Hilfe-Praktiken an wie wir. Sie befreien beispielsweise blockierte Atemwege bewusstloser Artgenossen. Eine Schlüsselrolle könnte bei diesem Sozialverhalten das Bindungshormon Oxytocin spielen, wie das Team in „Science“ berichtet.
Erste Hilfe-Maßnahmen bei Menschen
Wenn wir auf eine bewusstlose Person treffen, sollten wir ihr durch eine Reihe von Notfallmaßnahmen helfen. Was zu tun ist, lernen wir bei Erste-Hilfe-Kursen: Die Situation beurteilen, überprüfen, ob die Person reagiert und atmet, andere Menschen hinzuziehen und gegebenenfalls die Atemwege befreien und eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durchführen – besser bekannt als Herzdruckmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung. Traditionelle Techniken beinhalten auch Riechsalze oder Akupunktur der Nasengegend.
Erste Hilfe bei Mäusen entdeckt
Doch wir scheinen nicht die einzigen sozialen Säugetiere zu sein, die verletzten oder bewusstlosen Artgenossen helfen. Wie Forschende um Wenjian Sun von der University of Southern California in Los Angeles durch Zufall im Rahmen einer anderen Studie entdeckt haben, leisten auch Labormäuse Erste Hilfe. „Ihr Verhalten ähnelte dem Verhalten von Menschen bei Notfalleinsätzen“, berichtet Sun. „Dieses Verhalten hatte ich noch nie zuvor von Mäusen gesehen.“
So helfen Mäuse bewusstlosen Artgenossen
Demnach neigen Mäuse dazu, bewusstlosen Artgenossen unter Narkose sofort zu helfen. Die Helfer schnüffeln dabei zunächst kurz an den Notleidenden, nähern sich ihnen dann und putzen ihnen sanft verschiedene Körperteile. Wenn die bewusstlosen Tiere darauf nicht reagieren, berühren, lecken und beißen die Helfermäuse mit zunehmender Kraft die Augenpartie, den Mundbereich, das Mundinnere und die Zunge ihrer Artgenossen. Im letzten Schritt ziehen sie dann die Zunge aus dem Mund der handlungsunfähigen Tiere.
So beleben Mäuse ihre bewusstlosen Artgenossen
„Das Beißen in Mund und Zunge sowie das Ziehen an der Zunge können eine starke sensorische Stimulation bewirken, die zur Erregung des bewusstlosen Partners beitragen kann“, berichtet das Team. Dieses Vorgehen scheint zudem die Atemwege der Artgenossen zu befreien und die Atmung zu verbessern, was zu einer schnelleren Genesung führt. Denn durch ihr Beißen und Ziehen entfernen die Helfermäuse sowohl den erschlafften Zungenmuskel als auch Fremdkörper aus dem Mund der Bewusstlosen, wie Sun und seine Kollegen feststellten.
Nachdem die betäubten Mäuse wieder zu Bewusstsein gekommen waren, konnten sie ihre Zunge wieder benutzen – sie war durch die Manipulation nicht verletzt worden. Demnach ist das Zungenbeißen und -herausziehen keine aggressive, sondern eine helfende und mitunter lebensrettende Geste, schließen die Forschenden.
Erste Hilfe bei „Freunden“ und „Familie“ intensiver
„Es gibt zahlreiche Faktoren, die empathisches Verhalten und soziale Bindungen bei Säugetieren bestimmen“, sagt Seniorautor Li Zhang von der University of Southern California. „Aber dies ist das erste Mal, dass wir ein Erste-Hilfe-ähnliches Verhalten bei Mäusen sehen.“
Die Beobachtungen enthüllten auch, dass Mäuse sehr gut unterscheiden können, ob ein Artgenosse einfach nur schläft oder bewusstlos ist. Denn das „Erste Hilfe“-Verhalten zeigten sie vor allem bei Mäusen, die tatsächlich betäubt oder bereits tot waren. Zudem war dieses Sozialverhalten ausgeprägter, wenn die Tiere miteinander vertraut waren. Demnach helfen Mäuse Freunden und Familie schneller und intensiver als Fremden – möglicherweise, weil sie deren ungewöhnlich inaktiven Zustand dann besser erkennen.
Oxycotin und soziale Bindung als Schlüssel
Aber warum verhalten sich die Mäuse so und was geht dabei in ihrem Kopf vor? Um das herauszufinden, untersuchten die Biologen die neuronalen Mechanismen im Gehirn der Mäuse, während diese ihre tierische Erste Hilfe leisteten. Dabei zeigte sich, dass während der Notfallmaßnahmen bestimmte Neuronen im paraventrikulären Nucleus des Hypothalamus der Tiere aktiviert wurden, die das Bindungshormon Oxytocin produzieren und freisetzen.
Dieses Hormon ist wie bei uns Menschen auch bei Mäusen ein Schlüsselfaktor für die soziale Bindung. Die Biologen vermuten daher, dass das Helferverhalten angeboren ist und dass sich möglicherweise weitere Tierarten, die in sozialen Gruppen leben, ebenfalls in kritischen Situationen gegenseitig helfen. Der biologische Nutzen dieses Verhaltens könnte darin liegen, die Überlebenschancen der Gemeinschaft als Ganzem zu verbessern, so die Vermutung.
Ähnliches Verhalten bei anderen Tieren
Darauf deuten auch einzelne Beobachtungen bei verschiedenen Wildtieren hin, die Artgenossen ebenfalls berühren, putzen, anstupsen und manchmal auch schlagen, wenn diese kein Lebenszeichen von sich geben – darunter Affen, Delfine und Elefanten.
Sun und ihre Kollegen wollen nun zunächst weitere Experimente durchführen, um zu sehen, ob Mäuse noch komplexere Erste-Hilfe-Reaktionen zeigen, wenn sie auf bewusstlose Artgenossen treffen. Folgestudien könnten das Verhalten dann bei anderen Tieren untersuchen. (Science, 2025; doi: 10.1126/science.adq2677)
Quelle: University of Southern California
Von Claudia Krapp
Das Original zu diesem Beitrag "Mäuse leisten sich gegenseitig Erste Hilfe" stammt von scinexx.